Gehört die Gehaltsangabe in Stellenanzeigen?

Debatte

Wenn es um das liebe Geld geht, wird geschwiegen – sei es im Privaten oder im Beruf. Über Geld spricht man nicht! Ein Prinzip, das hierzulande tief verankert ist. Seit einigen Jahren kommt jedoch etwas Bewegung in die Sache. Ein Grund dafür ist das Entgelttransparenzgesetz. In Sachen Gleichstellung von Mann und Frau schreibt es einen Auskunftsanspruch beim Gehaltsgefüge vor. Das bedeutet zwar noch lange nicht, dass die Entgeltstrukturen für alle Personen innerhalb und außerhalb eines Unternehmens einsehbar sind. Aber das Streben, den Gender Pay Gap zu schließen, hat auch Auswirkungen auf die traditionelle Praktik, nicht über Geld reden zu dürfen: Gehaltstransparenz ist längst ein Debattenthema geworden.

Immer wieder wird diskutiert, ob die Vergütung in Stellenanzeigen veröffentlicht werden soll. Schließlich wird in Bewerbungen auch häufig um die Angabe des Gehaltswunsches gebeten. Diese Selbsteinschätzung hilft Personalverantwortlichen bei der Einordnung, ob Kandidatinnen oder Bewerber im Budget liegen und ob diese ihre eigenen Qualifikationen richtig bewerten. Während sich die eine Seite offenbart, schweigen sich Arbeitgeber also aus. In Stellenanzeigen gibt es nur selten konkrete Angaben zur Vergütung. Die grobe Einordnung diverser Jobportale lässt allenfalls eine Richtung vermuten, wie hoch das Gehalt wohl ausfällt. Bei tarifgebundenen Unternehmen, sofern der Tarifvertrag öffentlich zugänglich ist, können Jobinteressierte zwar nachlesen, was sie bei einer Anstellung auf ihrem Konto erwartet. Aber bei Vakanzen außer Tarif können Abweichungen groß sein und sie tappen im Dunkeln. Dabei wünschen sich viele Menschen mehr Transparenz in Sachen Verdienst. Studien zufolge führen Anzeigen mit Gehaltsangaben zu mehr Bewerbungen. Das Einkommen spielt bei der Jobwahl also eine erhebliche Rolle.

Pro

Ich persönlich möchte mich ganz klar für eine Gehaltstransparenz aussprechen. Das bringt für beide Seiten in meinen Augen überwiegend Vorteile. Das Gehalt spielt bekanntlich eine der wichtigsten Rollen bei der Jobsuche. Jede Person möchte wissen, ob sie sich mit einer potenziellen neuen Rolle finanziell besser oder schlechter stellt. Wie oft passiert es aber, dass das Thema Gehalt erst im letzten Schritt des Recruiting-Prozesses thematisiert wird, um dann möglicherweise feststellen zu müssen, dass man beim Thema Geld leider nicht zusammenfindet. Oftmals müssen Jobinteressierte mühselig viele Gespräche mit Unternehmen führen, um in der Lage zu sein, das auf dem Markt aktuell gängige Gehalt in Erfahrung zu bringen und um dann erst bewerten zu können, welche Stelle für einen überhaupt infrage kommen könnte. Es wäre doch so viel einfacher, würde man diesen Aspekt von Anfang an kennen und sich somit wertvolle Zeit ersparen. Den Unternehmen geht es nicht anders. Würden Bewerberinnen und Bewerber zusammen mit dem Stellenprofil von Anfang an das Gehalt kennen und dadurch in der Lage sein, die Passung der Stelle allumfassend im Vornherein zu prüfen, müssten die Unternehmen viel weniger Zeit in nicht passende Bewerbungen und Interviews investieren.

Susanne Kößler, Recruiterin

Susanne Kößler, Recruiterin
<em>Susanne Kößler © Claudia Hofmair<em>

Contra

Ich sehe die Frage aus der Praxis etwas differenzierter. Oft gibt es für eine Position eine bestimmte Spannbreite, die sich aus ganz vielen Faktoren speist. Das kann das Gehalt vergleichbarer Teammitglieder sein. Es kann aber auch genau umgekehrt sein: Aus einer Reihe von Gründen ist eine bestimmte Abteilung über die Jahre viel zu teuer geworden – und nun wünscht man sich die Neueinstellung auf realistischem Niveau. Oder: Die neue Kraft soll mehr Potenzial haben als eine vergleichbare Person im Fachbereich. Dafür ist das Unternehmen bereit, auch noch etwas beim Gehalt draufzulegen. Sehr oft will man sich auch einfach flexibel halten und schauen, was der Markt an Jobinteressierten hervorbringt. Schreiben Arbeitgeber in einer solchen Situation nun aus mit Angaben wie „60.000 bis 80.000 Euro“, dann wird jede Person sofort die höhere Summe als schon verhandelt voraussetzen – und es beginnt eine unschöne Diskussion. Und: Die vorhandenen Teammitglieder, die beispielsweise alle 70.000 Euro verdienen, reden plötzlich darüber, dass der oder die „Neue“ wahlweise billig eingekauft wird oder viel mehr als die anderen verdienen soll. Dann hängt der Betriebsfrieden schief. Mein Plädoyer: ganzheitlich, differenziert betrachten!

Andrea Klieve, Geschäftsführerin Persocia

Andrea Klieve, Geschäftsführerin Persocia
<em>© privat<em>

Als der Human Resources Manager auf Linkedin die Frage stellte, ob es Gehaltstransparenz in Jobanzeigen benötige, wurde die Diskussion rege geführt. Mehr als 50 Kommentare geben Aufschluss darüber, wie Personalverantwortliche und Arbeitgeber die Gemengelage einschätzen. Grundsätzlich spricht sich eine Mehrheit für Gehaltstransparenz aus, wenngleich Differenzierung in der Sache gefordert wird. Klar ist: Ganz ohne Verdiensteinordnung scheinen Stellenanzeigen künftig – gerade in Anbetracht des Fachkräftemangels – nicht unbedingt zeitgemäß. „Ich denke, die Notwendigkeit der Gehaltstransparenz in Stellenanzeigen ergibt sich aus der Veränderung auf dem Arbeitsmarkt“, lautet der Kommentar von Christian Stadler, Leiter Personal und Organisation bei GPA NRW. „Wir befinden uns in einem Arbeitnehmermarkt, in dem sich zu Recht auch der Arbeitgeber präsentiert und bewirbt.“ Er merkt an, dass Personalverantwortliche zu Zeiten des Arbeitgebermarktes auch eine absolute Transparenz von Talenten verlangt haben. Nun sei es berechtigterweise andersherum und das Gehalt sei Teil der Rahmenbedingungen, die Personen mit ihren Bedürfnissen abgleichen.

Marcel Rütten, Global Director Talent Acquisition and Employer Branding beim Verpackungshersteller Paccor, spricht sich grundsätzlich für Gehaltstransparenz in Ausschreibungen aus. Seiner Erfahrung nach gibt es allerdings das eine oder andere kleine bis mittelschwere Aber. „Geben Unternehmen in Stellenanzeigen eine wettbewerbsfähige Gehaltsspanne an, ist kaum jemand mit dem unteren Ende zufrieden – egal welche Qualifikation die Person mitbringt“, schreibt er. Das erhöhe die interne Gehaltsstruktur unnötigerweise. Ein weiteres Problem sieht er bei internationalen Standorten und der Gehaltspanne vergleichbarer Positionen. Abweichungen verschiedener Länder aufgrund unterschiedlicher Faktoren könnten zu Unzufriedenheit führen. Rütten führt weiter an, dass Arbeitgeber auch schon mal über ihre Schmerzgrenze gehen müssen, wenn es sich um einen Engpassberuf oder eine schwer zu besetzende Stelle handelt. Eine Gehaltsangabe innerhalb eines bestimmten Korridors verschrecke dann vermutlich Personen, die darüber liegen.

Jobsuchende wünschen sich möglichst konkrete Angaben, nach denen sie filtern können, kommentiert Employer-Branding-Experte Stefan Scheller. Dabei könnten vor allem kleine und mittelständische Unternehmen leer ausgehen. Denn Großkonzerne seien in der Lage, sich deutlich mehr zu leisten. „Wären in Jobportalen kleinere Mittelständler rein über die Gehaltszahlung herausfilterbar, würde das den Markt deutlich verzerren“, sagt der HR-Manager. Die Frage nach Gehaltstransparenz in Stellenanzeigen gehe immer damit einher, ob das tatsächlich ausgezahlte Gehalt den gesamten Verdienst beziehungsweise die Gegenleistung für die entsprechende Arbeitsleistung darstelle. So wären günstige Rahmenbedingungen bei der Arbeit wie Zeit-, Ortsflexibilität oder nichtmonetäre Benefits monetär umzurechnen. Dies sei in der Praxis nahezu unmöglich. Er empfiehlt Jobsuchenden, auf Basis von Gehaltsdatenbanken und Prognosen eine Spannbreite in die Bewerbung aufzunehmen. Diese Angabe bieten viele große Plattformen an.

Linkedin-Stimmungsbarometer des HRM über Gehaltstransparenz in Stellenanzeigen

Eine weitere Hürde für kleine und mittelständische Unternehmen sieht Astrid Lehmeyer in der notwendigen Flexibilität. Die Recruiting-Beraterin hält eine fixe Gehaltsangabe für schwierig. Sie bekomme zwar bei Suchaufträgen im Kundenauftrag ein Budget genannt, aber in besonderen Fällen dürfe sie durchaus Ausnahmen machen. „Diese Jobsuchenden hätten sich bei der Angabe einer Gehalts-Range gleich selbst aussortiert und das Unternehmen hätte auf wertvolle Mitarbeitende verzichten müssen“, schreibt sie. Während manche also Gehaltstransparenz befürworten, sehen andere von einer pauschalen Angabe des Verdienstes in Stellenanzeigen eher ab. Letztere bevorzugen eine differenzierte Betrachtung, um Talente nicht zu verschrecken, die gegebenenfalls über der Gehaltsspanne liegen. Und in der Praxis? Dem Stimmungsbild einer HRM-Umfrage auf Linkedin unter 236 Teilnehmenden zufolge geben 42 Prozent der Befragten das Gehalt in Jobausschreibungen an. Eine weitaus größer angelegte Datenanalyse des Softwareunternehmens Wollmilchsau von mehr als 250.000 Jobinseraten der Bundesagentur für Arbeit zeigt: Lediglich rund zwölf Prozent der Stellenanzeigen enthalten eine konkrete Gehaltsangabe. Es bleibt also spannend.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Selbstverständnis. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Sven Lechtleitner, Foto: Privat

Sven Lechtleitner

Journalist
Sven Lechtleitner ist freier Wirtschaftsjournalist. Er hat ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg sowie ein Fernstudium Journalismus an der Freien Journalistenschule in Berlin absolviert. Von November 2020 bis Juli 2022 war er Chefredakteur des Magazins Human Resources Manager.

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