Warum es mehr als Rosen braucht

Weltfrauentag

Am 8. März ist Internationaler Frauentag – in Berlin seit 2019 ein gesetzlicher Feiertag. Doch gibt es wirklich Grund zu feiern? Unzählige Studien, Statistiken und Umfragen geben eine klare Antwort. Sie zeigen, dass Frauen immer noch mit ungleicher Bezahlung, begrenzten Aufstiegschancen, geschlechtsspezifischen Herausforderungen und Machtmissbrauch am Arbeitsplatz konfrontiert sind. Für eine gerechte Arbeitswelt gibt es noch viel Luft nach oben:

Jedes Prozent, ist eines zu viel

In der Debatte um Entgeltgerechtigkeit ist Deutschland noch immer weit von der Ziellinie entfernt. So lag der bereinigte Gender Pay Gap, also die Lohnlücke, die nach Abzug struktureller Faktoren wie Unterschiede bei Berufen, Beschäftigungsumfang oder Bildungsstand entsteht, laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2023 bei sechs Prozent. Die Messungen zeigen auch folgenden Trend: Ab einem Alter von 30 Jahren sehen sich Frauen mit wachsenden Lohnunterschieden konfrontiert, während Männer ab diesem Alter häufig von einem höheren Einkommen profitieren. Das hängt damit zusammen, dass Frauen häufiger familienbedingte Erwerbsunterbrechungen in Kauf nehmen. Viele Frauen gehen nach der Geburt eines Kindes in den Mutterschutz und wechseln danach in Teilzeit. Und dann schnappt die Teilzeitfalle zu. Denn geringere Einzahlungen in die Rentenkasse führen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu einer geringeren Rente oder in die Altersarmut. Während laut einer aktuellen forsa-Studie für das Jobnetzwerk Xing 67 Prozent der Frauen ihre Arbeit von Vollzeit auf Teilzeit reduziert haben, um Familie und Beruf besser zu vereinbaren, begründen Männer ihre Teilzeitarbeit damit, mehr Zeit für Hobbies und Nebenprojekte haben zu wollen.

Und der Gender Pay Gap ist spürbar. Das unterstreicht die Studie Women in Workplace des HR-Tech-Entwicklers HiBob von Januar. Nur drei Prozent der befragten Frauen haben das Gefühl, für die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit gerecht entlohnt zu werden. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Gehaltserhöhungen. Von den 34 Prozent der Befragten, die im Jahr 2023 eine Gehaltserhöhung erhalten haben, waren 37 Prozent männlich und nur 29 Prozent weiblich. 71 Prozent der befragten Männer zeigen sich außerdem zuversichtlich, was ihre Aufstiegschancen angeht. Bei den Frauen sind es nur 53 Prozent.

Woher stammt der pessimistische Blick auf Karrieresprünge? Ein Sprichwort sagt: Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Da liegt die Vermutung nahe, dass sich die Tatsache, dass Frauen bereits beim Berufseinstieg eine Lohnlücke im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen erfahren, negativ auf ihre weitere Entwicklung im Unternehmen auswirkt. Eine am 1. März veröffentlichte Auswertung von Stepstone hilft, diese Lohnlücke einzuordnen. Demnach verdienen Männer in den ersten drei Jahren nach dem Berufseinstieg durchschnittlich 40.250 Euro brutto, Frauen dagegen nur 37.500 Euro. Der Bericht zeigt auch, in welchen Berufsgruppen die Verdienstunterschiede am größten sind. Den höchsten bereinigten Gender Pay Gap weist das Handwerk mit 7,9 Prozent Lohnunterschied auf, dicht gefolgt vom Groß- und Einzelhandel sowie Vertrieb und Verkauf mit sieben Prozent.

Führung ist immer noch Chefsache

Die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sind auch in den Führungspositionen nicht zu übersehen. So hat sich der Frauenanteil im Top-Management seit 2004 nur um drei Prozent verändert. Auf oberster Führungsebene liegt der Frauenanteil bei 38 Prozent, auf der zweiten Führungsebene bei 41 Prozent. Das belegt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von Dezember 2023. Auch der Blick auf die Europäische Union fällt ernüchternd aus. Aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes weisen Lettland mit 45 Prozent Frauenanteil in Führungspositionen als Spitzenreiter aus. Deutschland landet im unteren Drittel.

Nehmen Frauen nur dann Spitzenpositionen ein, wenn es um Care Arbeit geht? Zu diesem Schluss führt ein Blick auf die Zeitverwendungserhebung 2022 des Statistischen Bundesamtes. Demnach übernehmen Frauen rund 44,8 Prozent mehr Sorgearbeit als Männer. Dazu zählen Haushaltsführung, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen oder soziales Engagement. Jede vierte erwerbstätige Mutter gab in der Befragung an, mehr Zeit für ihren Job haben zu wollen –jeder vierte befragte Vater wünschte sich weniger Zeitaufwand für die Erwerbstätigkeit. Theoretisch ein gutes Match.

Unsicher am eigenen Arbeitsplatz?

Doch die Realität am Arbeitsplatz ist für viele Frauen nicht nur von finanziellen Ungerechtigkeiten geprägt. Jede elfte erwerbstätige Person in Deutschland hat sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Darunter doppelt so viele Frauen wie Männer, wie eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von Oktober 2019 verrät. Die Berichte der Betroffenen reichen von sexualisierten Kommentaren bis hin zu unangemessenen Blicken und Gesten. 26 Prozent der Betroffenen sprachen sogar von unerwünschten Berührungen oder körperlichen Annäherungen. Dabei handelte es sich meist um wiederholte Taten und nicht um Einzelfälle. Es wäre zu einfach, diese Taten Außenstehenden zuzuschreiben. 43 Prozent der Täter befinden sich im unmittelbaren Umfeld am Arbeitsplatz – bei 19 Prozent waren es direkte Vorgesetzte oder hierarchisch höher gestellte Mitarbeitende.

Ähnliche Ergebnisse zeigt der Annual Index 2023 des Netzwerks Global Women in PR. In einer Befragung von 560 Frauen aus 35 Ländern, die in der PR-Branche arbeiten, wurden Erfahrungen mit Belästigung am Arbeitsplatz untersucht. Demnach gaben 33 Prozent der Befragten aus Deutschland an, bereits Erfahrungen mit Mobbing am Arbeitsplatz gemacht zu haben, in den meisten Fällen ebenfalls im Zusammenhang mit hierarchischen Machtspielereien.

Es ist herausfordernd, diese Systematik zu durchbrechen. Doch Veränderung kann auch im kleinen Rahmen wirksam sein. Allein sich als Mann einmal gegen den „nicht ernst gemeinten“ frauenfeindlichen Witz auszusprechen, könnte einen Wandel anstoßen.

Tabu sollte eigentlich nur ein Kartenspiel sein

Hormone prägen als stille Begleiter unseren Arbeitsalltag. Obwohl hormonelle Zyklen und Hormonveränderungen universelle Themen sind, umweht sie ein Tabu. In einem leistungsorientierten Arbeitsumfeld stoßen Frauen und andere menstruierende Menschen bei Periodenschmerzen häufig auf Unverständnis. Während in den letzten Jahren vermehrt die Vorteile von zyklusorientiertem Arbeiten diskutiert wurden, scheint das in der Praxis noch weit entfernt.

Wie viele Menschen von Menstruationsbeschwerden betroffen sind, lässt sich nicht genau beziffern. Laut der Krankenkasse AOK Sachsen-Anhalt variiert die Anzahl je nach Studie zwischen 50 und 90 Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter. Laut Techniker Krankenkasse fühlt sich dabei jede zehnte Betroffene durch Regelschmerzen in ihrem Alltag erheblich eingeschränkt. Zu den Symptomen zählen Bauch- und Rückenschmerzen, Konzentrationsstörungen, Abgeschlagenheit oder Stimmungsschwankungen.

Seit Spanien im Jahr 2022 als erstes europäisches Land zusätzliche Krankheitstage bei Menstruationsbeschwerden einführte, rückte in Deutschland die Debatte um den Sinn und Unsinn des Menstruationsurlaubs in den Fokus. Auch in Japan, Südkorea, Taiwan, Indonesien, Sambia und China gibt es gesetzlich verankerte zusätzliche Krankheitstage. Unabhängig vom Gesetzgeber können auch Unternehmen die Initiative dazu ergreifen. So ermöglichten nach einem Bericht des Onlinemagazins Gründerszene ein paar Start-ups, wie Everdrop oder The Female Company, ihren Angestellten einen Period Leave.

Möchte ich, dass mein Arbeitgeber über solche sensiblen Gesundheitsdaten Bescheid weiß? Führt diese Maßnahme am Ende nicht zu mehr Stigmatisierung auf dem Arbeitsmarkt? Braucht es in Deutschland überhaupt zusätzliche Krankentage? Schließlich können sich Mitarbeitende hierzulande ohne Angabe von Gründen krankmelden. Doch viele Betroffene scheuen sich bei Menstruationsbeschwerden, davon Gebrauch zu machen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Angst vor Repressalien oder Kündigung bei wiederkehrenden Krankschreibungen, aber auch das Gefühl, dass Regelschmerzen eben keine Krankheit im herkömmlichen Sinne sind. Eine Umfrage des Österreichischen Gewerkschaftsbunds aus dem Jahr 2022 zeigt, dass sich fast 60 Prozent der Befragten nicht trauen, sich bei Regelschmerzen krank zu melden. Und zwar obwohl auch in Österreich ein bezahlter Krankenstand ab dem ersten Tag möglich ist.

Jetzt bitte nicht noch ein Tabu!

Und noch ein Thema wurde bis vor Kurzem viel zu wenig beachtet: die Wechseljahre. Dabei haben sie enorme Auswirkungen auf das Arbeitsleben und sind volkswirtschaftlich durchaus brisant. Ende 2023 lagen die Ergebnisse der ersten deutschlandweiten Befragung von Frauen zu den Auswirkungen von Wechseljahresbeschwerden am Arbeitsplatz vor. Nach der Untersuchung der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin hat fast ein Viertel der Befragten mit Wechseljahressymptomen ihre Arbeitszeit reduziert. Fast 20 Prozent der über 55-Jährigen wollen früher in Rente gehen. Rund ein Drittel musste sich krankschreiben lassen oder unbezahlten Urlaub nehmen – jede Sechste hat sogar die Stelle gewechselt. Höchste Zeit also, auch angesichts des Fachkräftemangels, das betriebliche Gesundheitsmanagement anzupassen, um die Gesundheit dieser Mitarbeitenden zu fördern und sie im Erwerbsleben zu halten.

Der gesellschaftliche Blick auf das Älterwerden von Frauen, auch im Kontext des Arbeitslebens, zeigt häufig eine problematische Dynamik. Das Thema Altersdiskriminierung von Frauen hat zum Beispiel das Online-Magazin Palais F*luxxx mit der am 1. März gestarteten Kampagne „Ohne mich würdet ihr alt aussehen“ aufgegriffen.

Den Status quo im eigenen Unternehmen hinterfragen

Um einen Schritt weiter in eine gleichberechtigte Arbeitswelt zu gehen, braucht es Vorbilder. Vor allem solche, die sich Diversity nicht nur auf die Flagge schreiben, sondern aktiv ausleben. Bei der IT-Beratung Thoughtworks liegt der Mitarbeiteranteil in Deutschland für Frauen und andere geschlechtliche Minderheiten laut Unternehmensangaben bei fast 43 Prozent, bei Führungskräften sind es sogar über 60 Prozent. Und dass, obwohl die IT-Branche tendenziell männerdominiert ist. Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom aus dem Jahr 2022 war bei 49 Prozent der befragten IT-Unternehmen keine einzige Frau in der Führungsetage vertreten.

Auch eine familienfreundliche Unternehmenspolitik rückt bei vielen Arbeitgebern in den Vordergrund. Der Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend misst seit dem Jahr 2003 die Bereitschaft von Führungskräften für familienfreundliche Maßnahmen. Die jüngsten Messungen aus dem Jahr 2023 ergeben, dass 86 Prozent der Befragten familienfreundliche Maßnahmen für wichtig halten – drei Prozent mehr als in den drei Jahren zuvor. Und immer mehr trauen sich, diese Bereitschaft in die Tat umzusetzen. Darunter der Konsumgüterkonzern Henkel, der mit der Einführung der geschlechterneutralen Elternzeit bei vollem Gehalt für acht Wochen ins Jahr 2024 gestartet ist.

Und trotzdem: Die Suche nach Zahlen, die einen optimistischen Blick auf unsere Arbeitswelt erlauben, fällt nicht sehr ergiebig aus. Das Weltwirtschaftsforum fand 2021 in einer Analyse heraus, dass es bis zur Gleichstellung von Mann und Frau bei Beibehaltung des aktuellen Tempos noch 136 Jahre dauern würde. Vielleicht sollten wir also, gerade aus absurden Zahlen wie dieser, den Antrieb für Veränderung schöpfen, anstatt uns einem Ohnmachtsgefühl der Ungleichheit hinzugeben.

Für Veränderung auch jenseits des achten März.

Warum sprechen einige lieber vom feministischen Kampftag?

Der Weltfrauentag hat seine Wurzeln im Jahr 1908, als die Frauenorganisation der Sozialistischen Partei in den USA erstmals zu Demonstrationen für das Frauenwahlrecht aufrief. Auch in den folgenden Jahren standen das Wahlrecht und der Kampf für verbesserte Arbeitsbedingungen von Arbeiterinnen im Mittelpunkt.

Der kämpferische Kontext geht heutzutage manchmal inmitten von rosa Zitatkacheln auf Social Media, geschenkten Rosen oder anderen Schmeicheleien verloren. Doch die Hintergründe zeigen: Schon damals wurde für Gleichberechtigung gekämpft. Und auch heute genügt stilles Einfordern nicht. In unserer Arbeitswelt treffen verschiedene Diskriminierungsmerkmale wie Alter, Klasse, Ethnie, Nationalität, sexuelle Orientierung, Gewicht oder Religion aufeinander. Der Kampf für Frauenrechte ist auch ein Kampf für Gleichberechtigung und muss daher gesamtheitlich – intersektional – gedacht werden. Dieses Prinzip kürte die schwarze US-amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw mit dem Begriff des Intersektionalen Feminismus. Dieser bezieht alle FLINTA*-Personen ein. FLINTA* ist ein Akronym und steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen, sowie Menschen, die sich in keiner dieser Gruppen wiederfinden, aber von Marginalisierung betroffen sind.

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Salome Häbe

Salome Häbe ist Volontärin beim Magazin Human Resources Manager. Sie hat im Bachelorstudiengang Internationale Kommunikation in den Niederlanden studiert und nebenbei freiberuflich für Magazine und Start-ups im Bereich der Nachhaltigkeit geschrieben.
Charleen Rethmeyer

Charleen Rethmeyer

Charleen Rethmeyer ist Redakteurin beim Magazin Human Resources Manager. Dort absolvierte sie zuvor ebenfalls ihr Volontariat. Die Berlinerin hat einen Bachelorabschluss in Deutsche Literatur sowie Kunst- und Bildgeschichte und arbeitete mehrere Jahre freiberuflich für mehrere Berliner Verlage. Sie schreibt mit Vorliebe Features und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Zukunft der Arbeitswelt.

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