„Das ändert auch mental ganz viel“

Leadership

Das Stromnetz-Unternehmen 50Hertz ist dabei, sich neu zu erfinden. Personalchefin Katharina Herrmann über die Dynamiken des Energiesektors, die neue Unternehmenszentrale und das Erbe der ostdeutschen Energiewirtschaft.

Im Foyer des Hauptsitzes von 50Hertz prangt eine Digitalanzeige. Sie zeigt die Netzfrequenz. 50 Hertz sollten es sein. Das ist wichtig für die Stabilität des Stromnetzes. Das Unternehmen 50Hertz betreibt das Übertragungsnetz in den neuen Bundesländern und gehört heute mehrheitlich zur belgischen Elia Gruppe. Als das Netz der ehemaligen DDR 1990 in die Vereinigte Energiewerke AG eingegliedert wurde, war es über 10.000 Kilometer lang. 2001 übernahm Vattenfall die Mehrheit der AG und gründete die VE Transmission GmbH. 2008 stellte der Konzern die dann 2010 in 50Hertz umbenannte Tochter zum Verkauf.

Frau Herrmann, mit welchem Gefühl sind Sie in das Arbeitsjahr 2015 gestartet?
Mit einer Mischung aus Spannung und Vorfreude. Einmal weil ich eine schöne Weihnachtspause hatte und erholt bin. Aber auch, weil wir auf ganz unterschiedlichen Ebenen in einem spannenden Zeitfenster sind. Wir stehen jetzt anderthalb Jahre vor dem Einzug in unsere neue Zentrale. Das beschäftigt uns schon lange und die Antwort auf die Frage, wie der Arbeitsalltag und das Leben in diesem Gebäude wirklich sein werden, die rückt jetzt näher. Wir haben aber auch auf der Geschäftsseite ein großes Jahr vor uns. Wir sind auf der Höhe unserer Investitionen und wir wollen das natürlich auch mit viel Spaß, Motivation und gesunden Mitarbeitern hinkriegen.

Sie sind 2012 ins Unternehmen gekommen. Zu diesem Zeitpunkt lag die Umfirmierung zu 50Hertz schon zwei Jahre zurück und seitdem ist das Unternehmen auch Teil der belgischen Elia Gruppe. Vor welche Situation hat der Rückzug der Konzernmutter Vattenfall das Unternehmen gestellt?
Ich habe das Unternehmen im Herbst 2010 das erste Mal kennengelernt. Der Verkauf war abgeschlossen und es gab die ersten deutsch-belgischen Teams, die sich einzelne Funktionen und Themengebiete angesehen haben. Ich war damals als externe Beraterin hier. Wir haben eine ziemlich intensive Befragung gemacht, wie es dem Unternehmen gerade ging. Ich persönlich habe beispielsweise mit allen Führungskräften und den Betriebsräten lange Interviews geführt, um herauszufinden, wo sie gedanklich standen.

Und wie war die Lage?
Die hat jede Vergleichsdatenbank gesprengt in den Dimensionen Begeisterung, Motivation und Identifikation mit dem Unternehmen. Es war aber auch der Wunsch da, so ein bisschen zur Ruhe zu kommen. Aber das ist ganz natürlich nach so einem Verkaufsprozess, der alle ja sehr fordert. Und es existierten noch an vielen Stellen Verflechtungen mit Vattenfall. Da fehlten dann plötzlich ganze Themen wie beispielsweise die Personalentwicklung. Aber daraus ergaben sich dann natürlich auch riesige Chancen.

Die Personalentwicklung lag bis dato bei Vattenfall?
Genau, und dann können Sie plötzlich für ein relativ großes Haus ein Personalentwicklungssystem komplett neu designen und sich überlegen, was wichtig ist, welche Kompetenzen dieses Haus braucht und wo es eigentlich hingehen soll. Das war aber auch eine Riesenmöglichkeit der Identitätsbildung mit dieser neuen Marke 50Hertz.

Wie ist das Unternehmen da herangegangen, all das wieder hochzuziehen?
Es gab 2010 das erste große Transformationsprogramm. Das trug den Namen „Power“ und ging über alle Funktionen und das ganze Unternehmen. Da gab es neben einer Vielzahl von Initiativen natürlich auch einen Arbeitsstrang Personal. Und unsere To-do-Liste wurde sehr lang. Das war Anfang 2011 und als ich dann 2012 angefangen habe, war noch einiges übrig.

Ist zu Beginn dieses Prozesses ein Ziel, eine Vision definiert worden?
Ich nehme mal den Personalbereich als Beispiel. Hier gab es eine zweiteilige Vision, die sich auch über die Jahre erhalten hat. Da war zum einen der Wunsch, verlässlicher Partner zu sein auch im Sinne der Sozialpartnerschaft. Deswegen haben wir die Tarifverträge und die Betriebsvereinbarungen der Vattenfall auch komplett mitgenommen. Gleichzeitig wollten wir aber spezifischer für unser Geschäft, das plötzlich viel schneller und dynamischer geworden ist, etwas tun. Wir wollten zum Beispiel für die Führungskräfteentwicklung keine großen Konzernprogramme mehr, die für jeden irgendwie nicht ganz falsch sind, sondern wir haben ganz spezifisch welche für uns entwickelt und aufgesetzt.

Wie weit war man, als Sie dann als Personalleiterin dazu kamen?
Ich bin in einer Phase eingestiegen, wo ich sagen würde, die Basics waren alle da. Es war aber viel Kür übrig geblieben – unter anderem eben die Personalentwicklung und das Thema Rekrutierung. Die waren dann mittlerweile auch die drängendsten Aufgaben.

Und heute? Ist 50Hertz noch in dem Prozess oder ist das Unternehmen inzwischen konsolidiert, sodass Sie jetzt anfangen können, im HR-Kerngeschäft mit hundert Prozent zu arbeiten?
Ich glaube, wir haben schon mit mehr als hundert Prozent die letzten Jahre gearbeitet. Wir haben mit fünf Personalreferenten und einem Leiter Rekrutierungsstrategie letztes Jahr 120 Arbeitsverträge geschlossen. Ich hoffe, dass wir jetzt, wo unser Wachstum ein bisschen ruhiger wird und die Prozesse alle stehen, in die Phase kommen, in der wir uns stärker um das Thema Arbeitgebermarke kümmern und gleichzeitig in das Qualitätsmanagement für unsere neuen Standards gehen können. Wir wollen uns auch noch stärker um unsere eigenen Nachwuchsprogramme und Ausbildungswege kümmern.

Wie haben Sie diese Veränderungen kommunikativ begleitet?
Ein gutes Beispiel dafür ist das Thema Netzquartier, in dem sich auch der Wandel bei uns im Unternehmen ausdrückt. Wir haben uns bei der Gestaltung des neuen Hauses für einen sehr partizipativen Prozess entschieden. Es arbeiten fast 80 Mitarbeiter in den unterschiedlichsten Formen daran mit. Vom Nutzergremium, das zur Möbelmesse fährt, bis hin zu den IT-Kollegen, die mit einem Sicherheitsberater ihr Rechenzentrum möglichst angriffssicher ausrüsten.

Der Name „Netzquartier“ klingt ja schon etwas ungewöhnlich.
Das ist auch ein Ergebnis dieses partizipativen Prozesses. Ich erinnere mich noch gut an die Jurysitzung, als wir den Entwurf ausgesucht haben. Es sollte ja etwas sein, wo wir uns auch zuhause fühlen. Aber nicht nur wir, die da fast jeden Tag arbeiten, sondern alle 50Hertzler – also auch die, die aus den Flächenstandorten reinkommen. „Quartier“ geht ja so ein bisschen mehr zu: „Wo lass ich mich nieder?“ Und „Netz“ war wichtig, weil wir ja die „Netzer“ sind.

Welcher Anteil am Gesamtkonzept war dann tatsächlich mitbestimmt?
Im Architektenwettbewerb war die Mitarbeiterbeteiligung natürlich zahlenmäßig begrenzt. In der Feinplanung im Gebäudeinnern haben wir aber alle Teams beteiligt. Alle haben ihre Flächen selber geplant, allerdings mit einer begrenzten Anzahl von Modulen, damit es beherrschbar bleibt. Das war alles plastisch in 2D simuliert und wir konnten sagen, was wir wo machen wollen. Und dann passierten zwei Dinge: Erstens haben wir uns so schon einmal haptisch mit dem Gebäude auseinandergesetzt. Und dann haben wir zweitens auch mal überlegt, wie genau wir eigentlich arbeiten wollen, wer mit wem kommuniziert. Und das ist der viel größere Gewinn. Auf immer der gleichen Grundfläche sind völlig unterschiedliche Lösungen entstanden.

Wir sprechen jetzt von der Unternehmenszentrale, wie haben Sie die Regionalzentren in den Change einbezogen?
Dort hat sich auch eine Menge getan. Die Mitarbeiter haben, was das neue Gebäude betrifft, genauso einen Nutzerworkshop gemacht wie alle anderen. Sie mussten auch sagen, was sie brauchen, wenn sie zu Besuch gekommen sind. Aber auch generell haben sich unsere mittlerweile sieben Regionalzentren deutlich verändert.

Sie haben die Rolle der Fachgebietsleiter als unterste Führungsebene eingeführt?
Ja, aber wir haben ein bisschen mehr gemacht. Wir haben uns die Frage gestellt, wie denn die Arbeitsaufteilung zwischen der Zentrale und den Regionalzentren eigentlich ist. Und da ist im Rahmen von „Power“ immer ein englisches Modewort durch das Haus gegangen: „Empowerment“, also die Delegation von Verantwortung. Das Konzept haben wir sehr ernst genommen, das Wort nicht. (lacht)

Es sollte also mehr Verantwortung in die Fläche gehen?
Ja. Die traditionelle Unternehmensstrategie war eher so, dass es eine Steuerungszentrale gab und in den Regionalzentren ausgeführt wurde. Und so war auch die Struktur aufgestellt, fast zehn Jahre lang. Jetzt haben wir aber sehr viel mehr Projekte und Investitionen, sodass sich einfach auch ganz praktisch die Frage stellte, ob das noch eine so schlaue Idee ist in einer Flächenorganisation, dass der verantwortliche Ingenieur in der Zentrale sitzt oder ob man das nicht besser vor Ort macht mit Menschen, die die örtlichen Gegebenheiten kennen.

Wie ist das aufgenommen worden?
Das war ein Riesenschritt für das Haus. Und da ist das Erbe der ostdeutschen Energiewirtschaft noch einmal sehr spürbar geworden für alle. Es gibt eine gefühlte Analogie zwischen Reorganisation und Restrukturierung. Das war gedanklich ganz fest verbunden und aus früherer Erfahrung natürlich negativ belegt. Das haben wir aufgebrochen. Wir haben die Organisation zwar geändert, aber wir haben alle Mitarbeiter mitgenommen. Wir haben die Teams so umgebaut, dass sie sich bei nahe aneinander liegenden Fachthemen besser gegenseitig vertreten können und wir haben eine neue Säule, ein neues Team geschaffen, das auch Projekte durchführt, um eben diese dezentralen Projektingenieure zu haben.

Und die Fachgebietsleiter?
Eines der Elemente war, dass wir aus den bisherigen Teamleitern, die Tarifangestellte waren, gleichzeitige aber eine Art Führungsverantwortung hatten, echte Fachgebietsleiter gemacht haben, wie es sie eben in der Zentrale auch gibt. Und das hieß auch, dass wir sie mit einem Auswahlverfahren ausgesucht haben. Und nicht immer ist der alte Teamleiter dann der Fachgebietsleiter geworden.

Der Wandel in Ihrem Unternehmen fällt ja nun fast zeitgleich mit dem grundlegenden Umbruch im ganzen Energiesektor zusammen. Welche Herausforderungen bringt die Energiewende für Sie? Sie haben ja Investitionsmargen von mehreren hundert Millionen Euro jedes Jahr.
Da geht es einerseits um Verlässlichkeit, die auch gesellschaftlich eine der Kernanforderungen an uns ist. Gleichzeitig geht es auch darum, agil zu bleiben und viele Stakeholder mit vielen wechselnden Ansprüchen zufriedenzustellen. Das kann ein Netzentwicklungsplan sein, wo Sie mit drei verschiedenen Szenarien arbeiten müssen, die sich jedes Jahr ändern. Dann kommt ein EEG 2.0 und alles ändert sich nochmal. Da ist gedanklich an Agilität schon einiges zu leisten. Und dann verändern sich Berufsbilder zum Teil grundlegend. Ich weiß nicht, ob wir vor Jahren schon daran gedacht haben, dass wir Spezialisten für Europaregulierung brauchen würden oder dass wir einen Stromhandel hier im Haus haben. Die Herausforderung ist dann, das alles zusammenzuhalten.

Was macht es mit Ihrer Personalstrategie, dass gerade beim Netzausbau die Verfahren und die politische Willensbildung ja doch sehr unstet sind?
Das Thema langfristige Personalplanung ist eine echte Herausforderung, das sage ich Ihnen ganz offen. Und wir verdanken der Politik mit der 63er-Rentenregelung auch eine ganze Menge Unsicherheit. Für hoch qualifizierte und spezialisierte Mitarbeiter, die irgendwo zwischen 63 und 67 dieses Haus verlassen werden, können Sie ganz schlecht Nachfolgen planen. Wir verhandeln aber gerade eine größere Vereinbarung zum Thema Workability, die auch das Thema Demografiemanagement beinhaltet.

Sie haben einmal gesagt, 50Hertz müsse Wachstum lernen. Was steckt dahinter?
Das entstand einerseits in der Situation, in der wir das erste Mal gemerkt haben, dass die Strukturen und Prozesse mit uns mitwachsen müssen. Im Personalbereich hat das auch ganz praktische Gründe. Wir haben letztes Jahr unsere Betriebsräte in den Regionalzentren in Richtung Einstellungsgespräche geschult. Die hatten ja seit Jahren an keinen mehr teilgenommen. Da gab es Leute, die hatten viel mehr Erfahrung mit Sozialplänen als mit Assessment Centern. In den 1990er Jahren ist das Netz aufgrund der Deindustrialisierung der ehemaligen DDR rückgebaut worden. Und jetzt sind wir seit einiger Zeit in einer völlig umgedrehten Situation.

Dass Veränderung nicht nur Abbau bedeutet?
Ja, aber auch, wie wir generell damit umgehen. Wir werden größer, es kommen neue Menschen in das Team. All das hat ja in einem sehr kleinen Kontext ein erstes Mal. Und es gab sehr viele erste Male. Vor 20 Jahren war das Stromnetz auch noch relativ einfach aufgebaut im Vergleich zu heute. Es gab ein Gebietsmonopol inklusive Stromerzeugung. Da wurde vielleicht mal nachgeregelt, um eine Bilanz auszugleichen. Seit der Liberalisierung Ende der 90er und mit Zunahme der Erneuerbaren – fast 40 Prozent in unserem Netz – hat sich das System total verändert. Heute ist alles viel horizontaler. Kooperation ist nötig geworden und das zusammen mit Wachstum ändert auch mental ganz viel.

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren
Sven Pauleweit

Sven Pauleweit

Ehemaliger Redakteur Human Resources Manager

Weitere Artikel