Michael Pluta: Der Krisenflüsterer

Porträt

Seit anderthalb Jahren nimmt Michael Pluta morgens die Treppe statt des Aufzugs, als Start in den Arbeitstag. Ganze acht Stockwerke legt der Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht so zurück – zumindest, wenn er im Hauptquartier seiner Kanzlei in Ulm arbeitet. Er hat auch noch ein Büro im rund 80 Kilometer entfernten Stuttgart, wo er ebenso häufig ist. An 40 Standorten in Deutschland, Italien und Spanien ist sein Unternehmen mit rund 500 Mitarbeitenden vertreten. Als Insolvenzverwalter ist Pluta viel mit dem Auto unterwegs – sein Einsatzgebiet reicht von Stuttgart bis zum Bodensee.

Seine Ausbildung hat der heute 72-Jährige jedoch im Norden absolviert: Er studierte Jura in Hamburg. Das Studienfach reizte ihn zunächst nicht. Der junge Mann interessierte sich eher für kaufmännische Themen sowie für Vertrieb und Marketing. Betriebswirtschaftslehre wäre zwar eine Möglichkeit gewesen, aber bei Jura sah er mehr Optionen für eine spätere Selbstständigkeit. Das Unternehmertum lernte der gebürtige Ulmer schon im Familienbetrieb. Ursprünglich sollte er den Werkzeugmaschinenhandel einmal übernehmen und arbeitete dort auch eine Weile. Doch das Geschäft weiterzuführen, kam für ihn nicht infrage. Ihn lockten die Einblicke in verschiedene Unternehmen. Nach erfolgreichem Jurastudium machte er sich im Jahr 1982 mit seiner ersten Kanzlei selbstständig und legte seinen Fokus auf die Insolvenzverwaltung. Später, im Jahr 2002, expandierte er und gründete die Pluta Rechtsanwalts GmbH. Damit konzentriert er sich neben Insolvenzverwaltung auch auf Rechtsberatung sowie Unternehmenssanierungen -restrukturierungen. Warum der Fokus auf Insolvenzrecht? „Das ist die einzige Möglichkeit, dauernd Unternehmen zu wechseln, ohne dass es der Karriere schadet“, antwortet Michael Pluta. Er ist ein umtriebiger Mensch. Ständige Veränderungen begeistern ihn, er mag die Einblicke in unterschiedliche Organisationen. Außerdem zähle bei der Arbeit im Insolvenzrecht nicht nur das Juristische, sondern auch das Kaufmännische – und so komme er seinem ursprünglichen Interesse an Wirtschaft doch wieder nah.

Ursachen suchen

Während seiner beruflichen Laufbahn begleitete Pluta zahlreiche Insolvenzen, darunter aufmerksamkeitsreiche Unternehmenssanierungen wie die des Handyherstellers Benq, des Spielzeug- und Modelleisenbahnproduzenten Märklin und des Modeunternehmens Strenesse. Die Ursachen, warum ein Unternehmen wirtschaftlich ins Straucheln gerät, sind vielfältig. Manchmal führen Missmanagement oder zu starke Rücksichtnahme auf Gesellschafterbelange über die Jahre hinweg zur Krise, sagt der Experte. Andere Unternehmen wiederum bauten ihr Onlinegeschäft zu spät aus oder Gründungspersonen, die zuvor die Marke getragen haben, verließen ihre Unternehmen. Um Firmen wieder auf die Spur zu bringen, reiche es oftmals schon aus, klassische kaufmännische Grundlagen einzuführen. Bei einer Insolvenz muss Pluta die maximale Gläubigerbefriedigung gewährleisten. Das bedeutet in der Regel: entweder das Unternehmen als Ganzes verkaufen, also einen Käufer oder eine Käuferin finden, oder es liquidieren und somit in Einzelteilen veräußern.

Gerät ein Unternehmen in eine wirtschaftliche Schieflage, kann dies mitunter das Ende des Employee Lifecycle vieler Beschäftigter bedeuten. Der Sanierungsexperte und Insolvenzverwalter Michael Pluta setzt im Krisenfall auf eindeutige Kommunikation und Ehrlichkeit – und auf Gespräche mit dem Betriebsrat.
Der Vorstandsvorsitzende der Simba Dickie Group Michael Sieber rechts und der Märklin Insolvenzverwalter Michael Pluta posieren mit einer Märklin Lokomotive am 21 März 2013 in Fürth am Rande einer Pressekonferenz zur Übernahme des Modellbahnunternehmens Märklin © Daniel Karmann picture alliance dpa

Seine Rolle bei einer Sanierung ist für den Juristen eine Team-Angelegenheit. Bei Benq seien es am Anfang 40 Personen gewesen, die dieses Team ausmachten, bei Märklin waren es 15. Der Insolvenzverwalter steht an der Spitze, leitet das Team und verhandelt alle wesentlichen Details. Er bestimmt oder holt eine Person für das Management, die jeden Tag im Geschäft ist. Im Kern geht es darum, nach der Ursache der Insolvenz zu suchen und zu entscheiden, inwiefern sich diese beseitigen lässt. Er prüft, ob Personen Bestandteil der Ursache sind und ob die Sanierungsmaßnahmen ausreichen, um das Unternehmen wieder restrukturiert an den Markt zu bringen. „Die erste Wahrnehmung ist nicht immer die richtige“, sagt Pluta. Der Rechtsanwalt erinnert sich an Firmen, bei denen er dachte, sie hätten keine Chance, die dann aber sofort verkauft und weitergeführt wurden. Dann gab es andere, wie Märklin, bei denen er annahm, diese in kürzester Zeit zu veräußern. Stattdessen dauerte die Sanierung Jahre.

Verhandlungsgeschick beweisen

Bei Insolvenzen denkt man zunächst an juristische Aspekte. Michael Pluta ist aber zu großen Teilen mehr Manager als Jurist. „Unternehmenssanierung ist eine Management- und Kommunikationsaufgabe“, sagt der 72-Jährige. Es braucht Verkaufs- und Verhandlungsgeschick auf unterschiedlichen Ebenen. So verhandelt der Insolvenzverwalter einerseits mit Gläubigern, andererseits mit Kaufinteressenten in beispielsweise China oder Japan. Dazu müsse er wissen, wiesein Gegenüber „tickt“ und welche kulturellen Besonderheiten bei Verhandlungen eine Rolle spielen. Das habe er im elterlichen Betrieb gelernt, für den er unter anderem in Japan Werkzeugmaschinen eingekauft habe. In den Verhandlungen zähle vor allem das Wort, auch wenn später alles in einen Vertrag gegossen würde. Den Umgang mit anderen Menschen müsse er in seinem Job beherrschen. In manchen Verhandlungen spielt Pluta auch mal „über Bande“, wie er es nennt. Damit meint der Jurist, dass eine Person den Good Cop spielt, die andere den Bad Cop. Welche Rolle nimmt er ein? „Es empfiehlt sich generell, dass derjenige, der am Ende das Sagen hat, in Verhandlungen nicht den Guten spielt“, berichtet er.

Bedeutet eine Insolvenz oder Sanierung zwangsläufig Personalabbau? „Nicht immer, aber meistens schon“, weiß Pluta. Das sei allerdings nicht unbedingt das Ende. So führt eine Sanierung oder Insolvenz die Belegschaft nicht automatisch in die Arbeitslosigkeit. Manchmal können während einer Sanierung die Beschäftigungsverhältnisse über Jahre aufrechterhalten werden, bis das Unternehmen schließlich unter neuer Hand weitergeführt wird. Dann gibt es noch Qualifizierungsgesellschaften, die den Übergang in den Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Dabei sind Angestellte häufig noch ein halbes oder ganzes Jahr abgesichert und haben Zeit, sich umzuorientieren. Außerdem bekämen viele sofort woanders einen Job. „Wir leben aktuell in einer Zeit, in der ich die Menschen bitten muss, zu bleiben“, sagt der Fachmann. Ohne Arbeitskräfte funktioniert schließlich keine Sanierung. In der Vergangenheit, als es keine Vollbeschäftigung gab, kam es häufiger zu Prozessen vor dem Arbeitsgericht. Im Augenblick sei das seltener der Fall, erklärt Pluta.

Emotionen auffangen

Plutas Kanzlei hilft in der Beratung auch Firmen, die in einer Krise stecken oder diese befürchten – also im frühen Stadium, noch vor einer Insolvenz. Wenn der gebürtige Ulmer als Insolvenzverwalter zu einem Einsatz berufen wird, ist diese Phase überschritten. Das ahnt auch die Belegschaft. Dem Juristen ist bewusst, dass Beschäftigte um ihre Arbeitsplätze bangen. Seine Erfahrung: Wenn er offen sagt, was er in welchem Zeitraum vorhat, und sich Menschen anständig behandelt fühlen, bleiben sie an Bord und warten die Entwicklungen ab. „Es ist eine Sache der ehrlichen und offenen Kommunikation“, meint Pluta.

Die erste Amtshandlung bei einem neuen Einsatz: eine Besprechung mit der Unternehmensleitung, direkt danach eine mit dem Betriebsrat. Dann macht Pluta einen Betriebsrundgang. Dabei achtet der Sanierungsexperte auf das Verhältnis zwischen Geschäftsleitung und Belegschaft. Schauen die Menschen interessiert und freundlich? Wie gehen sie miteinander um? Ignorieren sie sich, wenn er mit der Geschäftsleitung die Runde macht? Das sind Eindrücke, die ihm bei seiner weiteren Arbeit helfen. Die Rolle von Human Resources bei Sanierungen und Insolvenzen sieht Pluta vorrangig in der Abwicklung aller Personalangelegenheiten. „Mir bringt ein Gespräch mit dem Betriebsrat mehr als mit der HR-Abteilung“, sagt der Rechtsanwalt. Die Mitarbeitervertretung habe die Augen überall, kenne die Interessenlage und erzähle ihm restlos alles – was im Unternehmen passiere, nicht hätte sein dürfen oder besser laufen könne. Dieses Wissen braucht er, um die Missstände, die zur Schieflage geführt haben, anzugehen.

Aufbruchstimmung schaffen

Feingefühl ist vor allem bei der ersten Betriebsversammlung gefragt. „Wenn Sie mit mehreren Menschen reden, müssen Sie den Bauch und das Gefühl ansprechen, nicht den Verstand“, bemerkt Pluta. Es brauche ein Verständnis dafür, dass Beschäftigte über eine Insolvenz zunächst schockiert seien. Sachinformationen hält Pluta zu dem Zeitpunkt für fehlplatziert. Dafür haben die Menschen in dem Moment keinen Kopf. Viele würden in Gedanken nachrechnen, ob sie ihre Miete noch bezahlen könnten und generell über die Runden kämen. Nach dem ersten Schrecken müsse man ihnen Zeit lassen, alles zu ordnen. Also gilt es im ersten Schritt, die Emotionen aufzufangen, und im zweiten Schritt, die relevanten Sachinformationen zu vermitteln. Im Austausch mit der Belegschaft versucht Pluta, ein Gefühl des Aufbruchs zu schaffen. „Wir bemühen uns alle, dass wir gemeinsam in eine vernünftige Zukunft gehen. Deshalb bin ich angetreten. Ich kann das nicht allein. Bitte machen Sie mit!“, verdeutlicht er auf Betriebsversammlungen. „Ich mache das für Sie, Sie machen das für mich – und gemeinsam schaffen wir das dann auch.“

Transparenz und Ehrlichkeit stehen für den Baden-Württemberger im gesamten Insolvenzprozess an oberster Stelle. Die Belegschaft habe ein Anrecht darauf zu erfahren, was die Geschäftsleitung mit dem Unternehmen plane und was deren Ziele seien. Schließlich zählen Angestellte zu den Gläubigern wie alle anderen Stakeholder auch. Auf Offenheit setzt Pluta auch, falls das Unternehmen keine Zukunft mehr hat. Wenn absehbar sei, dass es nicht weitergehe, müsse man das ebenso klar an die Angestellten kommunizieren.

Die missliche Lage eines Unternehmens hat nicht er herbeigeführt. Das haben andere vor ihm gemacht. Dafür trägt er keine Verantwortung, ebenso wenig für etwaige Entlassungen, die daraus resultieren. Dennoch hat der Insolvenzverwalter ein besonderes Ethos: „Niemand darf seinen Arbeitsplatz verlieren, weil ich einen schlechten Job mache.“ Ihm liegen die Sorgen der Menschen am Herzen. Vor allem, wenn er lange in einem Betrieb und an dessen Sanierung gearbeitet hat, fühlt er sich ihnen verbunden. Auch Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen schätzen diese Arbeitsweise, hebt er hervor. So habe die Gewerkschaftssekretärin bei der Verabschiedungsrunde beim Spielwarenhersteller Märklin damals betont, dass Pluta alles Versprochene eingehalten habe. Von der Gesamtbelegschaft erhielt der Insolvenzverwalter daraufhin Standing Ovations: Ein berührender Moment, an den Michael Pluta sich gerne erinnert.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Employee Lifecycle. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Sven Lechtleitner, Foto: Privat

Sven Lechtleitner

Journalist
Sven Lechtleitner ist freier Wirtschaftsjournalist. Er hat ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg sowie ein Fernstudium Journalismus an der Freien Journalistenschule in Berlin absolviert. Von November 2020 bis Juli 2022 war er Chefredakteur des Magazins Human Resources Manager.

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