Die variable Vergütung ist weiter auf dem Vormarsch. Auch weil eine leistungsbezogene Differenzierung der Mitarbeiter motivierend wirkt. Doch die konkrete Gestaltung der Bonussysteme – allen voran die individuelle Komponente – stellt Unternehmen immer wieder vor große Probleme.
Zwei Erkenntnisse konnte man durch die Finanzkrise in Bezug auf Boni gewinnen. Erstens: Die Anreize wirken. Zweitens: Die Banken haben bei der Gestaltung ihrer variablen Vergütungssysteme Fehler gemacht.
Im Zuge der Krise wurde viel gegen Boni gewettert. Auch viele Unternehmen selbst waren unzufrieden mit ihren Vergütungsprogrammen. Dennoch hat das nichts an der grundsätzlichen Beliebtheit der variablen Vergütung geändert. Im Gegenteil. „In den Unternehmen nehmen immer mehr Gruppen an variablen Vergütungssystemen teil“, sagt Michael Kramarsch, Managing Partner der Vergütungsberatung Hostettler, Kramarsch & Partner (HKP), „man kann auch sagen: Immer mehr Leute erhalten variable Vergütungselemente zu immer größeren Anteilen.“ Ein Ende des Trends ist nicht in Sicht.
Die Erwartungen, die Unternehmen mit der variablen Vergütung verbinden, sind groß. Jedes Unternehmen strebt danach, das Verhalten der Mitarbeiter zu steuern und auf die Unternehmensziele auszurichten, klar zu machen, was der Firmenleitung wichtig ist. Und im Vergleich zu anderen verhaltenssteuernden Instrumenten kann die variable Vergütung vergleichsweise leicht gestaltet werden.
Ein anderes Augenmerk gilt dem Kostenaspekt. Gerade in volatilen Zeiten wie diesen wird es wichtig, mehr Flexibilität bei den Personalkosten zu erreichen. Ein solches Versprechen kann die variable Vergütung geben.
Kombination der Ziele
Und nicht zu vergessen: das Thema Motivation. Unternehmen haben mit ihren Vergütungsprogrammen in der Regel immer auch das Ziel, großes Mitarbeiterengagement freizusetzen. Inwieweit Geld allerdings tatsächlich ein Motivator ist, ist in der Forschung umstritten und hängt zum Beispiel vom jeweiligen Aufgabengebiet ab.
Überraschen dürfte jedoch, dass eine klare Mehrheit in der Bevölkerung der variablen Vergütung eine motivierende Wirkung zuschreibt. Das hat eine repräsentative Umfrage im Auftrag von HKP gezeigt. Vor allem Menschen mit einem hohen Einkommen denken das. Und die meisten Personaler sowieso. Die Motivierung sei der Hauptgrund für variable Vergütung, sagt beispielsweise Roland Polte, Personalchef des Automobilzulieferers Dräxlmaier. Das Unternehmen hat weltweit etwa 45.000 Mitarbeiter. „Ausschlaggebend ist jedoch nicht nur die variable Vergütung, sondern das Gesamtpaket aus Vergütung, Zusatzleistungen, Arbeitsumfeld und Perspektiven“, gibt er zu Bedenken.
Der Kölner Personalökonom und BWL-Professor Dirk Sliwka forscht viel zu Anreizen und Organisationssteuerung. Er bestätigt, dass die motivierende Wirkung für Unternehmen ein zentrales Motiv bei der Einführung von variablen Vergütungssystemen ist. Wichtig sei vielen Unternehmen aber ebenfalls, dass man Mitarbeiter, die stärker zum Erfolg beitragen, auch mehr Geld geben möchte. „Das hat dann neben dem direkten Anreizeffekt auch etwas mit Leistungsgerechtigkeit zu tun“, sagt er.
Typische variable Vergütungssysteme kombinieren Unternehmensziele mit individuellen Zielen und Leistung. Dass Leistung sich lohnt und unterschiedlich bewertet wird, ist nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für viele Mitarbeiter von Bedeutung. Die HKP-Studie zeigt, dass eine knappe Mehrheit in der Bevölkerung für sich selbst ein leistungsorientiertes Vergütungssystem bevorzugen würde. „Vor allem die High Performer werden über Leistungsdifferenzierung motiviert. Mehr als über alles andere“, sagt Marco Reiners, Leiter des Vergütungsbereichs bei Aon Hewitt.
Es sind also gerade diejenigen, die besonders viel leisten, denen Anerkennung sehr wichtig ist – auch materiell. Dabei vergleichen sich Mitarbeiter gerne mit den Kollegen. Vergütung wird zuallererst in Relation zu den anderen gesehen. Das verdeutlicht zum Beispiel eine Studie der Beratung PwC und der London School of Economics. Danach ist die Motivation von Managern abhängig von der jeweiligen Stellung innerhalb der Vergütungspyramide. Jeder zweite befragte Manager sagte, dass es ihm wichtig sei, mehr als seine Kollegen in vergleichbaren Funktionen zu verdienen. Die absolute Höhe der Vergütung ist demgegenüber nur für 35 Prozent der Führungskräfte von Bedeutung.
Individuelle Boni orientieren sich in der Regel an der Leistung. Dieser Kerngedanke lässt sich verstärkt auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen wiederfinden: Hochschulen, öffentlicher Dienst, Kliniken.
Wie problematisch die Gestaltung – insbesondere des individuellen variablen Anteils – ist, zeigt sich nicht nur bei Berufsgruppen wie den Ärzten, wenn Verträge Boni für viele Operationen vorsehen. Oder wenn im Bankvertrieb Boni nur vom erzielten Umsatz abhängig sind ohne zum Beispiel die Kundenzufriedenheit zu berücksichtigen. Eindimensionale – rein finanzielle – Ziele führen zu unerwünschten Nebenwirkungen. Ein Mitarbeiter sollte letztlich dieselben Ziele wie sein Unternehmen verfolgen. Aber es kann natürlich sein, dass das Unternehmen auch nur den kurzfristigen Erfolg im Fokus hat. „Die Investmentbanker haben sich so verhalten, wie die Banken ihnen das über die Vergütungssysteme nahe gelegt haben“, gibt Michael Kramarsch zu bedenken. Auf nachhaltigen Erfolg zielten die Systeme nicht.
Unflexibel in der Krise
Das Thema Nachhaltigkeit spielt seit der Finanzkrise eine größere Rolle. Die variable Vergütung wird vermehrt langfristiger ausgerichtet. Führungskräfte der Deutschen Bank sollen zum Beispiel länger auf die Auszahlung ihrer Aktienboni warten müssen. Andere Unternehmen wie Deutsche Post DHL haben diese Entwicklung schon hinter sich.
Zusätzlich bemessen sich in manchen Unternehmen die Boni auch an qualitativen Zielen. Vor allem die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit sind da hoch im Kurs. Zuletzt hat die Deutsche Bahn mit ihrem neuen Bonussystem Schlagzeilen gemacht. Bonuszahlungen für rund 4.800 Manager sind nun auch an die Kundenzufriedenheit und den Umweltschutz gekoppelt. Marco Reiners hält solche weichen Ziele für überlegenswert, solange man sie messen kann. Das sei jedoch oftmals ein Riesenaufwand, den nicht jedes Unternehmen leisten kann, sagt der Berater.
Die richtigen nachhaltigen Ziele zu finden, ist das eine, mit dem die Unternehmen sich auseinandersetzen. Die Finanzkrise hat allerdings noch ein größeres Problem bei vielen offenbart. Die variablen Vergütungssysteme, deren Trumpf die Flexibilität sein sollte, entpuppten sich in der Krise oft als wenig flexibel. Trotz Verlusten mussten erhebliche Bonuszahlungen ausgeschüttet werden, weil die durchschnittlichen individuellen Zielereichungen und Leistungsbeurteilungen zu hoch waren. Die Leistungsdifferenzierung funktionierte nicht. „Die Standards, wie Mitarbeiter bewertet werden, sind in vielen Unternehmen immer noch ungenügend“, sagt dazu Marco Reiners. „Manager differenzieren ungern. Sie haben häufig Probleme zu kommunizieren, dass jemand eine schlechte Leistung abgeliefert hat.“
Auch die Forschung hat hier Probleme ausgemacht. „Wir wissen aus vielen Studien, dass Führungskräfte sehr unterschiedlich an Leistungsbeurteilungen herangehen und beispielsweise sich sehr in der Schärfe der Beurteilungen unterscheiden können“, sagt Dirk Sliwka, „das kann leicht zu sehr unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben im gleichen Unternehmen führen und die Wirkungsweise von Bonussystemen unterminieren.“
Das Problem über vermeintlich rein objektive Kriterien zu lösen und lediglich auf die Erreichung von vereinbarten Zielen zu schauen, hat sich ebenfalls als Sackgasse erwiesen. „Vor fünf, sechs Jahren gab es noch eine hohe Gläubigkeit in die Mathematik“, sagt Michael Kramarsch von HKP, „man hat versucht, Ziele möglichst präzise zu formulieren. Aber die Zukunft vorherzusagen ist nun mal schwierig. Und welches Unternehmen kann in volatilen Märkten genau ein Ziel beschreiben, das noch in der Rückschau nach zwölf Monaten als sinnvoll wahrgenommen wird?“
Kramarsch ist sich sicher, dass die Gefahr der falschen Wirkung umso größer ist, je mathematischer und detaillierter ein System ist. „Weil dann die Energie darauf verwendet wird, das System auszutricksen, statt das große Ganze im Blick zu behalten.“
Objektive Maßstäbe versus Leistungsbeurteilung durch die Führungskräfte – die Wahl zwischen Pest und Cholera? Auch die Arbeitnehmer sind skeptisch. Laut der HKP-Studie zweifelt die Hälfte daran, dass Arbeitgeber die Leistung von Mitarbeitern zuverlässig messen können. Was die Studienverfasser folgern lässt, die Unternehmen schafften es nicht, die Mitarbeiter von einer fairen und sachgerechten Leistungsmessung zu überzeugen. Und die HR-Verantwortlichen in den Unternehmen sehen es selbst so. Laut einer Aon Hewitt-Studie geht nur knapp die Hälfte von ihnen davon aus, dass die Mitarbeiter die Vergütungsprogramme als fair und angemessen bewerten.
Es gibt bei der Gestaltung variabler Vergütungssysteme vieles zu beachten. Transparent, einfach und gerecht muss es zugehen.
Ein atmendes System
Leistung soll sich lohnen, da sind sich wohl die meisten Personaler einig. Auf die Frage, in welcher Form sie sich lohnen soll, hat Infineon Technologies eine ganz besondere Antwort gefunden. Der Halbleiterhersteller hat 2010 sein Vergütungssystem komplett umgestellt. Es ist eine tiefgreifende Veränderung. Der individuelle und der Teambonus wurden abgeschafft. Die Bonuszahlungen orientieren sich jetzt in Form der Gewinnbeteiligungen vollständig am wirtschaftlichen Unternehmenserfolg. Individuelle Zielvereinbarungen sowie Leistungsbeurteilungen sind also von den variablen Gehaltsbestandteilen entkoppelt. Dadurch atmet das System mehr als früher.
Es heißt aber auch, dass in schlechten Zeiten womöglich gar kein Bonus ausgezahlt wird. Das Risiko werde jedoch dadurch abgefedert, dass ein substanzieller Bestandteil des alten individuellen Bonus in die Basisvergütung herüber genommen und diese angehoben wurde, erklärt Thomas Marquardt, Global Head of Human Resources bei Infineon. Das Fixgehalt sei damit wettbewerbsfähiger.
Nach zehn Jahren musste das Vergütungssystem an die neue Zeit angepasst werden. Der administrative Aufwand sei unverhältnismäßig geworden. Zudem habe man nun eine wirkliche Kostenflexibilität, sagt Marquardt.
Vergütungsexperten sehen die Infineon-Reform mit gemischten Gefühlen. „Das System mag für Infineon passen, weil sie unter anderem ein sehr volatiles Geschäft mit Gewinn- und Verlustjahren haben. Bei weniger volatilen Geschäften ist die vollständige Trennung von Bonus und Leistungsbeurteilung jedoch nicht zwingend sinnvoller“, sagt Marco Reiners dazu.
Michael Kramarsch glaubt, dass es mit dem neuen System zur Problemverschiebung kommt. Dem Ziel der stärkeren Personalkostenflexibilisierung werde mit der Umgestaltung Rechnung getragen, sagt er. Doch „für die Motivation der Mitarbeiter ist es wichtig, dass differenzierte Vergütungsentscheidungen getroffen werden“.
Hier hält Thomas Marquardt dagegen. „Leistung zahlt sich bei uns mehr denn je aus“, sagt der Personalchef von Infineon. Mehr Verantwortung, neue Rollen und Aufgaben seien automatisch an die Vergütung gekoppelt. Außerdem ist es Marquardt wichtig zu betonen, dass die Wertschätzung von Leistung nicht nur über die Vergütung erfolgen darf. Im Gegenteil. Bestehe die allgemeine Erwartungshaltung, für jede zusätzliche Leistung Geld zu bekommen, sei das für die Unternehmenskultur schädlich.
Auch das Performance Management sieht er verbessert. Gerade weil der Bonus im Feedback-Gespräch keine Rolle mehr spielt. „Der Fokus wird wieder stärker auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Mitarbeiter gelegt.“ Das Infineon-Modell wird interessiert beäugt. Viele Nachahmer wird es aber wohl erstmal nicht finden. Bei den Bonussystemen auf die individuelle Komponente zu verzichten, wird auch von den meisten Personalern als wenig zielführend gesehen. „Leistungsträger wollen immer eine persönliche Komponente haben“, sagt unter anderem Roland Polte von Dräxlmaier.
Intensiv beschäftigen sich die Unternehmen seit der Finanzkrise mit der Frage, wie man eine wirkliche Leistungsdifferenzierung in der Bonusvergabe hinbekommt.
Für Sliwka kombiniert ein gut gemachtes Bonussystem beides: objektive Kennzahlen und subjektive Einschätzungen. Kramarsch hat festgestellt, dass die Unternehmen heute führungsmutiger geworden sind. Denn „es gibt keine Objektivität. Das ist eine Schimäre“, sagt er. „Führungskräfte müssen führen und den Mitarbeitern klares differenziertes Feedback geben und klare differenzierte Entscheidungen treffen – auch hinsichtlich der Vergütung.“
Doch was, wenn Menschen sich schwer damit tun, andere zu beurteilen, Zielvereinbarungen zu träge sind und überhaupt Objektivität unmöglich ist? „Die Herausforderung liegt darin, Systeme zu entwickeln, die Vorgesetzten helfen, differenziert zu beurteilen“, sagt der Wissenschaftler Dirk Sliwka.
Eine Möglichkeit sind nach Ansicht von Marco Reiners Manager-Coachings und Tools, die verstärkte Standardisierungen mit Hilfe von Prozessvorgaben und Fragenkatalogen und im Ergebnis eine Leistungsdifferenzierung gewährleisten. Danach hat die Führungskraft konkrete Vorgaben zur Anwendung der Kriterien und Umsetzung der Bewertung. Dabei hilfreich können auch
360-Grad-Feedbacks sein, erklärt Reiners. Man fragt also nicht nur Vorgesetzte, sondern auch Kollegen. „Und das Ergebnis der Bewertung wird verknüpft mit dem Bonus.“
Kramarsch betont, wie wichtig es sei, Leistung ganzheitlich zu betrachten. Und dafür braucht es Führung. Eine Kalibrierung und Kontrolle könne in einem moderierten Austausch mit Führungskollegen erfolgen. Zielvereinbarungen im individuellen Leistungsbereich hält auch er für nötig, doch sie müssten nicht zwangläufig messbar sein, sondern vielmehr intelligent.
Klar ist: Auch bei einem Thema wie Vergütung braucht es Raum für Führung.