Müssen Arbeitgeber die Verjährung in der bAV neu denken?

Betriebsrentengesetz

Dem Gesetzgeber war die Klarstellung zur Verjährung in der betrieblichen Altersvorsorge einen eigenen Paragrafen wert: § 18a Betriebsrentengesetz. Müssen Unternehmen jetzt nach der Entscheidung des niedersächsischen Landesarbeitsgerichts (Urteil vom 24. April 2023 – 15 Sa 125/22) die Verjährung in der betrieblichen Altersversorgung neu denken?

Verjährung nach Betriebsrentengesetz

18a Betriebsrentengesetz regelt die Grundsätze der Verjährung in der betrieblichen Altersversorgung: Gemäß Satz 1 verjährt der Anspruch auf Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung in 30 Jahren. Gesprochen wird hierbei üblicherweise von dem sogenannten (Renten-)Stammrecht. Umfasst ist insbesondere der Anspruch auf die Versorgung an sich. Weiterhin umfasst sind Ansprüche, die das Stammrecht unmittelbar beeinflussen. Dies ist zum Beispiel der Anspruch auf Mitwirkungshandlungen zur Verschaffung von Versorgungsansprüchen (vgl. Bundesarbeitsgericht vom 14.10.1998 – 3 AZR 377/97) oder auf vertragliche oder gesetzliche Rentenerhöhungen (vgl. Blomeyer pp, BetrAVG, § 18a Randnummer 3).

Der §18a Satz 2 Betriebsrentengesetz regelt hingegen die Verjährung der Ansprüche auf regelmäßig wiederkehrende Leistungen aus der erteilten Versorgungszusage. Gemeint ist damit insbesondere die monatliche Rentenleistung. Diese Zahlungsansprüche unterliegen kraft Satz 2 der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist nach § 195 Bürgerliches Gesetzbuch.

7-jährige Verjährungsfrist?

Betrachtet man diese Grundsätze, ist es kaum erklärlich, dass der Kläger vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen trotz einer Klageerhebung erst sieben Jahre nach Fälligkeit der ersten Rentenleistung dem Verjährungseinwand nach § 18a Satz 2 Betriebsrentengesetz entgehen konnte. Wie erklärt sich das?

Sachverhalt

Der Kläger war seit 1990 bei der Beklagten beschäftigt. Per Arbeitsvertrag war dem Kläger eine Pensionskassen-Versorgungszusage erteilt. Diese sollte sich nach den Regeln der Pensionskasse richten und über diese erbracht werden. Am 30. Juni 2003 endete das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten. Die Versorgungszusage über die Pensionskasse wurde ab dem 1. Juli 2003 beitragsfrei fortgeführt. Anfang Januar 2014 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung dem bereits seit 2002 als teilweise erwerbsgemindert eingestuften Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Kläger nahm dies zum Anlass, sich noch im Januar 2014 bei der Pensionskasse nach dem Bestehen von Versorgungsansprüchen zu erkundigen. Die Pensionskasse lehnte Ansprüche auf eine Berufsunfähigkeitsrente mit Schreiben vom 5. August 2014 (unberechtigterweise) ab. Eine erst fünf Jahre später – im Dezember 2019 – erhobene Klage gegen die Pensionskasse vor dem Landgericht auf Zahlung einer monatlichen Rente ab März 2014 war erfolglos. Das angerufene Landgericht war der Auffassung, dass der geltend gemachte Anspruch gemäß § 14 I Versicherungsvertragsgesetz mit dem ablehnenden Schreiben der Beklagten vom 5. August 2014 fällig geworden sei, sodass die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 Bürgerliches Gesetzbuch bereits Ende 2017 abgelaufen war. Das hiergegen angestrengte Berufungsverfahren wurde nach entsprechenden gerichtlichen Hinweisen nicht zu Ende verfolgt. Der Kläger verfolgte nun seine Forderung gegenüber der beklagten ehemaligen Arbeitgeberin mit erst im Juni 2021 bei dem Arbeitsgericht Hannover eingegangener Klage weiter. Im Hinblick auf die seit März 2014 bestehende Berufsunfähigkeit sei die Beklagte verpflichtet, ihm die zugesagte Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von (unstreitigen) 189,29 Euro zu zahlen. Die Beklagte hafte trotz der Durchführung der betrieblichen Altersversorgung über eine Pensionskasse, da die Ansprüche gegen diese nicht durchsetzbar seien.

In erster Instanz hatte der Kläger hiermit keinen Erfolg. Erst die Berufung an das Landesarbeitsgericht Niedersachsen verhalf ihm zum (jedenfalls vorläufigen) Erfolg.

Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht hat – soweit noch nachvollziehbar – die Auffassung vertreten, dass die Beklagte aus der als betriebliche Altersversorgung zu qualifizierende Beitragszusage im Arbeitsvertrag grundsätzlich zur Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente verpflichtet ist. Für die über die Pensionskasse zugesagte Versorgungsleistung habe die Beklagte nach § 1 I Satz 3 Betriebsrentengesetz einzustehen. Entscheidend sei insofern nicht, aus welchen Gründen der externe Versorgungsträger nicht leiste. Auch müsse ihn hieran keine Schuld treffen. Allein aus dem Ausfall des externen Versorgungsträgers folge, dass der Kläger einen verschuldensunabhängigen Erfüllungsanspruch gegen die Beklagte habe. Der Anspruch auf die Einstandspflicht an sich unterliege hierbei der langen Verjährungsfrist des § 18a Betriebsrentengesetz. Zuletzt seien die einzelnen Rentenzahlungen seit Januar 2014 – unbeschadet der Anwendbarkeit von § 18a Satz 2 Betriebsrentengesetz – bei Erhebung der Klage im Juni 2021 nicht verjährt.

Bewertung und Ausblick

Die vom Landesarbeitsgericht Niedersachsen vorgenommene Zuordnung des Anspruchs auf Einstandshaftung nach § 1 I Satz 3 Betriebsrentengesetz zu der 30-jährigen Verjährung nach § 18a Satz 1 kann noch überzeugen. Hierzu braucht es zwar nicht die komplizierten Überlegungen zu einer ggf. erforderlichen zielgerichteten Reduktion des § 1 I Satz 3 Betriebsrentengesetz, die das Landesarbeitsgericht anstellt. Die Einstandspflicht an sich ist eine dem Stammrecht nahe Verpflichtung.

Nicht mehr überzeugend ist hingegen der letzte entscheidende Schritt in der Argumentation des Landesarbeitsgerichts: Das Landesarbeitsgericht legt dar, dass der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 1 I Satz 3 erst mit der Verjährung des Anspruchs gegen den BVV entstehen konnte, somit frühestens zum 1. Januar 2018. Unter dieser Prämisse wären die Ansprüche bei Klageerhebung im Sommer 2021 tatsächlich noch nicht nach § 18a Satz 2 Betriebsrentengesetz in Verbindung mit § 195 Bürgerliches Gesetzbuch verjährt gewesen.

Die Annahme des Landesarbeitsgerichts zum Zeitpunkt der Anspruchsentstehung aus § 1 Absatz 1 Satz 3 ist aber nach diesseitiger Ansicht in doppelter Hinsicht nicht überzeugend. Zum einen lag ein Grund zur Inanspruchnahme des Arbeitgebers bereits mit der Leistungsablehnung der Pensionskasse im Sommer 2014 vor. Will man an die Leistungsverweigerung der Kasse anknüpfen, wäre der Anspruchsentstehungszeitpunkt somit das Jahr 2014 – Verjährung demnach zum 31. Dezember 2017 (vgl. insofern auch Matthießen, jurisPR-ArbR 32/2023 Anm. 7).

Zum anderen scheint es aber aus dogmatischen Gründen überhaupt nicht erforderlich zu sein, den Anspruch aus § 1 I Satz 3 Betriebsrentengesetz einer gesonderten Verjährungsfrist zu unterwerfen. Der Versorgungsberechtigte muss nicht davor geschützt werden, dass er selbstverschuldet seine Ansprüche gegenüber dem Versorgungsträger zu spät geltend gemacht hat. Der gleichen Verjährungsregelung wäre der Versorgungsberechtigte auch unterworfen gewesen, wenn die Beklagte ihm eine unmittelbare Zusage erteilt hätte. Auch in diesem Fall wäre der Versorgungsanspruch – ohne zweite Chance – im vorliegenden Fall am 31. Dezember 2017 verjährt gewesen. § 1 I Satz 3 Betriebsrentengesetz soll aber gerade vor Risiken aus der Einschaltung eines externen Versorgungsträgers schützen – nicht aber vor den auch bei unmittelbarer Zusage bestehenden. Zudem ist es zwar zutreffend, wenn das Landesarbeitsgericht das Bundesarbeitsgericht mit dem Hinweis auf eine fehlende (gleichrangige) Gesamtschuld zitiert. Es darf hierbei aber nicht übersehen werden, dass bereits der Wortlaut des § 1 I Satz 3 vorgibt, dass der Arbeitgeber für die zugesagten Leistungen und damit Ansprüche einzustehen hat. Ist der Anspruch untergegangen, kann nach diesseitiger Auffassung auch keine Einstandspflicht mehr bestehen.

In diesem Sinne ist zu hoffen, dass das Bundesarbeitsgericht im kommenden Jahr seine Chance in der anhängigen Revision nutzt, um dem vorliegenden Fall zu einem überzeugenden Ergebnis zu verhelfen. Das Bundesarbeitsgericht könnte hier verhindern, dass wieder einmal “bad cases make bad law” gilt.

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Jörn Manhart ist Rechtsanwalt und Partner bei ADVANT Beiten.

Jörn Manhart

Rechtsanwalt
BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Jörn Manhart ist Rechtsanwalt und Partner bei ADVANT Beiten. Er ist Mitglied der Praxisgruppe Arbeitsrecht. Sein Beratungsschwerpunkt liegt im Bereich der betrieblichen Altersversorgung.  

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