Warum ist die Sehnsucht im Management so groß, Dinge nicht beim Namen zu nennen? Der Journalist Jens Bergmann beobachtet als Brand-Eins-Vize seit vielen Jahren das blutleere Managementdeutsch und hat die schwierigsten Fälle zusammengetragen. Eine Rezension
Der Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen – der Vater des Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen – schrieb in den achtziger Jahren eine Sprachkritik über Plastikwörter. Das sind leblose Allerweltswörter, unter denen wir uns nichts vorstellen können. Sie haben sich ihren Weg aus der Wissenschaftssprache in die Sphären von Wirtschaft, Politik und Umgangssprache gebahnt und dabei die Bedeutung eingebüßt, die sie in der Fachsprache inne hatten. Es sind Wörter wie Struktur, Identität, System oder Kommunikation. Sie verdrängen spezialisierte Wörter unserer Sprache. Kommunikation beispielsweise ersetzt Wörter wie Gespräche, Unterhaltung oder Plausch.
Der stellvertretende Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins Brand Eins Jens Bergmann hat dieses Phänomen um einige Dimensionen erweitert und findet dafür in Anlehnung an den Organisationspsychologen André Spicer ein vernichtendes Wort: Business Bullshit. Für sein Bullshit-Lexikon hat Bergmann 100 Phrasen und Humbug-Begriffe des hiesigen Managementdeutschs zusammengetragen und Entstehung und Verwendung jeweils auf wenigen Seiten zusammengefasst. Zur Einstimmung untersucht er vorher den Siegeszug des Geschäftsweltgeschwurbels.
Das Wesen des Bullshits begründete der US-amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt, der 1986 in einem Essay die Produktion minderwertiger Produkte „Bullshit“ nannte. Den Produkten fehlte die „Verbindung zur Wahrheit“. Die Bullshitexpansion verortet Jens Bergmann dann um die Wendezeit, als eine Wirtschaftselite den entstandenen ideologischen Hohlraum füllen wollte. Die Wirtschaft als Wertevermittlerin. Durch die zunehmende Idealisierung von Arbeit hilft der blutleere Wirtschaftsjargon zudem, das eigentliche Unbehagen der Angestellten zu deckeln. Das Unternehmen präsentiert sich als Wohlfühlort. Um sich vor tiefergehenden Fragen zu schützen, werden Probleme und Lösungen also nicht in den Organisationen, sondern stets im Individuum ausgemacht. Coaching, Achtsamkeits- und Resilienztrainings helfen dann den gebeutelten Mitarbeiterinnen, Fachkräften und Vorgesetzten, das in den Griff zu bekommen.
Wozu gibt es Plastikwörter und diffuse Schlagworte?
Modewörter haben einige Vorteile. Sie stärken das Gruppengefühl, sind konsensfähig, weil nebulös, sie helfen dabei, geschäftig zu wirken, lassen sich schwer widerlegen, spenden Trost in einer komplexen Welt. Businessbullshit entsteht vor allem aber auch – sinngemäß nach dem Philosophen Harry G. Frankfurt –, wenn Menschen über Dinge reden, von denen sie keine Ahnung haben.
Jens Bergmann hat die einzelnen Wörterbucheinträge in sechs Bereiche sortiert: Imponiervokabular, Beschwörungsformeln, Euphemismen, Gutfirmensprech, Psychotalk und Nullnachrichten. Zwei Beispiele: Was früher Personalwesen hieß, ist mittlerweile zu Human Resources emporgestiegen. Der Begriff nennt Angestellte Rohstoff, gab der Personalabteilung jedoch einen Selbstbewusstseinsschub. „Aitsch-Ar-Manager klingt schneidiger als Personalsachbearbeiter“, schreibt Bergmann. HR trägt laut Bergmann gemeinsam mit dem Marketing am meisten zum Buzzword-Bingo bei. Dass Leute betriebsbedingt rausgeschmissen werden, nennen Unternehmen nicht Stellenabbauprogramm, sondern Synergien heben oder „Save for Service“ (Deutsche Telekom), „Perform to win“ (Eon) oder „Herkules“ (Axel Springer). Er deklariert das 360-Grad-Feedback als weltfremd und unterfüttert seine Aussagen mit Interviewpassagen von Fachleuten aus der Psychologie und der Organisationsentwicklung. Bergmanns Erklärungen sind vorrangig ein Fingerzeig auf eine gängige Praxis. Einen Ausweg bietet er häufig nicht an, sondern zeigt, wie es ist. Die Denkleistung für Lösungen muss von uns selbst kommen. Und das ist ja häufig auch genau das, wovor Bullshitwörter uns bewahren. Deshalb ist der Weg raus aus der Plastik- und Managementmodenwelt ein beschwerlicher. Schließlich beginnt er bei jedem Menschen mit einer kritischen Selbstbefragung. Dass sie lohnenswert ist, vermittelt Jens Bergmann im Appendix anhand einer detaillierten Liste über den Schaden, den Bullshit Business anrichten kann. Damit adressiert er alle, er enabled uns, uns der Kommunikation auf Augenhöhe zu committen, am besten zeitnah, spätestens jedoch am Ende des Tages.
Jens Bergmann. Business Bullshit. Managerdeutsch in 100 Blasen und Phrasen, 208 Seiten, Dudenverlag, 15 Euro. Erschienen im März 2021.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Gender. Das Heft können Sie hier bestellen.