Die EU-Lohntrans­parenzricht­linie richtig umsetzen

Gender-Pay-Gap

Am 24. April haben die zuständigen EU-Ministerinnen und -Minister die Richtlinie zur Lohntransparenz final abgesegnet, nachdem sie bereits am 30. März vom EU-Parlament gebilligt wurde. Mit dieser letzten Formalität wurde das längst überfällige Gesetz an die nationalen Parlamente übergeben, die es annehmen und in die jeweiligen Rechtssysteme integrieren müssen. Hierfür stehen ihnen 36 Monate zur Verfügung. Welche Maßnahmen zum Schließen des Gender-Pay-Gaps beinhaltet die Richtlinie zur Lohntransparenz? Bedeutet die Richtlinie wirklich das Ende der Geschlechterungerechtigkeit bei der Entlohnung? Inwieweit löst sie das Problem, dass es immer noch zu wenig Frauen in Führungspositionen gibt? Welche To-dos ergeben sich für Unternehmen?

Die Eckpunkte der EU-Lohntransparenzrichtlinie

Die Richtlinie zur Lohntransparenz wurde 2021 im EU-Parlament vorgeschlagen und soll nun nach der Verabschiedung in den Mitgliedsländern innerhalb der nächsten drei Jahre in nationales Recht umgesetzt werden. Die wesentlichen Punkte lauten:

  • Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten müssen jährlich das geschlechtsspezifische Lohngefälle offenlegen. Umfasst die Belegschaft mehr als 100 Mitarbeitende, ist eine dreijährige Frequenz vorgeschrieben, bei unter 100 Beschäftigten ist die Meldung freiwillig. Den Mitgliedsstaaten steht es jedoch frei, die Bestimmungen für Mitarbeitende günstiger auszugestalten, als in der Richtlinie festgelegt wurde.
  • Beträgt das Lohngefälle in einem Unternehmen fünf Prozent und mehr, muss dieses Delta durch objektive, geschlechtsneutrale Ursachen begründet sein – und genau dargelegt werden. Ansonsten müssen zusammen mit der Arbeitnehmervertretung Maßnahmen erarbeitet und umgesetzt werden, um den Gender-Pay-Gap zu beseitigen und zukünftig zu verhindern. Geschieht nichts dergleichen, können Unternehmen Sanktionen drohen.
  • Arbeitssuchende haben das Recht, die Gehaltsspanne der jeweiligen Position zu erfahren. Andererseits darf das Unternehmen nicht beim bisherigen Arbeitsplatz in Erfahrung bringen, welches Gehalt die Person zuletzt bezogen hat. Zudem können Opfer von Lohndiskriminierung Entschädigungen einfordern – insbesondere, wenn sie aufgrund von intersektionellen Ursachen erfolgte. Hier spielt dann nicht nur das Geschlecht eine Rolle, sondern beispielsweise auch die Herkunft oder das soziale Umfeld.

Bedeutung der Transparenzrichtlinie

Die Richtlinie ist tatsächlich ein erster, wichtiger Schritt zur Beseitigung der geschlechtsspezifischen Lohndiskriminierungen. Sie beseitigt formal die Gehalts-Intransparenz, eine tragende Säule der „gläsernen Decke“,  die Frauen davon abhält, berufliche Chancengleichheit zu erlangen und zwingt Unternehmen, Maßnahmen gegen Lohnungleichheit zu ergreifen. Nichtsdestotrotz hängt es jetzt sehr davon ab, mit welchem Engagement die EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt wird. Begrüßt die grüne Familienministerin Lisa Paus die Richtlinie, kommt aus dem Finanzministerium sicherlich von Christian Lindner (FDP) Kritik bezüglich zusätzlicher Bürokratie und Kosten für Unternehmen. Wie diese Meinungsverschiedenheit ausgeht, wird unter anderem Einfluss darauf haben, wie beschäftigtenfreundlich die variablen Bestandteile der Richtlinie ausgelegt werden. Für Opfer von Lohndiskriminierungen eröffnen sich hingegen endlich konkrete Ansätze, ihre Ansprüche einzufordern und zu realisieren. Denn Daten zeigen, dass die Transparenz der Gehälter das geschlechtsspezifische Lohngefälle verringert.

Bringt die Transparenzrichtlinie mehr Frauen ins Management?

Die Problematik, dass Frauen in Führungspositionen stark unterrepräsentiert sind, wird durch die Richtlinie für mehr Lohntransparenz nicht gelöst, sondern bestenfalls nur indirekt angegangen. Frauen können die Maßnahmen zur Offenlegung von Gender-Pay-Gaps sicher argumentativ nutzen, um ihre Verhandlungsposition bei der Bewerbung um Management-Stellen zu verbessern. Ein Rechtsanspruch ähnlich einer festen Quote ergibt sich aus dieser Richtung jedoch nicht. Die Transparenzrichtlinie setzt aber immerhin ein deutliches Signal, dass die geschlechtsspezifische Diskriminierung im Berufsumfeld längst kein Kavaliersdelikt mehr ist und Unternehmen sich hier ins Zeug legen müssen, um im Jobmarkt bestehen zu können. Denn gerade in Deutschland klaffte 2022 noch ein unbereinigter Gender-Pay-Gap von 17,6 Prozent, während der EU-Durchschnitt nur 12,7 Prozent betrug.

Was müssen Unternehmen jetzt konkret tun?

Zwar sind Unternehmen mit 100 bis 150 Mitarbeitenden effektiv erst ab 2026 verpflichtet, ihre Lohngefüge offenzulegen. Wer sich bisher noch kaum oder überhaupt nicht um die Thematik gekümmert hat, sollte aber spätestens die Verabschiedung der Richtlinie durch die EU-Minister als Startsignal betrachten und sich auf die geforderte Lohntransparenz vorbereiten. Denn die Dokumentation und Meldung der jeweiligen Gehaltsdaten sind nur eine Seite der Medaille. Viel wichtiger und aufwendiger ist die Herstellung tatsächlicher Lohngerechtigkeit, auch angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Unsicherheit. Hier ergeben sich nach Unternehmensgröße und -branche etliche Vorbereitungsmaßnahmen, um den aktuellen Status quo zu ermitteln und bis zum endgültigen Inkrafttreten der für Deutschland adaptierten Richtlinie zu korrigieren. Mit großer Wahrscheinlichkeit müssen auch zeitnah Rücklagen gebildet werden, um die ermittelten Unterschiede geschäftsverträglich zu nivellieren. Das Ausräumen geschlechterspezifischer Lohnungerechtigkeiten sollte also längst eine Angelegenheit von oberster Priorität sein. Zum einen, um den bisher benachteiligten Mitarbeitenden die Wertschätzung zukommen zu lassen, die sie im wahrsten Sinne des Wortes verdienen. Andererseits auch aus Imagegründen und bezüglich der Positionierung auf dem Jobmarkt. Welches zukunftsorientierte Unternehmen wird es sich in den nächsten Jahren ernsthaft noch leisten können, mit einem Gender-Pay-Gap von fünf und mehr Prozent auf die Suche nach qualifizierten und motivierten Berufsnachwuchs zu gehen?

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Virgile Reingeard, CEO und Co-Founder des Start-ups Figures SAS

Virgile Raingeard

Virgile Raingeard ist CEO und Co-Founder von Figures. Das Start-up entwickelt Vergütungslösungen für Unternehmen. Es beschäftigt mittlerweile 40 Mitarbeitende und ist in Boulogne-Billancourt, in der Nähe von Paris, ansässig.

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