Die Bundestagswahl ist vorbei. Die Zäsur ist da. Damit geht nicht nur eine politische Ära zu Ende. In den letzten Wochen ist deutlich geworden, wie viel sich inzwischen im Fluss befindet: Corona, Klimawandel, Digitalisierung, Demographie – überall sehen wir, dass gewohnte Strukturen ins Wanken geraten. Wir leben im Zeitalter von „The Big Shift“. Nie zuvor schien der Epochen-Einschnitt für alle so greif- und fühlbar zu sein. Die klassischen HR-Silos halten mit dem Wandel kaum noch Schritt und das alte Modell der Industriearbeit, das viele immer noch im Kopf haben, passt immer weniger in diese Zeit. Was kommt aber danach und wie sehen die Organisationsmodelle und Arbeitswelten im 21. Jahrhundert aus?
Archipel-Arbeit
Bislang war Arbeit wie eine Insel. Ein fest abgegrenztes Territorium, zu dem man morgens übersetzte und von dem man abends zurückkam. Dort arbeiteten immer dieselben Menschen an den immergleichen Dingen. Wenn man Glück hatte, war die Insel schön grün, wenn man Pech hatte, fand man dort nur verkarstete Hügel. In Zukunft wird eine Organisation eher wie ein Archipel funktionieren, bestehend aus zahllosen Inseln, Lagunen, den Gewässern und schwimmenden Brücken dazwischen. Praktisch befindet man sich hier ständig auf einer Entdeckungsreise, arbeitet mal hier, mal dort. Im Archipel Arbeit werden die Grenzen fließend: Arbeit und Leben sind keine Gegensätze mehr.
Was heißt das aber konkret? Zunächst einmal reden wir im Archipel Arbeit nicht mehr über Ressourcen, sondern über Menschen. Die Arbeitswelt wird sich um diese Menschen herum organisieren müssen – und nicht umgekehrt. Arbeitsort, Arbeitszeit oder Freizeit – all das wird man losgelöst von Stechuhren und Kontrollen organisieren müssen. Diese neue Form der Zusammenarbeit wird viel mehr sein als ein paar Tage mehr im Homeoffice. Die Mitarbeitenden werden sich nicht mehr primär nach den Gegebenheiten des Unternehmens richten, sondern diese Gegebenheiten orientieren sich an ihnen. Die Employee Satisfaction steht im Vordergrund. Werte wie Gesundheit, Resilienz und Wohlbefinden gewinnen an Bedeutung und werden zum Gradmesser des Erfolgs von Employee-Experience-Manager:innen.
Neues Organisationsmodell
Dieser Wandel hin zum human-centric workdesign ist kaum mehr aufzuhalten. Wir werden ihn gestalten – oder an Attraktivität verlieren. Genau genommen geht es dabei um drei parallel-laufende Entwicklungen:
- Der Technologie-Shift: Die notwenigen Technologien für diese Form der Zusammenarbeit müssen ausgebaut werden. Corona hat den Digitalisierungsgrad in vielen Firmen einen Riesenschritt nach vorne gebracht. Aber das war erst der Anfang. Die gesamten End-to-End-organisierten Arbeitsprozesse müssen digitalisiert werden.
- Der Skill-Shift: Die Organisationen der Zukunft benötigen völlig neue Kompetenzen: Plattform-Designer:innen, Ökosystem-Gärtner:innen, Schnittstellen-Koordinator:innen, Cyber-Offiziere, Datenalchimist:innen. Solche Spezialist:innen warten nicht auf uns. Wir müssen sie finden, für uns begeistern und ihnen die Möglichkeit bieten, an jedem Ort der Welt für uns zu arbeiten. Und natürlich müssen wir auch unsere bestehenden Teams genau dahin entwickeln.
- Der Collaborational Shift: Wir müssen neue Formen der Zusammenarbeit einüben: dezentral, eigenverantwortlich, auf Augenhöhe, mit mehr Flexibilität, hybriden Arbeitsformen, besserer Work-Life-Balance und Gesundheits-Fokus.
Vor einem Jahr sind wir bei Atruvia mit unserem neuen Zusammenarbeitsmodell an den Start gegangen. Damit haben wir einige dieser Shifts angestoßen. Am Ziel sind wir noch lange nicht. Aktuell bereiten wir die Weiterentwicklung hybrider Arbeitsmodelle vor. Wir stärken die neuen, dezentralen People-Lead-Rollen und kommen mit einer Vernetzung von People Leads, Trible Leads und Employee Experience Management erstmals wirklich auf Augenhöhe mit den Problemen der realen Arbeit. Fortschritte und Performance-Kennzahlen werden dabei kontinuierlich gemessen. Die Zahlen zeigen, dass die Produktivität hoch bleibt. Die vielen positiven Rückmeldungen zeigen uns: Wir sind auf dem richtigen Weg.
Hat man diesen Big Shift in den klassischen HR-Bastionen verstanden? Ich fürchte, nicht. In vielen Unternehmen wird weiter an der Isolierung und Stärkung des HR-Silos gearbeitet. Statt sich an die harte Arbeit der Transformation in den Business Einheiten zu machen, versucht man, das in die Jahre gekommene Business-Partner-Modell über die Runden zu retten. Bei Atruvia haben wir stattdessen sehr gute Erfahrungen damit gemacht, enger mit der Unternehmensentwicklung, der IT, dem Facility Management und den Mitarbeitenden im Unternehmen zusammenzuarbeiten – etwa in Form von Co-Creation oder Valuestreams. People-Entscheidungen werden weitgehend vor Ort im eigenverantwortlichen Team getroffen.
Die neue Generation von Employee-Experience-Manager:innen wird genau diesen Weg weitergehen. Sie werden Arbeit vor diesem Hintergrund völlig neu denken. Die klassischen HR-Silos werden aufbrechen – bis auf wenige zentrale Funktionen. Sie werden angereichert um all die fachlichen Funktionen, die großen Einfluss die Produktivität und das Engagement der Mitarbeitenden haben, wie etwa Facility Management oder interne IT. Bei Atruvia gehen wir diesen Schritt: Wir verlagern People-Management dahin, wo die Arbeit geschieht – zu den Menschen und den operativen Teams. Wir erleben gerade einen Einschnitt, das Ende von HR, wie wir sie kannten. Wenn man das als Chance sieht, wird Arbeiten in Zukunft freier, effektiver und erfolgreicher werden.
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