Betriebsrat darf Auskunft über Schwerbehinderte verlangen

Datenschutz

In Streitigkeiten der Betriebsparteien über Auskunftsansprüche des Betriebsrates gemäß Betriebsverfassungsgesetz stehen zunehmend Datenschutzthemen im Fokus.

Im folgenden Fall plante der Betriebsrat erstmalig die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung. Die Arbeitgeberin weigerte sich, ihm Namen und Anzahl der im Betrieb tätigen Schwerbehinderten und Gleichgestellten mitzuteilen – jedoch erfolglos. Selbst sensitive Daten im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung, wie hier die Gesundheit in Form einer (Schwer)Behinderung, stehen dem nicht entgegen. Voraussetzung: Der Betriebsrat gewährleistet angemessene und spezifische Schutzmaßnahmen und legt hierzu ein ausreichendes Schutzkonzept dar, wie es das Landesarbeitsgericht fordert. Auf die Einwilligung der betroffenen Schwerbehinderten oder Gleichgestellten kommt es nicht an.

Sachverhalt

Der Betriebsrat verlangte von der Arbeitgeberin, ihm Auskunft über Anzahl und Namen der im Betrieb beschäftigten schwerbehinderten Menschen und Gleichgestellten zu erteilen. Außerdem solle die Arbeitgeberin die in der Verweigerung liegende Störung und Erschwernis der Betriebsratsarbeit unterlassen und ihr für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld angedroht werden. Der nach Betriebsverfassungsgesetz für die verlangte Auskunft erforderliche Aufgabenbezug liege vor.

Der Betriebsrat achte gemäß § 176 Satz 2 Sozialgesetzbuch IX darauf, dass die Arbeitgeberin ihre rechtlichen Pflichten erfülle, und er wirke auf die Wahl der Schwerbehindertenvertretung hin. Eine Einladung zur Wahl eines Wahlvorstands für die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung – gemäß den Regelungen in der Wahlordnung der Schwerbehindertenvertretungen – setze denklogisch voraus, dass der Betriebsrat prüfen könne, ob die Voraussetzungen für eine Wahl vorliegen.

Der Unterlassungsanspruch entspreche dem Schutzauftrag des Betriebsrates aus § 80 Absatz 1 Nummer 4 Betriebsverfassungsgesetz. Danach habe er die Eingliederung schwerbehinderter Menschen zu fördern, einschließlich der Förderung des Abschlusses von Inklusionsvereinbarungen und besonders schutzbedürftiger Personen. Die Arbeitgeberin erschwere dies, wenn sie dem Betriebsrat nicht einmal mitteile, welche und wie viele Schwerbehinderte im Betrieb beschäftigt seien. Demgegenüber war die Arbeitgeberin der Ansicht, es sei unklar, welche Aufgaben der Betriebsrat wahrnehmen wolle und dass eine Schwerbehindertenversammlung auch ohne die Namen durchgeführt werden könne. Sie erhob datenschutzrechtliche Einwände.

Entscheidung

Beim Arbeitsgericht Karlsruhe war der Betriebsrat erfolgreich. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zurückgewiesen (Beschluss vom 20. Mai 2022, 12 TaBV 4/21).

Der Betriebsrat habe den erforderlichen Aufgabenbezug konkret dargelegt. Die Erforderlichkeit folge aus dem konkret vorgetragenen Plan, die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung zu initiieren. Hierzu könne der Betriebsrat einladen. Zwar sei es rechtlich nicht unbedingt erforderlich, eine Einladung zur Wahlversammlung direkt an die Wahlberechtigten zu adressieren. Doch sei es schon ein zwingend erscheinendes praktisches Bedürfnis zu wissen, ob fünf Wahlberechtigte als grundsätzliche Wahlvoraussetzung beschäftigt werden.

Die Wahlberechtigung und damit die Namen von schwerbehinderten Menschen im Betrieb müssten frühzeitig feststehen. Es erscheine völlig praxisfremd, die Schwerbehinderung beim Erscheinen zur Wahlversammlung ad hoc kontrollieren zu lassen. Zwar könne auch durch Aushang zur Wahlversammlung eingeladen werden, doch richte dieser sich an die Wahlberechtigten, sodass zuvor die Wahlberechtigung von Personen feststehen müsse. Außerdem ergebe sich der Aufgabenbezug aus § 80 Betriebsverfassungsgesetz und § 176 Sozialgesetzbuch IX. Danach sei der Betriebsrat aufgerufen, die Eingliederung der Schwerbehinderten aktiv zu fördern. Dies sei mehr als eine passive Überwachung nach der allgemeinen Vorschrift des § 80. Dazu müsse der Betriebsrat um die Schwerbehinderung von Mitarbeitenden wissen, um diese ansprechen zu können. Es könne nicht darauf verwiesen werden, dass sich jeder Schwerbehinderte selbst bei Bedarf an ihn wenden könne. Die Erfüllung der dem Betriebsrat gesetzlich zugewiesenen Aufgaben hänge nicht von einer Einwilligung der Beschäftigten ab.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 9. April 2019) sei zusätzliche Anspruchsvoraussetzung, dass der Betriebsrat zur Wahrung der Interessen der von der Datenverarbeitung – hier Mitteilung der Namen der Schwerbehinderten – betroffenen Arbeitnehmenden angemessene und spezifische Schutzmaßnahmen treffe, weil der Arbeitgeber die Einhaltung der Datenschutzvorschriften bei Weitergabe an den Betriebsrat nicht mehr in der Hand habe. Das vom antragstellenden Betriebsrat vorgelegte „Datenschutzkonzept“ komme dem hinreichend nach.

In der Sicherung des Zugangs zum Betriebsratsbüro und der Daten innerhalb des Büros liege eine gesetzmäßige Zugangsbeschränkung im Sinne von § 22 Absatz 2 Nummer 5 Bundesdatenschutzgesetz. Auch die elektronische Übermittlung der Namen mittels spezieller Empfängeradresse mit Passwortschutz sei eine rechtlich angemessene technische und organisatorische Maßnahme. Eine Anonymisierung oder Pseudonymisierung komme vorliegend nicht in Betracht, da es auf die konkreten Namen der Mitarbeitenden ankomme. Überdies sehe das Datenschutzkonzept des Betriebsrates Löschvorgänge und Kontrollen vor. Dass das Konzept nicht allen in § 22 Absatz 2 Bundesdatenschutzgesetz genannten Beispielen folge, sei unerheblich, weil es sich um als Regelbeispiele optional vorgesehene Schutzvorkehrungen handele. Im Übrigen könne vom Betriebsrat weder ein Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten noch eine Datenschutzfolgeabschätzung gemäß Datenschutz-Grundverordnung verlangt werden. Hierzu sei die verantwortliche Stelle verpflichtet, wozu der Betriebsrat gerade nicht zähle – wie es der neue § 79a des Betriebsverfassungsgesetzes eindeutig regele. Anhaltspunkte dafür, dass der Betriebsrat das Schutzkonzept nicht durchführe, bestünden nicht.

Praxisfolgen

Die Entscheidung ist nicht nur bedeutsam, weil sie Arbeitgeber verpflichtet, Betriebsräten Anzahl und Namen der Schwerbehinderten und Gleichgestellten bei bestehendem Aufgabenbezug im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes mitzuteilen, sondern auch aus drei weiteren Gründen:

  1. Die Entscheidung weist Betriebsräten eine aktive Rolle zur Förderung von schwerbehinderten Menschen zu, sodass sich angesichts der zunehmenden Pflichten der Arbeitgeber nach dem Sozialgesetzbuch IX immer wieder Aufgabenbezüge finden werden.
  2. Sie gibt den Betriebsparteien jedenfalls zweitinstanzlich Orientierungshilfe zu den inhaltlichen Anforderungen an Schutzkonzepte, die Betriebsräte aufstellen und erfüllen müssen, bevor sie von Arbeitgebern die Weitergabe von sensitiven Daten an sich geltend machen können – nicht zuletzt, indem die Entscheidung es als möglich erachtet, freiwillig einen Datenschutz-Sonderbeauftragten oder eine Datenschutz-Sonderbeauftragte für den Betriebsrat zu benennen.
  3. Es ist, soweit ersichtlich, die erste zweitinstanzliche Entscheidung, die mit der seit dem 1. Juli 2021 geltenden betriebsverfassungsrechtlichen Datenschutzvorschrift des § 79a Betriebsverfassungsgesetz.

Abzuwarten bleibt, ob die von der Arbeitgeberin zum Bundesarbeitsgericht eingelegte Rechtsbeschwerde (Bundesarbeitsgericht, 1 ABR 14/22) die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts bestätigt oder nicht.

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Axel J Klasen, Foto: Privat

Axel J. Klasen

Axel J. Klasen ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei GvW Graf von Westphalen.

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