Sollten Arbeitgeber standardmäßig duzen?

Debatte

Durch das Siezen oder Duzen schaffen wir in unserer Kommunikation Distanz oder Nähe. Im 16. Jahrhundert hieß es noch „Hoheit, geht es Euch gut?“ statt „Hoheit, geht es Ihnen gut?“. Autoritäten wurden dadurch nie persönlich angesprochen. Erst ein Jahrhundert später kam das Sie, wie wir es heute verwenden, hinzu. Dieser Plural gilt als taktvolle Anrede, denn Distanz schafft Höflichkeit. Das Du, das uns heute aus unserem virtuellen Leben in den sozialen Netzwerken vertraut ist, möchte diese Distanz überwinden. Das Internet kennt schließlich keine Hierarchien. Auch Start-ups leben diese Kultur und prägen dementsprechend die Arbeitswelt. In Konzernen und Großunternehmen ist die Sache hingegen komplizierter: Einerseits sollen die Menschen vernetzt und agil miteinander arbeiten, andererseits gibt es Hierarchien und Befindlichkeiten, die die Menschen dazu bringen, am Sie festzuhalten. In der Folge haben sich vielerorts Mischformen etabliert. „Schicken Sie/schickt ihr mir dann gerne Ihre/eure Antwort bis Montag“, heißt es dann mitunter im Mailverkehr. Und da sagen noch einige, eine gendergerechtere Sprache bringe Unheil in unsere Kommunikation.

Dann gibt es noch jene Unternehmen, die eine Du-Kultur forcieren, um für ein vertrautes und familiäres Gefühl zu sorgen. So möchte manch ein Management von der Belegschaft geduzt werden, Führungskräfte bieten ihren Teams das Du an und Stellenanzeigen werden entsprechend überarbeitet. Dabei kommt es vor allem auf Authentizität an. Wenn Unternehmen nicht wissen, wer sie selbst sind, und ambivalent agieren, können solche Initiativen auferlegt oder unnatürlich wirken. Außerdem kann – je nach Persönlichkeit und Situation – das Sie respektvoller sein. Und auch hilfreich, beispielsweise beim ersten Aufeinandertreffen oder bei Konfliktgesprächen. Andere fühlen sich vom Du sogar überrumpelt oder beleidigt. Schließlich sind viele von uns mit dem Credo groß geworden, dass die ältere Person das Du anbietet, sofern sie das wünscht. Schließlich sollte jede Person selbst entscheiden dürfen, wie sie angesprochen werden möchte. Ist eine standardmäßige Du-Anrede im Unternehmen also angemessen? Und sollte das Duzen oder Siezen vorgegeben oder eher der unternehmenskulturellen Entwicklung überlassen werden?

Pro

Viele denken, dass ein Du alleine noch keine Kultur macht. Ich sage: Es ist ein wichtiges Signal. Denn das Duzen über Hierarchieebenen hinweg signalisiert: Bei uns steht das Gemeinsame im Vordergrund. Im Konzern habe ich erlebt, dass Anreden Grenzen ziehen: Das Du sind wir als Abteilung – das Sie sind die anderen. Duzen als Adelung der beruflichen Beziehung? Man erreicht mehr im Sinne einer modernen Unternehmenskultur, wenn man Duzen zum Standard macht. Die Höflichkeit und Wirkung einer Kommunikation darf nicht von der Anrede abhängig sein. Es gibt da einen Spruch, der besagt, dass es leichter sei, jemanden per Du mit einem Schimpfwort zu belegen als beim Siezen. Ich denke: Wer sich im geschäftlichen Kontext beschimpft, hat tiefergehende Interaktionsprobleme als die Anredeform. Moderne Unternehmen nehmen sich selbst nicht zu ernst – und dazu ist das Du ein wichtiger Schlüssel in einer Reihe von Maßnahmen, die zu einer von Wertschätzung und Augenhöhe geprägten Unternehmenskultur gehören.

Eva Stock, Chief People and Marketing Officer bei Comspace sowie Bloggerin und Autorin
© Comspace Tina Linster

 

Eva Stock, Chief People and Marketing Officer bei Comspace sowie Bloggerin und Autorin.

Contra

Das Du im Unternehmen kann keine Pauschallösung sein. Letztlich ist es eine Entscheidung der Unternehmenskultur und damit auch eine wichtige Frage, wie die eigene Arbeitgebermarke bei Mitarbeitenden sowie Bewerberinnen und Kandidaten wahrgenommen werden soll. Und da gibt es erst einmal kein Richtig oder Falsch, sondern nur einen identitätsbasierten Ansatz, der die Menschen anspricht, die dazu passen – oder eben nicht. Denn es gibt Angestellte, die fühlen sich im eher traditionell-kulturellen Umfeld wohler, weil sie klare Hierarchien bevorzugen. Und dann gibt es eben jene, die in flachen Hierarchien besser zurechtkommen. Soll heißen: Mit Duzen oder Siezen setzen Unternehmen einen Filter, was ja nichts Schlechtes ist, sondern dazu führt, dass Arbeitgeber von vorneherein für diejenigen interessant sind, die auch unternehmenskulturell passen. Um nichts anderes geht es ja im Recruitingprozess.

Sascha Theisen, Berater bei Employer Telling und Experte für Arbeitgeberkommunikation
© Catja Vedder

Sascha Theisen, Berater bei Employer Telling und Experte für Arbeitgeberkommunikation.

Vor kurzem hat der Human Resources Manager seine Linkedin-Community gefragt, ob das Duzen am Arbeitsplatz nun eher Zeitgeist oder Unhöflichkeit sei. Die dazugehörige HRM-Umfrage unter 1.277 Teilnehmenden zeigt: Die Mehrheit duzt sich im Job. Das geben 66 Prozent der Befragten an. Immerhin 22 Prozent sagen, dass sie das Du und Sie individuell handhaben. Lediglich ein Prozent setzt am Arbeitsplatz stringent auf das Sie als Anredeform. Die restlichen elf Prozent duzen sich zwar im Team, siezen jedoch ihre Führungskräfte. Die Kommentare von HR-Verantwortlichen und Beschäftigten verschaffen einen Blick unter die Oberfläche. Wie stehen die Menschen zum Du oder Sie von Unternehmen? Der Tenor ist eindeutig: Das Du ist fester Bestandteil der Arbeitswelt. Für das Sie am Arbeitsplatz macht sich niemand stark. Die Mehrheit schätzt eine Du-Kultur und das familiäre Miteinander. Gleichzeitig kommt es für einzelne Personen auch auf den Arbeitsbereich an. So wirken Finanzkontakte per Du – beispielsweise bei einer Bank – unangemessen. Besonders im Kundenkontakt kann das Sie eine förmliche Distanz wahren. Wenn Siezen die Außenkommunikation beherrscht, liegt die Annahme nahe, dass eine Sie-Anrede auch die Innenkommunikation prägt. Gerade über Hierarchien hinweg war Siezen lange Zeit üblich, vor allem in traditionell geprägten Branchen. Oftmals ergeben sich daraus Mischformen – also das Kollegium duzen und die Chefin oder den Boss siezen. Ein solcher Du-Sie-Mix kommt nicht bei allen gut an. „Sobald Beschäftigte andauernd überlegen müssen, ob man sich jetzt bereits geduzt hat oder noch beim Sie ist, verkompliziert dies die Zusammenarbeit sowie das Miteinander“, kommentiert Mathias Aldorf, Experte für HR Governance bei E. Breuninger. Er hält klare und offene Kommunikation für das Wichtigste. Ein fehlender respektvoller Umgang sei meist das Argument derer, die zwanghaft an einem Sie festhalten möchten.

HRM-Umfrage auf Linkedin, ob Arbeitgeber duzen oder siezen sollten

„Respekt“ ist das Stichwort. Siezen sorgt für eine gewisse Höflichkeit, die gerade in schwierigen Gesprächssituationen oder bei Konflikten einen achtungsvollen Umgang verspricht. Doch genau genommen kann das alles auch bei einem Du gelingen. „Das Sie hilft mit Einschränkung nicht bei konfliktären Situationen und macht sie auch nicht professioneller“, beschreibt Katharina Oberrecht, Senior People and Organisation Partner bei Ratepay, ihre Sicht als ehemalige Führungskraft und Mitarbeiterin. Sie ist seit Jahren in Du-Kulturen unterwegs, hat früher aber ebenso in einer Sie-Kultur gearbeitet und auch Mischformen erlebt. Es komme immer auf die Einstellung und Wertschätzung an, das sei ausschlaggebend im Miteinander. „Ich würde nie wieder in einer Sie-Kultur arbeiten wollen, weil es für mich eine künstlich hergestellte Linie ist, die ich nicht brauche und auch nicht schätze“, schreibt sie. Ihr sei jedoch bewusst, dass viele auf eine Sie-Anrede Wert legen. Es sei schön, dass es beides gebe.

Bei einer Sache herrscht also Einigkeit: Duzen vorleben und fördern, aber es letztlich der jeweiligen Person überlassen, wie sie angesprochen werden möchte. Und von heute auf morgen lässt sich eine Du-Kultur ohnehin nicht umsetzen. „Mit dem Duzen und Siezen ist es wie mit allen kulturellen Veränderungen in Unternehmen: Sie brauchen ihre Zeit und sollten im besten Fall von innen heraus wachsen und nicht übergestülpt werden“, schreibt Colette Rückert-Hennen, Vorständin für Personal, Recht und Arbeitsdirektorin bei EnBW Energie Baden-Württemberg. Das möge zwischenzeitlich zu Mischformen und uneinheitlichen Formen in der Kommunikation führen – erst recht in Unternehmen, in denen es sowohl traditionelle als auch agile Strukturen gebe. Der Diskurs darüber sei schon Teil des Wandels selbst und daher durchaus wertvoll.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Risiko. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Sven Lechtleitner, Foto: Privat

Sven Lechtleitner

Journalist
Sven Lechtleitner ist freier Wirtschaftsjournalist. Er hat ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg sowie ein Fernstudium Journalismus an der Freien Journalistenschule in Berlin absolviert. Von November 2020 bis Juli 2022 war er Chefredakteur des Magazins Human Resources Manager.

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