„Ich bin einfach ein Freiheitsfreund“

Leadership

Vermessen, gesteuert, fürsorglich belagert: In den Unternehmen besteht gegenüber den Menschen ein Übermaß an Zudringlichkeit. Dieser Meinung ist zumindest Reinhard K. Sprenger. Der Managementberater zeigt sich besorgt, dass es hierzulande immer häufiger an „anständigen Unternehmen“ fehlt.

Wer die Bücher von Reinhard Sprenger liest, der merkt schnell, dass da jemand schreibt, dem Sprache wichtig ist: In seinen Augen muss sie genau sein und sie muss ästhetische Ansprüche erfüllen. Das gelingt ihm, weshalb seine Bücher auch Spaß machen – auch deshalb, weil Sprenger kein Blatt vor den Mund nimmt. Es gibt wenige Autoren, die so klar und radikal in der Sprache sind. Er selbst sagt, er halte es für katastrophal, in welche Richtung sich unser Sprachverhalten entwickelt. „Wir sprechen die Dinge nicht mehr klar an, sondern immer politisch korrekt. Das sehe ich auch in den Unternehmen.“

Herr Sprenger, was das Thema „Arbeit und Organisation“ angeht, ist momentan viel in Bewegung. Zumindest wird eine Menge diskutiert – vor allem unter dem Schlagwort „New Work“. Manche sehen schon die Demokratie in die Unternehmen einziehen. Haben Sie den Eindruck, wir stehen in Sachen Führung und Organisation vor einer Zeitenwende?
(lacht) Das kann ich nicht sagen. Sicher wird uns die Arbeit nicht ausgehen, Menschen sind vollumfänglich nicht ersetzbar. Und ich denke, dass die Probleme in Bezug auf das Miteinanderarbeiten auch in Zukunft ähnlich sein werden. Lediglich die Rahmenbedingungen sind andere. Digitalisierung und Algorithmisierung als Stichworte. Bei anderen Dingen, die manche Arbeitswissenschaftler behaupten, bin ich skeptisch. Ich bin kein Technofatalist. Ich glaube auch nicht, dass die Menschen nicht mehr zur Arbeit gehen, weil angeblich die Arbeit zu den Menschen kommt. Organisatorisch ist das Unternehmen noch immer um den Kooperationsvorrang herum gebaut. Und Zusammenarbeit, die diesen Namen verdient, muss räumlich und zeitlich beobachtbar sein. Das ist unser biologisches Gepäck, alles andere ist anthropologisch naiv. Deswegen werden wir uns nicht in virtuellen und lediglich koordinativen Welten auflösen. Die fundamentalen und für Westeuropa wohlstandstragenden Prozesse, wie zum Beispiel das Kreative, das Qualitative, auch das Logistische, all das steht in naher Zukunft nicht vor disruptiven Veränderungen.

Was ich eher meine, ist eine Sehnsucht bei vielen Menschen nach einer anderen Art zu arbeiten, wofür der Begriff „New Work“ ein Stück weit steht. Sie kommen in Ihrem Buch über das anständige Unternehmen ganz ohne solche Schlagwörter aus. Dennoch finde ich, dass auch Sie der Sehnsucht nach einer „besseren“ Arbeit und Organisation eine Stimme geben.
Sehnsucht sucht das Beste im Abwesenden. Falls ich es auf einen Begriff bringen müsste, was diese Sehnsucht bündelt, dann wäre es Anstand. Daran fehlt es im Unternehmen. Der Prozess des modernen Organisierens hat zivilisatorische Gewinne erodieren lassen. Ja, man versteht das moderne Unternehmen in moralphilosophischer Hinsicht nur, wenn man seine institutionelle Zudringlichkeit begreift. Dagegen erhebe ich die Stimme. Wer darin die Sehnsucht nach einer anderen Form des Arbeitens sieht, dem würde ich nicht widersprechen. Ich ziele aber nicht auf einen positiven Endzustand, ich glaube nicht an ein Arbeitsparadies auf Erden.

Wie zum Beispiel Frederic Laloux mit seinem Buch „Reinventing Organizations“?
Ja und viele andere. Es gibt eine Menge Leute, die irgendwas von Demokratie in Unternehmen erzählen und dabei Eigentumsrechte ausblenden. Wenn Sie so wollen, bin ich da ein bisschen pragmatischer. Sie können es aber auch reaktionär nennen.

Grenzen Sie sich bewusst ab oder haben Sie schlicht eine andere Herangehensweise?
Ich bin einfach ein Freiheitsfreund. Und der orientiert sich immer an dem, was zu vermeiden ist und nicht an etwas visionär Gutem , was es zu erreichen gilt. Denn das halte ich für das Einfallstor des Totalitarismus.

Was treibt Sie an? Ist es, dass der Mensch als Freiheitswesen anerkannt wird?
Ja, das ist ganz sicher so. Meine Triebkraft ist immer die Idee des Freiheitswesens gewesen – schon in den Studientagen. Nichts hat mich mehr geprägt als Robert Nozicks: „Anarchie, Staat, Utopia“. Und natürlich die Auseinandersetzung mit Rudolf Steiner, den Begründer der Anthroposophie. Und diese Geisteswurzeln haben sich unter den gesellschaftlichen Bedingungen der Gegenwart mitunter zu Zorn verdichtet.

Aber dennoch proklamieren Sie nicht den Menschen als Unternehmer, sondern Sie versuchen ihn mit der Organisation zu versöhnen.
Wenn Sie ins Extreme gehen, wird alles falsch. Und Wahrheit findet sich nur im Widerspruch. Deshalb renne ich nicht irgendwelchen Heldenideen hinterher, sondern bin bereit für Fließgleichgewichte, für das Sowohl-als-Auch, für Kompromisse. Schwierig wird es für mich nur, wenn die Übergriffigkeit des Unternehmens den Menschen mehr zur Konformität drängt als zur Initiative. Und damit als Freiheitswesen geradezu dementiert.

Ihr Buch durchzieht der Begriff des Anstandes. Ein Begriff, der erst einmal ein bisschen altbacken klingt und den man eher mit Individuen als mit Organisationen in Verbindung bringt. Warum haben Sie den Begriff gewählt?
Wegen der gemeinsamen Sprachwurzel mit dem Wort Abstand. Für mich ist der Aspekt des Abstandhaltens der Kern von Anstand. Es gilt, eine Distanz zu halten, nicht zudringlich sein. Diese innere, menschliche Haltung wird für mich im Begriff „Anstand“ am besten ausgedrückt. Dass das ein alter Jargon ist, habe ich in Kauf genommen. Ich finde es aber auch ganz schön, solche unmodernen Begriffe wieder zu etablieren.

Ihre Definition des Anstands ist eher ungewöhnlich. Sie schreiben, dass Unternehmen mittlerweile einen Überschuss an Zudringlichkeit erzeugen. Im Prozess des modernen Organisierens seien mehr Distanzen, zum Beispiel in Form von Freiräumen, verschüttet worden, als es sich mit der Idee des „anständigen“ Unternehmens vereinbaren lässt. Wie ist es dazu gekommen?
Der Prozess des Organisierens war schon immer die Vernichtung von Alternativen. Aus einem „so oder so“ macht der Prozess des Organisierens ein „nur so“. Und das nennt sich dann Policy oder Richtlinie. Die Verengung von Freiräumen hat aber in den vergangenen Jahren massiv zugenommen, wesentlich getrieben durch Globalisierung, Größenwachstum und Komplexität. Man kann fast von einem Vertreiben des Menschen aus der Organisation sprechen. Das Maß dessen, was genormt, normiert und ihm vorgeschrieben wird, spiegelt jedenfalls ein explodierendes Kontrollbedürfnis.

Aber gibt es nicht gleichzeitig eine Gegenentwicklung – ein Mehr an Freiraum für Mitarbeiter und Führungskräfte in den Unternehmen? Sogar in den Konzernen schaut man auf die Startups und versucht Elemente deren Arbeitsweise zu kopieren – bis hin zur Gründung von Startup-Inkubatoren.
Auf der Ebene der Lippenkenntnisse ist das so. Wenn ich mir jedoch die konkrete Verfasstheit der Unternehmen anschaue, die ich als Berater von innen kenne, dann ist Erniedrigungsbürokratie die Regel. Und die Ausnahme sind die Aspekte, die Sie gerade genannt haben. Die Inkubatoren werden ja außen vor gehalten, sie existieren neben den Konzernen und sind nur durch eine Dotted-Line angebunden. Es kann aber durchaus sein, dass die Unternehmen sich zukünftig genötigt sehen, tatsächlich Spiel- und Freiräume aufzumachen, um wenigstens renitente Reste der unternehmerischen Energie zur Entfaltung zu bringen. Das vermag ich nur zu hoffen, nicht zu prognostizieren.

Wenn es Veränderungen in Richtung mehr Vertrauen und Freiraum gibt, dann weil der Markt die Unternehmen dazu zwingt?
Dem stimme ich vollumfänglich zu. Es hat sich noch nie etwas geändert, wenn ich einen Vortrag gehalten und ein Buch geschrieben habe. Sondern nur die Märkte, sowohl der Absatz- als auch der Personalmarkt, können einen Wandel erzwingen. Wenn ich höre, dass Bosch alle individuellen Anreizsysteme abgeschafft hat, dann ist das für mich zwar ein verspäteter Triumph. Aber die Abkehr von dieser Überinfantilisierung hat sicher nicht stattgefunden, weil irgendein Top-Manager von Bosch mein Buch „Mythos Motivation“ von 1991 gelesen hat.

Bosch sind nicht die Einzigen.
Nein, es werden immer mehr.

Aber das zeigt ja, dass es einen Trend in Richtung Teamorientierung und Freiraum gibt.
Es wäre schön, wenn es so wäre. Es gibt sicherlich positive Entwicklungen. Viele Instrumente und Institutionen klingen zwar vernünftig, sind aber invasiv und zielen auf Totalinklusion. Da müssen wir dringend dagegen halten. Vor allem zeigt sich, dass alles, was in den Unternehmen aus scheinbarer Vor- und Fürsorge passiert, in seinen Spätfolgen alles andere als menschenfreundlich ist.

Wieso muss Distanzlosigkeit etwas Negatives sein? Die Identifikation mit dem Unternehmen ist ein Beispiel für fehlende Distanz. Geht diese Identifikation nicht aber in der Regel einher mit Leistung und Motivation?
Wenn ich erwarte, dass Leistung und Gegenleistung ausgeglichen sind, dann ist das eine Sache der Vereinbarung zwischen zwei Menschen, die sich auf Augenhöhe begegnen und sich auf einen Tausch einlassen. Die Idee der Identifikation verschleift diese Grenze, sie ist insofern übergriffig. Sie würde bedeuten, dass das Individuum die Unternehmensziele gewissermaßen internalisiert und ein Teil des Unternehmens wird. Letztlich sind diese Identifikationsversprechen der Unternehmen Ewigkeitsangebote: „Identifiziere Dich mit dem Unternehmen und Du musst nicht sterben.“

Sie sagen, in den Unternehmen werden keine Grenzen mehr eingehalten. Wie sieht das beispielsweise aus?
Vieles, was ich in den Unternehmen als problematisch erlebe, geht in Richtung psychischer Dichtestress. Aktuell kann man es zum Beispiel im Bereich der Gesundheit erleben.

Ist doch gut, dass die Unternehmen sich kümmern und verantwortungsbewusst handeln.
Genauso wie die Frauenquote den Staat nichts angeht, geht meine Gesundheit das Unternehmen nichts an. Dieser gesundheitliche Verbesserungsfuror ist nur ein weiterer Schritt zum freundlichen Umerziehungslager. Es reiht sich ein in eine breite Bevormundungskultur, die im Namen von Moral, Sicherheit, Ökologie oder eben Gesundheit eine der wesentlichen Errungenschaften in westlichen Demokratien unterläuft, und das ist die Trennung von privat und öffentlich. Wir sind dabei, unsere Freiheit einem Perfektionstraum auszuhändigen, aus dem wir vielleicht nicht mehr erwachen werden.

Spielt es eine Rolle, ob der Einzelne das so wahrnimmt, wie Sie sagen, oder voller Freude und Dankbarkeit an dem Gesundheitsprogramm des Unternehmens teilnimmt?
Wenn ein Mensch das so nicht sieht, dann würde ich ihn auch nicht „krankbeten“ wollen. Dazu ist mein Respekt vor dem Einzelnen zu groß. Ich würde ihn aber wenigstens auf die Spät- und Nebenwirkungen hinweisen.

Ihr Buch ist aufgebaut entlang von fünf Prinzipien der anständigen Unternehmensführung. Neben dem Prinzip „Betrachte Mitarbeiter nicht als bloßes Mittel“, das ich eingängig finde, hat mich ein anderes überrascht: „Versuche nicht, Menschen zu verbessern.“ Ist das nicht ein Credo vieler Führungskräfte, ihre Teams jeden Tag ein Stück besser zu machen?
Zunächst einmal sind Teamleistung und Einzelleistung zu unterscheiden. Aber sollten wir, wenn wir etwas verändern wollen, am Individuum hebeln? Nein. Manager sollten eher einen institutionellen Arbeitsrahmen gestalten, der es ermöglicht, dass sich das „Sosein“ des Individuums als seine Stärke offenbart oder eine Stärke wird. Stattdessen erlebe ich fast reflexhaft die Individualisierung struktureller Schieflagen. Widersprüche und Schwierigkeiten werden dem Einzelnen in die Schuhe geschoben. Häufiger müsste geschaut werden, ob der institutionelle Rahmen das Gewünschte oder Verbesserte nicht massiv entmutigt. Sie können zum Beispiel keine Zusammenarbeit erwarten, wenn das Gehaltssystem Einzelleistungen betont.

Das „Feedback geben und nehmen“ ist für Sie eines der besten Beispiele für Distanzlosigkeit. Sie sagen Feedback funktioniert in den Unternehmen nicht. Aber ohne Feedback kann keiner vor sich hinarbeiten, oder?
Wogegen ich mich wende, ist in erster Linie ein oktroyiertes, zentralisiertes und rhythmisiertes Feedback. Das institutionalisierte Feedback, wie man es in der Regel in den meisten Unternehmen findet, hat erhebliche Spät- und Nebenwirkungen. Es schadet mehr als das es nutzt. Weil es zwar von Lernen spricht, aber Anpassen meint. Und es sagt mehr über den Feedbackgeber aus als über den Feedbacknehmer. Im Sinne der Zusammenarbeit bräuchten wir eher Team-Workshops, in denen wir eine gemeinsame Wirklichkeit mit Blick auf den Kunden generieren.

Nochmals zu meiner Anfangsfrage: Ich sehe vermehrt junge Menschen, die sich zusammentun und ein gemeinsames Startup gründen. Sie haben gemeinsame Interessen und gemeinsame Werte. Bewegt sich die deutsche Wirtschaft nicht schon langsam in eine Richtung, in der der Freiraum des Einzelnen respektiert wird?
Welchen Anteil haben diese Startups tatsächlich an der deutschen Wertschöpfung? Es gibt sicherlich eine Startup-Kultur, die vielleicht auch eine neue Art des Miteinanderumgehens ermöglicht. Ich bin jedoch ziemlich sicher: In dem Moment, in dem solche Unternehmen wachsen, werden sie diese Kultur verlieren. Sie werden strukturell kundenfeindlicher und eine entsprechende Erstickungsbürokratie aufbauen –
so wie die großen Unternehmen.

An manchen Stellen dreht sich der Arbeitsmarkt in Richtung eines Arbeitnehmermarktes. Werden sich nicht zumindest die Individuen, die eine starke Position haben, immer gegen die von Ihnen genannte Unterwerfung des Unternehmens wehren, weil sie jederzeit woanders hingehen können?
Das war schon immer meine Hoffnung und an der halte ich auch fest. Nur der Markt diszipliniert.

Manche Unternehmen verbiegen sich bis zum Gehtnichtmehr, um bestimmte Softwareentwickler zu bekommen.
Ja, das höre ich auch immer wieder. Ich kenne jedoch auch das Beispiel der Ingenieure. Da wird immer wieder über Fachkräftemangel gejammert. De facto gibt es keinen. Wenn es nämlich so wäre, würden die Einkommen der Ingenieure explodieren. Das geschieht aber nicht, sie sind sogar tendenziell rückläufig. Und ich glaube eher an die Signale des Marktes als an das, was auf Konferenzen erzählt wird.

Geht die ganze Diskussion um „New Work“ an der Realität vorbei?
Nein. Ich sehe zwar im Moment noch keine relevanten Prozentsätze der deutschen Wirtschaft mit „einer neuen Mentalität“. Ich denke allerdings schon, dass da eine kluge Störung kommt, eine Alternative des Andersmachens aufscheint. Vielleicht sogar ein Paradigmenwechsel. Und wir wären gut beraten, wenn wir viele Dinge im Unternehmen einfach nicht mehr machen würden.

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren

Weitere Artikel