Die Digitalisierung stellt neue Ansprüche an die Markenführung. Franz-Rudolf Esch über Marken als Sinnstifter und die Auswirkungen einer schlechten Candidate Experience auf die Unternehmensmarke.
Professor Esch, nimmt die Bedeutung von Marken eher zu oder ab?
Folgt man Studienergebnissen der Agentur Havas, sind in Deutschland 93 Prozent aller Marken verzichtbar. Daraus den Schluss zu ziehen, Marken würden an Bedeutung verlieren, ist allerdings falsch. Schwache Marken sind verzichtbar, starke Marken hingegen unverzichtbar.
Warum?
Menschen sind Sinnsucher, Marken sind Sinnstifter. Menschen orientieren sich im Meer der Angebote an starken Marken. Diese geben ihnen Halt, weil sie wissen, wofür sie stehen. Mit ihnen werden konkrete Bilder, Emotionen und Nutzen verbunden, die für Menschen relevant sind. Marken erleichtern zudem Entscheidungen, entlasten Kunden und bauen starke Bindungen auf. Bei starken Marken setzt quasi der Verstand aus, sie erzeugen starke Emotionen. Dies gilt übrigens nicht nur bei Kunden, sondern auch bei Mitarbeitern und denen, die es werden könnten.
Welches erste Ziel sollte eine gute Markenführung haben?
Der Aufbau von Markenbekanntheit und eines klaren Markenimages sind die zentralen Imperative erfolgreicher Markenführung. Dazu müssen Unternehmen allerdings eine klare Markenidentität entwickeln, also die wesensprägenden Merkmale der Marke festlegen, sowie eine Markenpositionierung entwickeln, um eine einzigartige Position in den Köpfen der Anspruchsgruppen zu belegen. Der Erfolg hängt dabei wesentlich von der Umsetzung der Strategie ab. Es gilt: Perception is Reality.
Wie haben die sozialen Netzwerke die Markenführung verändert?
Die Digitalisierung stellt neue Anforderungen an die Markenführung, weil Marken dadurch einerseits neue Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten mit Menschen haben und andererseits daraus auch neue Geschäftsmodelle für Marken entstehen können. Hier ergeben sich viele Optionen. Allerdings sind bei weitem nicht alle Maßnahmen durch Unternehmen steuerbar. Wenn Menschen Produkte oder den Arbeitsplatz bei einem Unternehmen im Internet bewerten oder negativ über ein Unternehmen berichten, so ist dies zwar nicht in Gänze neu – Mund-zu-Mund-Propaganda hat es immer gegeben –, allerdings ist die Schnelligkeit und Intensität der Verbreitung eine andere geworden.
Ihr Unternehmen „ESCH. The Brand Consultants“ hat zusammen mit „Softgarden“ vor kurzem eine Studie zur Candidate Experience herausgebracht. Mich würde vor allem der Zusammenhang zwischen Bewerbungsverfahren und der Wahrnehmung der Unternehmensmarke interessieren. Gibt es eine Beeinflussung, die nicht nur die Arbeitgebermarke betrifft?
Was mich zunächst überrascht hat, ist die Tatsache, dass Bewerber nach wie vor von Unternehmen wie Bittsteller und nicht als Kunden behandelt werden. Die Bewerbungserlebnisse können noch viel besser werden. Sie werden insgesamt nicht gut beurteilt. Das hat natürlich nicht nur Auswirkungen auf die Arbeitgebermarke, sondern auch auf die Unternehmensmarke. Die Arbeitgebermarke leitet sich ja logisch aus der Unternehmensmarke ab. Es erfolgt lediglich eine Fokussierung auf eine spezifische Zielgruppe, die potenziellen Mitarbeiter, um diese mit überzeugenden und zutreffenden Argumenten anzuziehen und zu gewinnen. Diese müssen allerdings aus der Identität der Unternehmensmarke abgeleitet werden. Zudem können Bewerber auch nicht wirklich zwischen Unternehmens- und Arbeitgebermarke trennen. Wie auch? Sie bewerben sich oft aufgrund einer attraktiven Unternehmensmarke, die sie vielleicht schon vorher als Konsumenten kennen gelernt haben, und werden erst im Prozess mit den spezifischen Employer Brand Values und der Great-Place-to-Work-Botschaft konfrontiert.
Dass der Recruiting-Prozess auf die Unternehmensmarke einzahlt – ist das ein neues Phänomen oder wurde das nur nie untersucht?
Korrekt ist, dass der Recruiting-Prozess positiv auf die Unternehmensmarke einzahlen kann. In unserer Studie hat er allerdings vom Markenkonto abgehoben: Das Markenimage hat sich durch die Candidate Experience verschlechtert und nicht verbessert. Je besser die Unternehmensmarke vorher beurteilt wurde, umso größer war deren Fall nach dem Erleben der Bewerber. Das spricht Bände. Dieses Phänomen ist meiner Kenntnis nach bislang noch nicht analysiert worden. Wir haben dies erstmals gemacht.