Mit dem ersten Lockdown im Frühjahr veränderte sich die Mobilität vieler Menschen urplötzlich und besonders drastisch. Von heute auf morgen blieben viele Beschäftigte zu Hause. Der Berufspendelverkehr reduzierte sich stark, der Passagierflugverkehr brach nahezu komplett weg. Für einen Moment lag alles still und gleichzeitig wurde viel bewegt.
Denn ebenso plötzlich war möglich, was zuvor häufig noch für Vorbehalte in den Führungsetagen gesorgt hatte: das Vollzeit-Homeoffice. „Wir hatten zwar bereits vor der Krise eine Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten abgeschlossen“, sagt Philip Rebel, Head of Human Ressource Europe bei Hanwha Q Cells. „Die Pandemie hat jedoch unmittelbar dazu geführt, dieses Instrument auch flächendeckend einzusetzen.“ Auch Goran Barić, RegionalManagingDirector der Page Group, ist von seiner IT-Abteilung beindruckt: „Sie hat es geschafft, in kurzer Zeit 7.000 Mitarbeiter remote arbeitsfähig zu machen.“ Barić erkennt in dieser Situation auch eine Chance: „Was uns durch die Krise führt? Mehr Flexibilität und die Bereitschaft, diese auch vertrauensvoll zu nutzen.“
Wie verändert „The New Work“ unsere Mobilität?
Wer öfter von zu Hause arbeitet und sich häufiger in digitalen Meetings trifft, ist perspektivisch weniger unterwegs. „Was wir nicht vergessen dürfen“, sagt indes Stefan Beitelsmann, Senior Vice President Infrastructure am Flughafen Düsseldorf, „Homeoffice ist nur für einen Teil der Belegschaft anwendbar, denn viele Aufgaben lassen sich nicht von zu Hause aus erledigen.“ Dennoch scheint klar: „Das Thema Homeoffice wird sich auf den Verkehr auswirken.“ Da ist sich auch Philip Kneissler, Geschäftsführer des Mobilitätsanbieters Belmoto, sicher: „Unternehmen haben schon vor der Pandemie nach innovativen, bedarfsorientieren und nachhaltigen Lösungen gesucht. Mit den aktuellen Veränderungen in der Arbeitswelt wird Flexibilität zum höchsten Gut.“
Moderne Mobilitätslösungen waren schon vor der Pandemie im Trend
„Wir haben früh die Weichen gestellt und bereits 2019 mit Belmoto eine neue Mobilitätsstrategie erarbeitet, die den veränderten Bedürfnissen unserer Mitarbeiter und unserer Firmenkultur gerecht wird. Wir wollten weg vom klassischen Dienstwagen und haben auf das Mobilitätsbudget umgestellt. Damit waren wir nun auch in der Krise wesentlich flexibler“, erklärt Philip Rebel. Alle Mitarbeitenden können selbst entscheiden, wie sie ihr Mobilitätsbudget einsetzen möchte – ob mit oder ohne Auto. „Die freie Wahl ist uns besonders wichtig“, sagt Rebel.
Dieses Prinzip der Freiwilligkeit unterstreicht auch Kneissler: „Wir bringen bedarfsgerechte Mobilität in Unternehmen, zwingen aber niemanden in ein Korsett.“ Vor der Corona-Krise waren eher Nachhaltigkeitsaspekte und Employer-Branding entscheidende Gründe, warum Unternehmen nach neuen Mobilitätslösungen suchten. „In der Krise jedoch haben viele mit ihrem Leasingfuhrpark schlicht nicht schnell und flexibel auf die Umstände reagieren können und ungenutzte Fahrzeuge waren ein zusätzlicher Kostenfaktor“, so Kneissler.
Während sich viele Mobilitätsanbieter mit flexiblen Lösungen schwertun, stechen einige Unternehmen in der Branche hervor. „Wir haben ein hohes Verständnis vom betrieblichen Mobilitätsmanagement und davon, wie der Dienstwagen kostenbewusst, flexibel und nachhaltig eingesetzt werden kann. Wichtig ist aber auch der einfache Zugang zu alternativen Verkehrsmitteln beziehungsweise Sharing-Angeboten. Wir helfen Firmen dabei, das für ihre Mitarbeiter einfach nutzbar zu machen“, sagt Kneissler.
Das eigene Auto ist kein Statussymbol mehr
Denn heute kommt es vielen eher auf die Flexibilität in der Nutzung aller Mobilitätsangebote als auf den Besitz eines Fahrzeugs an. Besonders im urbanen, infrastrukturell gut erschlossenen Raum wächst das Bedürfnis nach einer flexiblen Mobilität. Die Einführung eines Mobilitätsbudgets ermöglicht eine bedarfsgerechte und nutzerorientierte Mobilität. Um dieser selbstverantwortlichen Nutzung aller verfügbaren Mobilitätsangebote Rückenwind zu geben, haben Mobilitätsexperten und Unternehmen klare Forderungen. Es braucht Rahmenbedingungen von der Politik, insbesondere steuerliche Anreize für die Nutzung von Mobilitätsbudgets, analog zur Regelung für Dienstwagen.
Dennoch bleibt das Auto ein wichtiges Verkehrsmittel – besonders im ländlichen Raum
Beim Wunsch nach einem Dienstwagen sieht Andreas Schmitz, Head of People & Culture Germany bei Roche Diagnostics GmbH, vor allem regionale Unterschiede: „In den Städten stellen unsere Kollegen das eigene Auto eher in Frage als an Standorten, wo das Einzugsgebiet stärker in den ländlichen Raum vordringt.“ Gleichzeitig beobachtet er ein steigendes Interesse an E-Mobilität. „Wir erhalten vermehrt Anfragen nach Ladestationen auf den Firmengeländen, die wir seit einigen Jahren an den Standorten anbieten und kontinuierlich ausbauten.“
Auch Hanwha Q Cells hat mit der neuen Mobility-Policy den Umstieg auf ein E-Fahrzeug ermöglicht – mit einer Bonuszahlung sogar incentiviert. Für eines der führenden Unternehmen in der Solartechnologie war die Bereitstellung von Ladeinfrastruktur indes kein Problem. Rebel ist sich sicher: „Eine höhere Verfügbarkeit von E-Modellen und Ladestationen wird dazu führen, dass die hohe Nachfrage besser bedient werden kann – auch im ländlichen Raum.“
Kurzstreckenflüge werden neu betrachtet
Die wohl größte und nachhaltigste Veränderung in der Mobilität stellen unsere Experten im geschäftlich motivierten Flugverkehr fest. „Ich glaube, ein Trip nach London für nur ein Meeting wird so nicht mehr passieren. Wir haben gelernt, dass vieles sehr gut auch online funktioniert“, schätzt Barić die Zukunft der geschäftlichen Flugreisen ein. „Aber natürlich werden wir uns nach wie vor auch live sehen. Das wird eben nur ausgewählter und konzentrierter geschehen“, ist sich Barić sicher. Dass sich das Business-Flugverhalten ändern wird, kann auch Beitelsmann nicht wegdiskutieren. „Im Businessverkehr wird sich einiges ändern, aber es wird ihn dennoch weiterhin geben – auch Geschäftsreisen ins Ausland“, ist sich Beitelsmann sicher. „Wir rechnen damit, dass wir im Jahr 2024 das Niveau von 2019 wieder erreicht haben werden, aber die Normalität wird dann eine andere sein“, ergänzt er und schließt den Einsatz von Flugtaxis und E-Fliegern in der Zukunft nicht aus.
„The New Normal“ ist flexibel
Anbieter für moderne Mobilitätslösungen wie Belmoto, die Deutsche Bahn oder Sixt, haben den Wunsch nach mehr Flexibilität erkannt. Sie setzen auf das Mobilitätsbudget als sinnvolle Ergänzung oder Ersatz zum Dienstwagen. Arbeitswelt und Mobilität hängen fest miteinander zusammen.
Wenn uns die Corona-Krise eines gezeigt hat, dann dass wir in Zukunft noch flexibler auf Veränderungen reagieren müssen. Flexibilität avanciert zum neuen Statussymbol. Mobilität muss im Großen gedacht werden und perfekt ineinandergreifen. Der Trend geht nicht weg von dem einen Verkehrsmittel und hin zum dem anderen – vielmehr müssen alle Angebote intelligent kombiniert ineinandergreifen und verfügbar sein.
Anbieter von Mobilitätslösungen können einen Mehrwert beitragen, wenn sie Konzepte ganzheitlich denken. „Das Mobilitätsbudget ist eine Lösung, die sich durchsetzen wird“, ist sich Kneissler sicher. „Damit reagieren Unternehmen auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter, auf den Verkehr und behalten außerdem ihre Kosten auch in unvorhersehbaren Zeiten im Blick.“ Moderne Mobilität ist vielseitig – vor allem aber am Bedarf der Menschen orientiert.
Mit Autorin Franziska Liebenow-Rudolph waren im Gespräch: Stefan Beitelsmann, Prokurist & Leiter Infrastruktur der Flughafen Düsseldorf GmbH, Philipp Rebel, Head of HR Europe bei Hanwha Q Cells, Goran Barić, RegionalManagingDirector bei der Page Group, Andreas Schmitz, Head of People & Culture Germany und Mitglied der Geschäftsführung Roche Diagnostics GmbH & Roche Deutschland sowie Philip Kneissler, Geschäftsführer der Belmoto GmbH.