„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“… da habe ich keinen Bock mehr drauf

Interview

Anastasia, warum ist dir der Austausch zwischen den Generationen so wichtig?

Anastasia Barner: Ich habe selbst viele positive Erfahrungen mit Reverse Mentoring gemacht. Meine Mama war meine erste Mentorin. Durch ihr Netzwerk habe ich viele spannende Frauen aus Kultur, Medien und Politik kennengelernt, die mich über mehrere Jahre begleitet haben. Sie waren für mich Vorbilder, zu denen ich aufgeschaut habe, aber trotz meiner jungen Jahre haben sie mich ernst genommen und mir im Gegenzug Fragen gestellt. Sie waren offen für meine Ratschläge – sogar als ich ein kleines pubertierendes Monsterchen war. Von jemandem, der erfolgreich ist, so auf Augenhöhe behandelt zu werden, war ein riesiges Geschenk für mich. Dieses gegenseitige Lernen sehe ich als Privileg. Und das wollte ich anderen zugänglich machen, ohne finanzielle Einschränkungen. FeMentor ist deshalb auch für alle Frauen kostenlos.

Das Schöne ist, dass ich auch von den Frauen, die bei FeMentor mitmachen, ähnliches Feedback bekomme. Auf einer Veranstaltung traf ich neulich eine Mentorin, die ich zum ersten Mal persönlich kennenlernte. Sie erzählte mir von ihrer neuen besten Freundin, eine von ihren Mentees, die sie über FeMentor bekam. Solche Begegnungen entstehen, wenn man sich öffnet, voneinander zu lernen – ganz unabhängig vom Alter.

Warum braucht es insbesondere für Frauen die Möglichkeit für einen solchen Austausch?

Viele Branchen sind männlich dominiert. Ich kann nur von meinen Erfahrungen aus der Gründerszene sprechen. Als ich gegründet habe, war Gendern bei dem Wort „Gründerszene“ nicht einmal nötig, denn sie war ohnehin fast nur männlich. Ich habe einmal eine Story auf Instagram gepostet und meine Follower und Followerinnen schätzen lassen, wie viele der Partygäste weiblich seien. Die Antwort war: Zwei. Und das unter 60 Partygästen. Wie kann das bitte sein? Ich war überzeugt davon, dass es hier Veränderung braucht. Und das bestärkte mich darin, dass wir uns als Frauen gegenseitig unterstützen müssen. Es ist aber auch ein Fehlglaube, dass jede Frau andere unterstützt, nur weil sie das Hashtag #FemaleEmpowerment nutzt. Wahre Unterstützung muss gelebt werden.

Ich finde, dass wir als Frauen nicht erzogen werden, um stolz und selbstbewusst zu sein. Frauen sind Gefalltöchter und Männer müssen laut sein. Dafür werden Männern häufig bestimmte Emotionen abgesprochen. Ich wünsche mir, dass wir alle Seiten in uns zulassen dürfen, unabhängig vom Geschlecht. Es ist ganz wichtig, dass wir Frauen aufstehen und Dinge einfordern. Wir müssen zum Beispiel lernen, nach der Gehaltserhöhung zu fragen.

Welches Fazit ziehst du aus diesem Austausch?

Klassisches Mentoring ist einfach überholt. Es zielt nicht darauf ab, dass der Mentor etwas lernt. Denn er ist ausschließlich der Wissensgeber. Klar, vielleicht nimmt er einen Impuls mit oder wird auf einen Kaffee eingeladen. Aber grundsätzlich wird dem Mentee etwas beigebracht, von oben hinab. Beim sogenannten Reverse Mentoring, das ich mit meiner Plattform ins Leben gerufen habe, geht es um den Rollenaustausch zwischen Mentorin und Mentee.

Der Spruch „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ … da habe ich keinen Bock mehr drauf. Immer nur aufschauen zu müssen zu einer älteren Generation und dabei oft nicht ernst genommen zu werden. Es wird viel über die Generation Z gesprochen, aber zu wenig mit uns.

Wie würdest du deine Generation Z charakterisieren?

Manchmal kommt es mir so vor, als würde uns keiner so richtig verstehen. Dabei haben wir so viel Zugang zu Wissen. Wir sind die erste Generation, die mit den sozialen Medien aufgewachsen ist. Wenn wir respektiert werden und ein Austausch auf Augenhöhe entsteht, wir uns quasi auf einer Brücke in der Mitte treffen, dann haben auch wir als Generation Z auch mal die Chance, die älteren Generationen abzuholen. Zu sagen: „Guck mal, hier, das ist Tiktok und darum benutzen wir das.“

Das gegenseitige Begegnen ist auch im Recruiting wichtig. Auf der Tagung Azubi- & Schülermarketing wirst du darüber sprechen. Wie kommen wir weg vom traditionellen Recruiting?

Auch beim Recruiting-Prozess müssen wir umdenken. Früher hat sich der Bewerber beim Unternehmen beworben. Heutzutage bewirbt sich das Unternehmen beim Bewerber. Das liegt auch daran, dass meine Generation durch die Alterspyramide sehr schmal ist. Im Idealfall stellt sich ein Unternehmen mit all seinen Vorteilen und vielleicht sogar Nachteilen bei den Bewerbern vor. So, dass die Bewerberin auch weiß, was sie kriegt. Ein ehrliches Begegnen eben.

 +++ Anastasia Barner ist Keynote-Speakerin an der Tagung Azubi-& Schülermarketing am 20. und 21. Februar 2024 in Berlin. Weitere Infos auf azubimarketing-tagung.de.+++

Wie können Unternehmen das umsetzen?

Der Recruiting-Prozess muss schon viel früher beginnen. Unternehmen müssen schon in der Schule oder im Studium mit den Bewerbern sprechen und sie abholen. Wichtig ist es dabei, konkrete Vorbilder zu stellen. Ich arbeite viel mit Universitäten zusammen und erlebe vor allem bei Frauen oft, dass sie sich nach dem Studium gegen einen technischen Beruf entscheiden. Sie wollen nicht die einzige Frau im Raum sein, und das verstehe ich auch. Wenn es frühzeitig Vorbilder gibt, werden vielleicht potenzielle Bewerberinnen mit Berufen erreicht, die sie noch nicht auf dem Schirm haben. Die Expertise einer Marketingexpertin kann beispielsweise nicht nur in einer Agentur, sondern auch in einem Techunternehmen gefragt sein. Unternehmen und Recruiting-Verantwortliche müssen sich überlegen, wie sie Bewerberinnen ansprechen und sie fragen „Was wollt ihr? Und was hindert euch daran, in bestimmte Berufe zu gehen?“

Wie kann man die Bewerber und Bewerberinnen mit einbeziehen?

Zum Beispiel, indem sich die Unternehmen bei Bewerbern und Bewerberinnen ein Feedback einholen. Ich erinnere mich gerne an eine Situation zurück, in der ich einem Geschäftsführer, der doppelt so alt war wie ich, im Gespräch eine Kooperation vorgeschlagen habe. Danach hat er mich nach meinem Feedback zu dem Gespräch gefragt, dabei hatte ich ja eigentlich gepitched. Und ich dachte mir, geil! Dadurch habe ich mich direkt ernst genommen gefühlt, was leider in solchen Situationen nicht immer selbstverständlich ist. Auch Bewerber und Bewerberinnen sollten sich ernst genommen fühlen und wissen, dass ihre Meinung zählt.

Gibt es noch etwas, das du Verantwortlichen aus dem Recruiting mit auf den Weg geben möchtest?

Neue Arten des Rekrutierungsprozesses sind wichtig, und Mitarbeitende aus Recruiting und HR sollten ihre Menschen kennen. HR macht einen sehr wertvollen und wichtigen Job und trägt eine essenzielle Aufgabe für das Unternehmen. Wer sich auf eine Stelle bewirbt, hat meist als Erstes mit HR zu tun. Umso wichtiger ist es, Bewerberinnen und Bewerber mit offenen Armen zu empfangen und bei der Arbeit wohlfühlen zu lassen. Noch bevor diese beginnt.

Ich sehe die Erfolge und Geschichten, was sich bei Menschen verändert. Reverse Recruiting und Mentoring geben letztendlich nur die Plattform. Die Magie selbst liegt bei den Menschen. Das zu sehen, ist für mich ein ganz großes Geschenk. Genau das haben wir gebraucht, und das macht einfach verdammt viel Spaß.

Über die Gesprächspartnerin:

Anastasia Barner gilt als Stimme der Gen Z. Sie ist Gründerin von FeMentor, der ersten Reverse-Mentoring Plattform für Frauen in Europa. Barner ist zudem TEDx Speakerin und das ehemalige internationale Tiktok Gesicht der Deutschen Welle. Barner ist Autorin von (Ge)Gründet – Start-up-Szene uncovered (Haufe, 2023). Sie wurde mehrfach ausgezeichnet für ihr Start-up, sowie soziales Engagement und berät Unternehmen in Themen wie Gen Z, Personal und Social Media.

 

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Salome Häbe

Salome Häbe ist Volontärin beim Magazin Human Resources Manager. Sie hat im Bachelorstudiengang Internationale Kommunikation in den Niederlanden studiert und nebenbei freiberuflich für Magazine und Start-ups im Bereich der Nachhaltigkeit geschrieben.

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