Wie wirksame Entwicklung von Führungskräften effizient funktionieren kann, hat die Wissenschaft in den letzten 20 Jahren sorgfältig herausgearbeitet – jedoch setzen zu wenige Unternehmen diese Erkenntnisse um. Es wird Zeit für mehr evidenzbasierte Praxis.
In Unternehmen werden oft Personalentwicklungsmaßnahmen durchgeführt, von denen völlig unklar ist, ob sie den beabsichtigten Nutzen haben oder nicht. Dieser Widerspruch zwischen den Möglichkeiten wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Praxis ist in anderen Bereichen völlig undenkbar. In der Medizin beispielsweise sichert seit Jahren die sogenannte evidenzbasierte Praxis, dass nur Medikamente, deren Nutzen durch jeweils mehrere Studien ausreichend belegt wurde, bei Patienten eingesetzt werden. Auch ein evidenzbasiertes HR-Management ist möglich und sinnvoll, um einen effektiven Beitrag zur Wertschöpfungskette im jeweiligen Unternehmen zu leisten.
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Egoismus in Engagement verwandeln
Während es zahllose Ratgeber und Angebote im Bereich Personalführung gibt, kristallisieren sich nach kritischer wissenschaftlicher Würdigung nur wenige effektive Ansätze heraus. Zudem gibt es aktuell keinen Ansatz, bei dem die Wirksamkeit besser belegt ist, als bei der transformationalen Führung: Es liegen circa 250 empirische Studien von unabhängigen Wissenschaftlern aus der ganzen Welt vor, die positive Zusammenhänge zwischen der transformationalen Führung und den Leistungskriterien der geführten Mitarbeiter belegen. Auch situationsübergreifend – zum Beispiel in Bezug auf die Branche, die Hierarchieebene oder die Landeskultur – ist die transformationale Führung wirksam, denn die grundlegende Herausforderung von Führungskräften ist in den meisten organisationalen Kontexten dieselbe. Damit zählt die transformationale Führung zu den Ansätzen des evidenzbasierten Managements.
Transformationale Führungskräfte transformieren die Einstellungen und Werte der geführten Mitarbeiter, sodass egoistische Denk- und Handlungsmuster abgelegt und organisationsbezogene Muster wie Engagement und Teamgeist aufgebaut werden. Dies gelingt den transformationalen Führungskräften durch sechs Verhaltensweisen.
„Es liegen circa 250 empirische Studien von unabhängigen Wissenschaftlern aus der ganzen Welt vor, die positive Zusammenhänge zwischen der transformationalen Führung und den Leistungskriterien der geführten Mitarbeiter belegen.“
Zunächst regen sie Mitarbeiter intellektuell an, um Prozesse, Dienstleistungen und Arbeitsroutinen kritisch zu hinterfragen und um – neue und eigene –Lösungen zu entwerfen (Intellektuelle Anregung). Auch berücksichtigen sie die jeweilige Gefühlslage ihrer Mitarbeiter und reagieren respektvoll, indem zum Beispiel mehr Ressourcen für Mitarbeiter mit aktuell negativen Gefühlen bereitgestellt werden. Voraussetzung für diese Art der Unterstützung ist eine vertrauensvolle, individuelle Beziehung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft.
Eine weitere Verhaltensweise ist die hohe Leistungserwartung, die impliziert, dass das Leistungspotenzial eines Mitarbeiters erstens individuell und zweitens im Dialog besprochen wird, um das Vertrauen des Mitarbeiters in neue und gegebenenfalls höhere Leistungsbereiche Schritt für Schritt aufzubauen. Transformational Führende fördern neben den Individualzielen auch Gruppenziele wie zum Beispiel den Teamgeist und gegenseitige Unterstützung.
Jürgen Klopp führt transformational
Der transformationalen Führung gegenübergestellt wird oft der transaktionale Führungsstil. Dieser passt zum Management-by-Objectives-Ansatz, der für die Umsetzung und Konkretisierung von kurz- und mittelfristigen Zielen gut funktioniert. Jedoch greift er zu kurz: Es fehlt ein langfristiger Zeithorizont und eine wertebasierte Vision, die Lust auf zusätzliches und zukünftiges Engagement macht. Diese Aspekte gehen über transaktionale Führung deutlich hinaus und werden der transformationalen Führung zugeordnet. Große Unternehmen wie zum Beispiel die Deutsche Bahn und Ricoh Deutschland sind inzwischen unternehmensweit auf das Modell der transformationalen Führung umgestiegen. Auch erfolgreiche Fußballtrainer, wie beispielsweise Jürgen Klopp, führen in Übereinstimmung mit der transformationalen Führung.
Maßnahme zur Steigerung der transformationalen Führung
Das Führungskräftetraining für transformationale Führung ist von mehreren Experten in unterschiedlichen Ländern kritisch durchleuchtet worden. So untersuchten zum Beispiel kanadische Wissenschaftler dessen Wirksamkeit anhand von Führungskräften einer Bank. Sie stellten dabei fest, dass die Mitarbeiter der Führungskräfte, die an dem Training teilnahmen, anschließend mehr Umsatz erzielten als diejenigen Mitarbeiter, deren Führungskräfte nicht am Training teilnahmen.
Das Training kombiniert – neben theoretischem Input – mehrere evidenzbasierte Methoden: Erstens liefert das Führungsstil-Feedback Erkenntnisse über die Stärken und Entwicklungspotenziale jedes einzelnen Trainingsteilnehmers. Da das Feedback auf wissenschaftlich fundierten Instrumenten basiert, sind die angegebenen Werte verlässlich und interpretierbar. Dies ist bei vielen anderen Instrumenten, die in der Praxis eingesetzt werden, oft nicht der Fall, da zum Beispiel die Messgenauigkeit und die Übereinstimmung der Beurteiler nicht überprüft werden (bewerten zwei Mitarbeiter ihre Führungskraft unabhängig voneinander übereinstimmend?).
Der Feedback-Bericht
Zudem liefert der Feedback-Bericht ein deutliches Bild über vorhandene Unterschiede zwischen Selbstbild (eigene kognitive Vorstellung über das Führungsverhalten) und Fremdbild der Mitarbeiter (Einschätzung des Motivationspotenzials des gezeigten Verhaltens). Die daraus erkennbaren Differenzen ergeben oft überraschende Einblicke, die bei den Führungskräften Lernprozesse auslösen.
Die Methode des Führungsstil-Feedbacks wurde anhand von mehreren Studien als wirksam für die Entwicklung von Führungskräften herausgestellt. Dabei zeigte sich, dass unabhängig von dem jeweiligen Führungsparadigma eine Verhaltensveränderung erzielt wird, wenn die verwendeten Fragebögen eine hohe wissenschaftliche Güte wie Messgenauigkeit aufweisen. Bei der Konstruktion des Führungskräftetrainings in transformationaler Führung wurde daher in einem ersten Schritt auf diese bewährte Entwicklungsmethode zurückgegriffen.
Restrukturierung der Vorstellung über effektive Führung
Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Führungskräftetrainings in transformationaler Führung ist die Restrukturierung der Vorstellung über effektive Führung. Im Training werden die Führungskräfte zunächst gebeten, selbst aus ihrer Erfahrung über effektive und ineffektive Führungsverhaltensweisen zu berichten. Diese Erfahrungen werden vom Trainer gesammelt und geben erfahrungsgemäß als Summe zu einem hohen Prozentsatz die Inhalte der sechs Dimensionen der transformationalen Führung wieder. Dieser Aha-Effekt führt dazu, dass sich die Teilnehmer nicht belehrt fühlen, sondern ihre eigenen Erfahrungen mit dem wissenschaftlichen Gerüst besser verstehen können.
Im Training findet drittens die etablierte Methode der Zielsetzung statt. Jeder Teilnehmer setzt sich – mit Hinblick auf die im Feedback-Bericht erkennbaren Entwicklungspotenziale – spezifische Ziele, um das jeweilige Verhalten nach dem Training gezielt zu verbessern. Diese Methode der Zielsetzung stellt ebenfalls – wie die oben beschriebene Methode des Führungsstil-Feedbacks – einen wissenschaftlich gut abgesicherten Weg zur Verhaltensveränderung von Führungskräften dar. Das bedeutet, dass auch unabhängig vom jeweiligen Führungsstil-Paradigma eine Verhaltensveränderung erreicht werden kann, wenn die gesetzten Ziele einer Reihe von Kriterien genügen. Hierzu zählt, dass die Ziele spezifisch, messbar, subjektiv attraktiv für die jeweilige Person, realistisch umzusetzen und erreichbar sind, sogenannte SMARTE Ziele.
Lernerfolg durch kollegialen Austausch
Als Transfersicherung dienen zahlreiche Tools und praxiserprobte Methoden, die bei der Umsetzung der transformationalen Führung im komplexen Führungsalltag helfen. Diese werden in Einzel- oder Gruppenübungen ausprobiert und diskutiert. Schließlich fördert der Austausch mit Kollegen die Wirksamkeit des Trainings. Die Frage „Wie machst Du das?“, die im Training oft eingeworfen wird, liefert praxisnahe Erfahrungswerte, die zum Lernen anregen. Bei jeder der transformationalen Verhaltensweisen spielen kontextspezifische Besonderheiten, beispielsweise aktuelle Prozess- und Produktentwicklungen oder Unternehmenskultur und –strategie, eine wichtige Rolle. Unter Moderation des Trainers werden diese unternehmensspezifischen Details der Führung herausgearbeitet. Zudem wird deutlich gemacht, wie der Prozess der effektiven, transformationalen Führung auf diese Spezifika anzuwenden ist.
Schließlich helfen Lernpartnerschaften unter den Teilnehmern, eine soziale und fachliche Unterstützung aufzubauen, sodass bei den Teilnehmern Motivation zur Umsetzung des Gelernten im Alltag aufgebaut wird.
Hindernisse
Evidenzbasierte Praxis ist also möglich. Auf die Frage, warum denn nicht mehr Unternehmen Erkenntnisse aus der Wissenschaft nutzen, um die Entwicklung von Führungskräften zu optimieren, lassen sich mindestens drei Antworten geben: Erstens sind in Personalabteilungen oftmals nicht die aktuellen Erkenntnisse der Wissenschaft vorhanden – und das oft in Lehrbüchern nichts zur evidenzbasierten Personalarbeit etwas gesagt wird, tut sein Übriges. Zweitens sind Unternehmensberatungen sehr gut darin, die von ihnen selbst erstellten Personalentwicklungsmaßnahmen zu verkaufen, auch ohne zu berichten, ob es von unabhängigen Experten erarbeitete Belege für eine Wirkung der jeweiligen Maßnahme gibt.
Dabei stellen die jeweiligen Kunden, die von den Unternehmensberatungen Entwicklungsmaßnahmen für Führungskräfte einkaufen, auch oft zu wenig kritische Fragen hinsichtlich potenzieller Nachweise zur Effektivität. Es fehlt also drittens das Problembewusstsein bei den Personalern, dass nicht alles Gold ist, was als glänzend von den Unternehmensberatungen angeboten wird.
Jens Rowold entwickelte das Modell der integrativen Führung: Es fasst die Ergebnisse empirischer Studien zusammen und richtet sich nach Fakten, die von unabhängigen Experten in Unternehmen gesammelt wurden. Sein Beitrag bildet den Kontrapunkt in der meinungsbasierten, hitzigen aber auch wertvollen Debatte über Führung (erschienen in Heft 28/2014 – Lernen).