In Bergstiefeln, einer Camouflage-Hose und mit einer Gerte in der Hand läuft Gregory im Kreis. Er läuft über den Sand eines Longierzirkels in Saint-Cergues, einem kleinen Ort vor Genf. Hinter ihm liegen die Alpen, neben ihm trabt ein Pferd. Gemeinsam ziehen sie ihre Runden, erst langsam, dann schnell. Sie laufen um Nathan und Alexandre, die im Zentrum des Kreises stehen, sich drehen und zusehen, wie das Duo Tempo aufnimmt. Eigentlich wollten sie zu dritt aus der Mitte heraus das Pferd dirigieren, doch Gregory ist durchgebrannt.
Das Pferd rennt und das Team bröckelt, weil es nicht miteinander kommuniziert. Die Übung ist Teil eines Equicoachings, eines Coachings mit Pferden. Der Hof bietet sonst Therapien an, vor allem für krebskranke Frauen. Heute ist Johanna Vennemeier zu Gast. Sie ist Equicoachin und will Führungskräften helfen, besser zusammenzuarbeiten, zu leiten und zu kommunizieren. „Ich mag Tiere, von mir aus könnten es Krokodile sein“, sagt Alexandre im Vorgespräch.
„Im Kontakt mit dem Pferd erleben wir, wie unser Körper auf andere wirkt und ob das, was wir fühlen und machen, in Einklang miteinander steht“, sagt Vennemeier. Mimik, Haltung und Stimme beeinflussen die Interaktion. Und das Pferd spiegelt sehr deutlich, wie.
Pferde trainieren emotionale Intelligenz
Bevor das Team den Hengst dirigiert, soll es Alexandre allein versuchen. Alle warten hinter den Holzplanken und schauen zu. Die Trainerin erklärt das Ziel, dann übernimmt er. „Hopp, hopp, los“, sagt er und geht zum Pferd, das locker seine Runde dreht. Als er direkt vor ihm steht, stoppt es und weigert sich weiterzugehen. „Du stehst zu dicht in seinem Bereich“, sagt Vennemeier. Jeder habe einen persönlichen Raum, auch im Büro. „Viele Teilnehmer haben eine klare Erwartung, sie vergessen aber, zuerst eine Beziehung zum Pferd aufzubauen“, sagt sie. Weder mit Tieren noch mit Menschen lasse sich dieser Schritt überspringen. Andere mitnehmen, ihre Bedürfnisse wahrnehmen: Die emotionale Intelligenz komme zu kurz. „Je ehrlicher ich bin und je empathischer, weil ich spüre, wie es mir und dem Pferd geht, desto sicherer fühlt es sich und desto besser lässt es sich führen.“
Caroline ist die Zweite, die ins Gatter steigt. „Ich glaube nicht, dass ich das kann“, sagt sie. Sie tritt hinter das Tier, daneben, steht am Rand und in der Mitte. Das Pferd startet, bricht ab, stellt sich an die Seite und grast. „Es will nicht“, sagt Caroline frustriert. Die Trainerin hilft ihr, sich zu positionieren und mit dem Pferd klarer zu reden. Zwei Minuten später galoppiert es im Kreis. Am Willen lag es nicht. Es war nur verwirrt. „Es passiert immer wieder, dass Menschen etwas auf das Pferd projizieren, anstatt sich mit ihrem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen und Verantwortung zu übernehmen“, sagt Vennemeier.
Carolin habe sich mental blockiert und ihrer Kraft nicht vertraut. Equicoaching soll das ändern. „Magisch“ sei der Moment, sagt Gregory später. 500 Kilogramm Pferd haben einen Effekt. Das Bild im Gedächtnis werde ihn daran erinnern: „Wir müssen mehr miteinander kommunizieren.“ Die Frage ist, ob es stark genug ist, um Verhalten langfristig zu korrigieren.
Schafe zeigen, woran ein Team krankt
Ein Meer aus weißer und beiger Wolle schiebt sich über den schmalen Weg zwischen Wiese und Zaun. 600 Schafe, drei bis vier nebeneinander, laufen in Richtung Gartentor. Hinter ihnen liegt der Wald, vor ihnen ein Einfamilienhaus. Eigentlich sollten sie jetzt auf einem Feld stehen, doch sie haben die Abzweigung verpasst. Der Weg muss reichen, um sie zu drehen: Alle Leitschafe müssen nach vorne, alle Tiere zurück zum Feld. Die 14 Personen, die sie hierhergebracht haben, treten zurück. Es ist Zeit für „Aktionsjoker“ Till. Der Hund ist zur Sicherheit da, wenn etwas schiefläuft, so wie jetzt. Denn eigentlich soll die Gruppe die Herde führen, um Teamarbeit zu trainieren. Die Schafe zeigen, dass es noch Baustellen gibt.
Erwin Germscheid ist Coach und arbeitet seit fast 20 Jahren mit Schafen. Schon die Natur habe einen positiven Effekt, sagt er. „Sie öffnet Menschen und löst etwas aus. Als Coach muss ich nicht lange bohren.“ Anders als in einem Seminarraum. Und im Gegensatz zum Coaching mit Pferd ist bei Schafen der Teamaspekt schon einprogrammiert: 600 Tiere führt niemand allein. Die Übungen fangen einfach an: Es gibt noch keine Hindernisse wie Kühe, Kreuzungen oder Autoverkehr, die kommen später. Zuerst sollen die Schafe von einer zur anderen Wiese ziehen. Die Gruppe muss zwei Personen benennen, die die Etappe leiten. Schäfer und Coach briefen sie über Ziel, Weg und Details.
Nach dem Gespräch informieren die Führungskräfte ihr Team. Es sei spannend, wie viele Informationen in kurzer Zeit verloren gehen, sagt Germscheid. Die Situation ist neu, vielleicht fehlt Aufmerksamkeit. Aber statt nachzufragen, wollen viele loslegen. Auch im Team seien einige abgelenkt, tippen am Handy, machen Fotos und quatschen. Eine Führungskraft verzweifelt: „Das ist ganz genau wie bei uns im Büro.“ Der Tag mit den Schafen zeigt, was im Arbeitsalltag nicht rundläuft. Wer schlecht führt oder wenig kooperiert, kriegt es oft gar nicht mit.
Auf der Wiese aber schon. Nach jeder Etappe bespricht die Gruppe, was sich besser machen lässt. Für die nächste Aufgabe und im Idealfall für den Job. Über Wochen bis Jahre coacht Germscheid Teams nach solchen Erlebnissen.
Übungen mit Tieren als gelebte Managementtheorie
Schnell greift die gebogene Spitze des Hirtenstabs den Oberschenkel des Schafs. Sie klemmt es zwischen die Beine. Der Schäfer kommt, gemeinsam drehen sie es auf die Hinterläufe, so dass das Tier zwischen den Beinen der Teilnehmerin zur Ruhe kommt und sich mit seinem Gewicht gegen sie lehnt. Die Hufen sind frei, der Schäfer entfernt die „Moderhinke“, eine bakterielle Fäulnis, die Schafe plagt. Noch etwas Blauspray zur Desinfektion, dann ist es frei.
Um ein Schaf einzufangen, muss das ganze Team anpacken, nicht nur die Person mit dem Hirtenstab: je dichter die Herde zusammensteht, desto leichter. Wer als Führungskraft selbst in die Mitte geht, muss die Leitung des Teams delegieren. Und sie müsse ihren „Impulsen“ vertrauen, sagt Germscheid. „Wenn ich zögere und an mir zweifle, wird das Schaf immer schneller sein als ich.“ In vielen Unternehmen fehle die Kultur, um Impulsen zuzuhören und sie mitzuteilen. „Alle reden über agiles Management, aber in der Praxis funktioniert es oft nicht.“ Übungen mit Schafen, das sei gelebte Managementtheorie.
Dass Tiere etwas aus Menschen herauskitzeln, ist bekannt: Alpakas sollen erden, Pferde beruhigen, Bienen Achtsamkeit schulen. Einige Tierschützer kritisieren, das sei gegen das Interesse der Tiere. Germscheid entgegnet, dass die Schafe ohnehin über die Felder ziehen und der Schäfer auf ihr Wohlbefinden achte. Viele Menschen hätten eher Berührungsängste und seien sehr vorsichtig im Umgang mit den Schafen. Vennemeier sagt, dass ihr ihre Pferde am Herzen liegen und sie die Tiere regelmäßig auswechsle, um sie zu entlasten und um mehr Soft Skills der Teilnehmenden zu trainieren. Beide Seiten sollen profitieren.
Studien zeigen, dass Menschen aufmerksamer und kooperativer sind, wenn sie Bilder von niedlichen Tieren sehen. In den Niederlanden gibt es einen Psychotherapeuten, der mit einem Assistenz-Schwein arbeitet, weil es Demenzkranken hilft, Emotionen und Erinnerungen zu kreieren. Auch Sigmund Freud soll seinen Hund Yofie zu Therapiesitzungen mitgenommen haben. Und in der Coronapandemie haben Haustiere Stress reduziert. Laut einer Studie von Nestlé Purina wollen 68 Prozent aller Menschen ihren Hund zur Arbeit mitbringen. Aber 51 Prozent der Arbeitgeber sagen Nein. Ein Drittel der Angestellten würden deswegen sogar den Job wechseln, so eine Umfrage vom Bundesverband Bürohund. Aktionen wie der „Bring-deinen-Hund-mit-zur-Arbeit-Tag“ sollen Unternehmen sensibilisieren.
Ein Assistenzhund ist kein Störfaktor
Hunde jagen über die 8.000 Quadratmeter große Anlage im Nordosten Krefelds. Es gibt eine Wiese, Bäume, Wege, Stöcke, Spielzeug und ringsherum einen Zaun. Es ist die Hundewiese vor der Zentrale von Fressnapf, einem Handelsunternehmen für Heimtierbedarf. Jeden Morgen und Mittag toben hier 150 Hunde, die durchschnittlich pro Tag im Headquarter sind. Es ist ein hundefreundliches Büro. Das passt nicht nur zum Themenbereich des Unternehmens. Es soll auch die Gesundheit der Mitarbeitenden fördern und die ihrer Haustiere.
Kerstin Krüger, Teamlead Workplace Excellence bei Fressnapf, hat selbst einen Hund: Emma. Seit sechs Jahren begleitet sie der Jack-Russel-Dackel-Mischling zur Arbeit. Seit 2022 muss er wie alle Hunde am Campus registriert sein. Über 300 sind es insgesamt, verteilt auf 1.000 Personen. Wer sich registriert, muss die Richtlinie unterschreiben und die Verantwortung übernehmen, dass der Hund den Betriebsablauf nicht stört und seine Sicherheit und die der Menschen jederzeit gewährleistet ist. Er soll nicht beißen, nicht ohne Leine herumlaufen und keine Risiken provozieren, indem er etwa über den Parkplatz flitzt. Er muss geimpft und stubenrein sein, sein Futter soll nicht riechen. Eine Hundehalterhaftpflichtversicherung ist Pflicht. Früher gab es einen Hundeknigge.
Viele haben sich mehr Verbindlichkeit gewünscht, gerade weil es heute viel mehr Hunde am Campus gibt. „Hunde sollen den Arbeitsalltag positiv beeinflussen. Feste Regeln sind dafür wichtig: Wenn Herrchen und Frauchen konzentriert arbeiten, ist für den Vierbeiner Zeit zum Ausruhen, bevor in der Pause gespielt wird“, sagt Krüger. Da Emma oft belle und andere lauthals begrüße, würde sie an Tagen, die wuselig sind, anders untergebracht. „Das Wohl des Tieres steht im Vordergrund. Das kann eben auch bedeuten, dass der Hund mal nicht mitkommt.“
Es gibt Menschen, die auf Hunde angewiesen sind. Traumapatienten, Diabetikerinnen, blinde Menschen oder Epileptiker: Etwa 3.000 Assistenzhunde gibt es in Deutschland, die helfen, Beruf und Alltag zu bestehen. Doch nicht alle dürfen mit. Laut Teilhabestärkungsgesetz sind sie erlaubt, Arbeitgeber können ihnen aber den Zutritt verwehren, wenn es triftige Gründe gibt, Allergien oder Ängste etwa im Kollegium. Trainerin Petra Köhler unterstützt Menschen für das Deutsche Assistenzhundezentrum und sagt: „Die Aufklärung hat leider mit dem Gesetz nicht zugenommen. Es gibt noch viele Vorbehalte. Ich wünschte,es würde mehr Respekt für die Interessen der Assistenznehmenden geben, mehr Offenheit und ein ehrliches Gespräch.“
Bei solchen Gesprächen ist Köhler oft dabei, erklärt, warum ein Assistenzhund kein Störfaktor sei, sondern trainiert wurde, um etwa nicht zu bellen und nichts vom Boden aufzunehmen. Allergien, die Mitarbeitende anbringen, seien oft nicht echt, sondern in Wahrheit Angst. Beides ließe sich handhaben, indem man Büros trennt oder mit Mitarbeitenden über Ängste spricht. Auch gehöre es dazu, Hunde daran zu gewöhnen, in Boxen zu liegen, die neben dem Schreibtisch stehen, gerade in den modernen Großraumbüros. „Ich gehe lieber einen suboptimalen Weg als keinen“, sagt Köhler.
Das Büro aus Hundesicht
Auf allen Vieren krabbeln die Innenarchitektin, Kerstin Krüger und eine Hundetrainerin durch das Büro. Sie blicken auf Kabelsalat unter dem Tisch, Füße auf dem Flur und eine große Fläche mit Teppichboden. Sie wollen den Arbeitsplatz aus der Sicht des Hundes sehen, rausfinden, wie nicht nur Hunde auf das Büro wirken, sondern auch das Büro auf sie. Der Campus wird modernisiert. Im Zuge des Umbaus wird es Folien an den Scheiben zum Flur geben, die 80 Zentimeter hoch sind und Hunde vor Reizen schützen.
Trennwände zwischen den Schreibtischen gehen bis zum Boden, so dass sie einen abgeschirmten Bereich auch für Vierbeiner bieten. Es gibt Boxen, die Ruhe garantieren. Und Spinte werden größer, um auch Spielzeug und Körbchen zu verstauen, die zu jedem Platz umziehen können. Fressnapf möchte „neue Arbeitswelten für neue Arbeitsweisen“ schaffen. Hunde gehören dazu. Bei einer internen Umfrage haben 98 Prozent der Angestellten gesagt, dass sie sich in einem Arbeitsumfeld mit Hund wohlfühlen. Hunde würden die Identifikation mit ihrem Arbeitgeber erhöhen, das Betriebsklima verbessern und die Work-Life-Balance stärken. Sie garantieren Pausen und helfen beim Netzwerken.
„Im Grunde ist der Hund bei uns so etwas wie die Raucherecke, nur in gesund“, sagt Krüger. Es gibt hundefreundlicheZonen im Workcafé, ein Meetingformat mit Hund („Walk the Talk“), einen Arbeitskreis sowie Hundebotschafter in jedem Fachbereich, die ansprechbar sind, ob für Mitarbeitende mit oder ohne Hund. Tiere können etwas für die Zusammenarbeit tun. Sie können helfen, Defizite zu sehen und sie zu korrigieren. Einen Monat nach dem Equicoaching in Saint-Cergues erinnert sich Alexandre noch immer an das Bild, wie ihm das Pferd gezeigt hat, dass er ihm zu dicht auf die Pelle rückt: „Es ist wahr, dass ich in meinem Management von Zeit zu Zeit repressiv sein kann“, sagt er. „Jetzt liegt es an mir, daran zu arbeiten.“
Zum dazugehörigen Interview mit Nadia Wattad vom Deutschen Tierschutzbund.
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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Treue. Das Heft können Sie hier bestellen.