Weisungsrecht und Privatsphäre – ein Spannungsverhältnis

Grenzen der Weisungsbefugnis

Der Klimawandel und der richtige Umgang hiermit bewegen derzeit die öffentliche Diskussion. Das musste auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) feststellen, als sie ihre Beschäftigten zu mehr Klimaschutz anhalten wollte und die Einhaltung eines Tempolimits auf Autobahn und Landstraße vorgab. Um die Treibhausgas-Emissionen spürbar zu reduzieren, sollen Beschäftigte der evangelischen Kirche nunmehr ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen einhalten – zumindest auf Fahrten mit beruflichem Kontext.

Diese Handhabung warf die Frage auf, welchen Einfluss der Arbeitgeber auf das Verhalten der Beschäftigten hat. Wie weit reicht das Weisungsrecht des Arbeitgebers, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hierdurch in ihrer Handlungsfreiheit beschränkt werden?

Überblick: Weisungsrecht des ­Arbeitgebers

Das Gesetz räumt Arbeitgebern bei der Anordnung des Inhalts, des Ortes und der Zeit der zu erbringenden Arbeitsleistung weitgehende Freiheiten ein. So soll es dem Arbeitgeber möglich sein, durch die verbindliche Verteilung von Arbeitsaufgaben einen effizienten Betriebsablauf entsprechend der gegenwärtigen Erfordernisse sicherzustellen. Bei der Ausübung der Weisungsbefugnis muss er jedoch auf die Wahrung „billigen Ermessens“ achten. Das heißt, die Weisung muss die Interessen der Beschäftigten bei der Leistungsbestimmung in angemessener Weise berücksichtigen.

Neben der Arbeitsleistung besteht das Weisungsrecht in Bezug auf das sogenannte Ordnungsverhalten – das heißt das Verhalten seiner Beschäftigten innerhalb des Betriebs über die eigentliche Arbeitsleistung hinaus. In der
Praxis übliche Vorgaben zum Ordnungsverhalten sind beispielsweise Ethik-Richtlinien oder Vorgaben über den Umgang miteinander im Betrieb. Die Unterscheidung zwischen dem Arbeits- und dem Ordnungsverhalten ist auch relevant für die betriebliche Mitbestimmung. Besteht ein Betriebsrat, hat dieser bei der Regelung des Ordnungsverhaltens mitzubestimmen.

Grenzen der Weisungsbefugnis?

Das innerbetriebliche Weisungsrecht gilt – auch über die Wahrung billigen Ermessens hinaus – nicht grenzenlos. Arbeitgeber haben bei der Erteilung von Weisungen die Einhaltung diverser Gesetze zu beachten, insbesondere das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Arbeitsschutzgesetz und – für die Weisungen zur Lage der Arbeitszeiten – das Arbeitszeitgesetz. Auch Vereinbarungen können das Weisungsrecht einschränken. Weisungen, die gegen anwendbare Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen verstoßen, müssen Beschäftigte nicht gegen sich gelten lassen. Häufig grenzt auch der Arbeitsvertrag das Weisungsrecht ein. Sofern und soweit die arbeitsvertragliche Leistungspflicht im Arbeitsvertrag definiert ist, ist eine hiergegen verstoßende Weisung unzulässig. Eine Abweichung von den vertraglichen Regelungen wäre nur durch eine neue Vereinbarung – also mit Zustimmung der jeweiligen Beschäftigten – möglich. Somit gilt grundsätzlich: Je genauer der Arbeitsvertrag die zu erbringende Arbeitsleistung festlegt, desto weniger Raum bleibt für die Erteilung von Weisungen.

Allerdings können sich auch hiervon Abweichungen im Einzelfall ergeben. Die Weisungsbefugnis kann sich insbesondere in Notfällen erheblich ausweiten, wenn andernfalls die Existenz des Betriebs gefährdet wäre. Ein Beispiel: Ein kaufmännischer Angestellter muss auch dann zum Feuerlöscher greifen, um einen Brand im Unternehmen zu bekämpfen, wenn sein Arbeitsvertrag derartige Tätigkeiten ausschließt. Voraussetzung ist jedoch stets, dass die Erweiterung des Tätigkeitsbereichs nur vorübergehend ist, sich die Befolgung der Weisung innerhalb der Zumutbarkeitsgrenze bewegt und keine andere Möglichkeit zur Beseitigung der Notlage besteht.

Weisung in den Bereich privater ­Lebensführung

Besondere Schwierigkeiten hinsichtlich einer Weisung können auftreten, wenn sie das Privatleben der Beschäftigten tangiert. Entscheidungen der privaten Lebensführung sind durch den Arbeitgeber grundsätzlich nicht beeinflussbar. Vorgaben des Arbeitgebers zur Inanspruchnahme steuerlicher Beratung sind etwa aufgrund des Eingriffs in die informationelle Selbstbestimmung der Beschäftigten unzulässig. Auch Vorgaben für Beschäftigte, ein „ordentliches Leben zu führen“, um dadurch ihre Arbeitsfähigkeit und Leistungskraft zu erhalten, stehen dem Arbeitgeber nicht zu. Ebenso wenig müssen Beschäftigte dem Arbeitgeber Auskünfte über ihr Privatleben erteilen. Die Gestaltung des Privatlebens der Beschäftigten stellt einen verfassungsrechtlich geschützten Raum dar, in den der Arbeitgeber nicht hereinreden darf. Es gilt also – im Grundsatz – eine strenge Abgrenzung zwischen dem Privatbereich und dem betrieblichen Bereich. Nur in Letzterem unterliegen die Beschäftigten dem Weisungsrecht der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.

Auch eine Vorgabe für Beschäftigte, sich privat unternehmensförderlich oder -freundlich zu verhalten, ist unzulässig. Befinden sich derartige Vertragsklauseln in den Arbeitsverträgen, so sind diese unwirksam. Zwar ist eine ruf- oder geschäftsschädigende Tätigkeit auch im Privaten nicht gestattet. Und Beschäftigte müssen bei der Ausübung ihrer Meinungsfreiheit berücksichtigen, ob ihre Äußerungen – etwa aufgrund erkennbarer Dienstkleidung oder bei der Angabe des Arbeitgebers in einem sozialen Netzwerk – auf den Arbeitgeber zurückfallen. Ohne derartige Berührungspunkte zum Arbeitsverhältnis gestattet das Direktionsrecht aber keine Einschränkung der privaten Meinungsäußerung, politischen Betätigung oder ähnlicher Aktivitäten.

Demgegenüber findet die strikte Trennung des dienstlichen und privaten Verhaltens seine Grenze dort, wo sich die private Lebensführung unmittelbar auf die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung auswirken kann. Denkbar wäre zum Beispiel eine rechtmäßige Weisung seitens des Arbeitgebers, dass eine Lokführerin oder ein Lokführer den Alkoholkonsum vor Dienstbeginn einzuschränken hat, um zum Arbeitsbeginn nüchtern zu sein.

Loyalitätspflicht und Gewissenskonflikte

Besonders diskutiert wird das Verhältnis von Berufs- und Privatleben im Bereich der Kirche. Kirchliche Arbeitgeber haben in der Vergangenheit oft nicht lediglich die Mitgliedschaft in der Kirche zur Einstellungsvoraussetzung gemacht. Auch aus kirchlicher Sicht unzulässiges Verhalten im Privatleben, wie zum Beispiel Wiederheirat nach einer Scheidung, war mitunter untersagt und führte im Falle eines Verstoßes zu arbeitsrechtlichen Sanktionen bis hin zur Kündigung.

Aufgrund der besonderen Funktion der Kirchen und ihrer Tätigkeit gesteht die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung den kirchlichen Arbeitgebern insoweit gewisse Einflussmöglichkeiten zu. Ein in das Privatleben hineinreichendes Verbot, wie etwa in Bezug auf eine Scheidung, wäre letztlich nicht durchsetzbar. In der Vergangenheit hielten die Gerichte arbeitgeberseitige Kündigungen immer wieder für wirksam, weil gekündigte Mitarbeitende im Privaten gegen kirchliche Werte verstießen. Insoweit ist allerdings in der jüngeren Vergangenheit eine Eingrenzung der Rechtsprechung zu erkennen. Bei der Frage des zulässigen Einflusses auf das Privatleben prüfen die Gerichte insbesondere, ob die betroffenen Beschäftigten als Repräsentantinnen oder Repräsentanten der Kirche in der Öffentlichkeit auftreten.

Auf der anderen Seite kann das Privatleben auch in die betrieblichen Abläufe hineinragen. Das Weisungsrecht kann etwa begrenzt sein, wenn seine Ausübung mit den Grundrechten der Beschäftigten unvereinbar wäre. Praktisch relevant sind insbesondere von Beschäftigten verweigerte Anordnungen, deren Ausführung einen Glaubens- oder Gewissenskonflikt auslösen würde. Beispielsweise lehnte ein muslimischer Mitarbeiter eines Supermarktes die Auffüllung der Regale mit alkoholischen Getränken ab, weil ihm der Koran jeden Umgang mit Alkohol verbiete. Die daraufhin erfolgte Kündigung durch den Arbeitgeber erachtete das Bundesarbeitsgericht nicht ohne Weiteres für zulässig. Nur sofern im Rahmen der betrieblichen Organisation des Arbeitgebers die Möglichkeit einer vertragsgemäßen Beschäftigung ohne Gewissenskonflikt nicht besteht, ist eine Kündigung zulässig.

Vorgabe eines Tempolimits?

Berücksichtigt man diese Grundsätze, wäre die Vorgabe zur Beachtung eines Tempolimits bei privaten Fahrten der Beschäftigten nicht zulässig. Welche Verkehrsmittel Beschäftigte in ihrer Freizeit wie nutzen, bleibt ihnen überlassen. Dies dürfte sogar für private Fahrten mit dem Dienstwagen gelten. Hier wäre allerdings eine abweichende Argumentation denkbar, weil der Arbeitgeber das Fahrzeug auf seine Kosten zur Verfügung stellt.

Bei dienstlichen Fahrten steht den Arbeitgebern eine solche Entscheidungsfreiheit dagegen zu. Jedenfalls in Zeiten von Nachhaltigkeit und Klimaschutz erscheint die Weisung zum ressourcensparenden Fahren nachvollziehbar und im Rahmen des Zumutbaren.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Sichtbarkeit. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Christoph Seidler

Osborne Clarke
Christoph Seidler ist Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Osborne Clarke in Hamburg. Sein Beratungsschwerpunkt liegt in betriebsverfassungs-rechtlichen Fragen, insbesondere im Kontext von New Work und Arbeitsrecht 4.0.

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