„Jetzt bloß nichts falsch machen!“, denkt die Personalerin Ursula, als sie Daniel vor sich sitzen sieht. Er hat sie gerade darum gebeten, seinen selbst gewählten Namen in die Systeme des Unternehmens eintragen zu lassen. Denn Daniel ist ein trans Mann. Ihm wurde also bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen. Sein Geschlechtsbewusstsein – also das Wissen um das eigene Geschlecht – ist jedoch männlich. Ursula hatte schon seit Daniels Jobbeginn, den er noch in der weiblichen Geschlechtsrolle erlebte, ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihm aufgebaut. Er trat zunächst als lesbische Frau auf und outete sich dann später als trans Mann.
Wie die Personalerin Daniels Transition erlebte, hat sie in dem Fachbuch Transidentität und drittes Geschlecht im Arbeitsumfeld als Gastbeitrag geschildert. Sie hatte große Angst, dass an ihrer Reaktion etwas falsch sein könnte, sie ihm womöglich zu nahetrete. Doch sie machte vieles richtig: Sie gab zu, dass sie unsicher sei und viele Fragen habe. Beide einigten sich darauf, dass sie alle Fragen stellen dürfe, und Daniel Grenzen setzen werde, wenn diese zu privat ausfielen. Der Personalerin war es wichtig, schreibt sie, die emotionale Situation zu klären, bevor Daniel und sie die Transition im Teamwork innerhalb der Firma umsetzen konnten.
„Transition“ heißt der Prozess, in dem eine trans Person auf drei voneinander unabhängigen Ebenen Änderungen vornimmt, um ihr Geschlechtsbewusstsein auszudrücken: Sie ändert höchstwahrscheinlich ihre gelebte Geschlechtsrolle (soziale Transition), lässt möglicherweise ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister anpassen und wechselt den amtlichen Vornamen (rechtliche Transition). Gegebenenfalls lässt sie zusätzlich medizinische Angleichungsmaßnahmen umsetzen und nimmt Hormone ein (medizinische Transition). Dieser Weg ist genauso individuell wie die Gefühle, die trans Personen zu ihrem Transseins haben.
„Transsexualismus“ lautete die bisherige medizinische Diagnose, die in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten ICD-10 steht. Zum 1. Januar 2022 trat schließlich die aktualisierte Fassung ICD-11 in Kraft. Diese muss hierzulande noch in soziales Recht überführt werden. Im ICD-11 wird Transsein nicht mehr als psychische Krankheit kategorisiert, sondern im neu geschaffenen Kapitel Conditions related to sexual health als eine Normvariante von Geschlechtsidentität aufgeführt: „Genderinkongruenz“ lautet die Diagnose nun, also eine ausgeprägte und beständige Nichtübereinstimmung zwischen dem erlebten und dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht. Wenn diese Inkongruenz als Leiden empfunden wird, lautet die Diagnose „Geschlechtsdysphorie“. Das ist das Gegenteil von Gendereuphorie, dem Gefühl, das trans Personen empfinden können, wenn ihr Geschlechtsbewusstsein von außen bestätigt wird.
Benachteiligung, Angst und Zwangsouting
Die Studie Out im Office?! Sexuelle Identität und Geschlechtsidentität, (Anti-)Diskriminierung und Diversity am Arbeitsplatz (2017) vom Institut für Diversity- und Antidiskriminierungsforschung ergab, dass ungefähr sieben von zehn der trans Beschäftigten mit keiner oder nur sehr wenigen Personen am Arbeitsplatz offen über ihr Geschlechtsbewusstsein sprechen. Fast die Hälfte der 290 befragten trans Personen gab an, Tuscheln, Gerüchte oder Lügen erlebt zu haben (49 Prozent) sowie sexuelle Anspielungen (43 Prozent), Kontaktabbruch und soziale Ausgrenzung (39 Prozent).
Für Personalabteilungen gibt es verschiedene Möglichkeiten, um trans Personen das Outing, die Transition und schlicht das Arbeitsleben zu erleichtern.
Die Ergebnisse des Corporate Equality Index 2022 der US-Organisation Human Rights Campaign Foundation zeigen: Es werden zunehmend inklusive Praktiken in Unternehmen umgesetzt. Eine davon ist das Veröffentlichen einer Leitlinie über Transidentität am Arbeitsplatz. International haben mittlerweile 662 Unternehmen Gender-Transition-Guidelines herausgebracht. Hierzulande waren SAP, Coca-Cola und ThyssenKrupp die ersten Arbeitgeber, die sich mit dem Thema beschäftigten. Der Softwarekonzern SAP veröffentlichte im Jahr 2014 seine Richtlinien zur Geschlechtsangleichung. Darin wurde noch ein recht distanzierter Ton angeschlagen: „Mitarbeiter, die sich einer Geschlechtsangleichung unterziehen, müssen darauf vorbereitet sein, gegenüber ihrem HRBP, Vorgesetzten und anderen Personen Aufklärung zu leisten, um die Erwartungshaltungen zu klären.“
Allyship
Die Tonalität des Transidentity Guides vom E-Commerce-Unternehmen Otto, der acht Jahre später erschien, klingt schon anders: „Das Wichtigste zuerst: Du bist, wer du bist, und das ist absolut gut so! Wir lassen dich bei deiner persönlichen Transition nicht allein.“ Redaktionell umgesetzt wurde er hauptverantwortlich von Francesco Di Bari. Er ist Volontär in der Unternehmenskommunikation und wollte einen modernen, aktuellen und nahbaren Guide schreiben – vielleicht ganz so, wie die Gender-Transition Guideline des Energieversorgungskonzerns RWE, die im Juli 2021 veröffentlicht wurde. Doch die Publikation kannte Di Bari damals noch nicht. Er hat sich vor allem mit internationalen Publikationen befasst wie jene von Uber oder Ernst & Young.
Di Bari las seinerzeit eine Studie über die hohen Suizidraten von trans Personen und fragte sich: „Was tun wir eigentlich in unserem Unternehmen für trans Menschen?“ Der 26-Jährige ist Teil des queeren Otto-Netzwerkes More* und absolvierte dort gerade ein Praktikum. Er sprach das Thema im Diversity- & Inclusion-Team an und brachte damit das Projekt ins Rollen.
More* besteht aus einem 15-köpfigen Kernteam und rund 500 Personen, darunter auch viele Allies. „Allies“ sind Verbündete, also Menschen, die selbst nicht der queeren beziehungsweise trans Community angehören, diese jedoch unterstützen. Ein Ziel des Handbuches ist es, das Allyship innerhalb des Unternehmens zu stärken. „Der Guide ist ein Sprachrohr für trans Mitarbeitende und gleichzeitig Anlaufstelle für die gesamte Kollegschaft“, sagt Di Bari. „Er soll aufklären und dafür sensibilisieren, dass trans Personen keinen Lehrauftrag über das Transsein innehaben.“ Das bedeutet: Im Idealfall lese ich diesen Guide und begegne trans Menschen genauso wie cis Menschen. „Cis“ verweist auf „diesseits“ und bezieht sich auf Personen, deren Geschlechtsbewusstsein mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. „Trans“ hingegen bedeutet „jenseits, darüber hinaus“. Der Guide richtet sich also an zwei Zielgruppen: einmal an trans Personen im Unternehmen und einmal an deren cis Kolleginnen und Kollegen.
Das Handbuch als Schablone
Drei Monate arbeitete Francesco Di Bari an dem Projekt und veröffentlichte schließlich gemeinsam mit seinem fünfköpfigen Team am 3. Mai 2022 den Transidentity Guide. Ein Leitfaden für trans Kolleg*innen, das Kollegium und Führungskräfte. „Uns war wichtig, dass er im Netz für alle zugänglich ist, damit viele Menschen ermutigt werden, sich mit dem Thema zu beschäftigen“, sagt Di Bari. Der Guide kann sogar als Template für eigene Veröffentlichungen benutzt werden: „Wir freuen uns, wenn wir dann als Quelle oder Inspiration genannt werden. Es ist aber kein Muss!“
Seitdem wird Di Bari überschüttet mit Anfragen aus anderen Unternehmen. Zwei Dinge wollen Menschen aus der HR-Community am häufigsten wissen: Wie war die interne Resonanz? („Durchweg positiv.“) Wie soll HR in den IT-Systemen damit umgehen? („Umsetzen, was möglich ist!“) Möglich sind Namensänderungen in Mail- und Messenger-Programmen und auf unternehmensinternen Ausweisen – selbst wenn noch keine amtliche Personenstandsänderung stattgefunden hat. „Gewissermaßen haben trans Personen sogar einen Anspruch darauf“, erklärt Wirtschaftsjurist und Diversity-Berater David Scholz. Er ist Herausgeber von Transidentität und drittes Geschlecht im Arbeitsumfeld. „Wenn der Wunsch, in einer anderen Geschlechtsrolle zu leben, ernsthaft und nachhaltig ist, muss ich gemäß allgemeinem Persönlichkeitsrecht und der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und natürlich auch aus den Pflichten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes heraus auch vor dem Vollzug der amtlichen Namensänderung mit dem neuen Namen angesprochen werden.“
Bis zum Jahr 2011 war es für eine Personenstandsänderung noch verpflichtend, sich fortpflanzungsunfähig operieren zu lassen. Daher haben bis zu dem Zeitpunkt viele trans Personen nur ihren Vornamen geändert, um die Sterilisation zu vermeiden. Im Zuge dessen fiel die offizielle Anrede häufig falsch aus, beispielsweise als Herr Erika Musterfrau oder Frau Max Mustermann. Laut der Out im Office?!-Studie erlebt jede fünfte trans Person, dass Namensschilder oder Signaturen nicht angepasst oder Dokumente nicht nachträglich auf den gewünschten Namen geändert wurden.
Interview mit David Scholz
David Scholz ist Senior Business Development Advisor bei der internationalen Anwaltsgesellschaft Allen & Overy. Im Interview beantwortet er, wie die Personalabteilung trans Personen bei ihrer Transition respektvoll unterstützen kann und welche arbeitsrechtlichen Fragen geklärt werden müssen. Das Interview finden Sie hier.
Prozesslücken sichtbar machen
Auch Stefanie Pavlik hat einen Guide geschrieben. Sie arbeitet eigentlich im Kundenservice der Telekom und ist Teil des internationalen Magenta-Pride-Netzwerkes, aus dem heraus auch der Wunsch nach einem Handbuch laut geworden war. MagentaPride hat rund 1.300 Mitglieder. „Es gab da eine gewisse Hilflosigkeit, weil viele trans Personen nicht wussten, an wen sie sich wenden können“, erzählt Pavlik. „Einige fragten sogar, ob es überhaupt sinnvoll sei, bei der Telekom zu transitionieren.“
Der Vorstandsvorsitzende Timotheus Höttges sicherte der Community deshalb in einem Townhall-Meeting seine Unterstützung zu; mit dem Jobantritt von Katrin Terwiel als neue Vice President Diversity and Global Talent im September 2021 nahm das Thema dann an Fahrt auf: Sie holte die Masterstudentin Stefanie Pavlik für sechs Monate im Rahmen eines Projekteinsatzes in die HR-Abteilung des Telekommunikationsunternehmens. „Das Problem der ehrenamtlichen Community-Arbeit ist oft, dass sie nicht entlohnt wird“, sagt Terwiel. Durch den Job Visit konnte Pavlik das Projekt in ihrer Arbeitszeit umsetzen. Sie analysierte die vorhandenen internen Prozesse und führte viele Gespräche mit Magenta-Pride-Mitgliedern. Besonders wichtig war ihr die Bildsprache: Während Otto reale Personen auf den Fotos zeigt – und auch ein Interview mit einer Führungskraft und jemandem von einer Transberatung eingefügt hat –, entschied sich die Telekom, mithilfe einer Designagentur queere Menschen zu illustrieren. „Wir wollten vermeiden, dass Bilder von realen trans Menschen als allgemeingültige Abbildung aller trans Personen gelesen werden“, sagt Pavlik.
Die interne Version des Guides wird auch „Gap-Dokument“ genannt, weil darin Prozesslücken markiert sind: beispielsweise wie mit Mutterschutz von trans Männern umgegangen werden soll. Dennoch wollte Diversity-Chefin Katrin Terwiel den Guide veröffentlichen: „Es war schon genug Material, um den Menschen zu helfen“, sagt sie. Der Guide wird stetig weiterentwickelt, aktuell liegt er beispielsweise bei einer Agentur zur Review.
Die Resonanz
Ende September 2022 war es dann so weit und das Transgender Handbuch der Deutschen Telekom AG wurde unter der Überschrift „Zeig, wer du bist!“ intern und extern veröffentlicht. Seither erhält Projektleiterin Pavlik wöchentlich eine Anfrage für eine Namensänderung. Das Team bekomme auch viele Nachrichten von cis Menschen, gerade junge internationale Talente, die das Projekt loben, resümiert Terwiel. „Bei solch einer Veröffentlichung ist es wichtig, Ressourcen für Fragen und Kommentare im Intranet einzuplanen.“ Denn es gab auch Kritik.
Die AfD twitterte wenige Tage darauf: „Ein irres #TransgenderHandbuch der #Telekom befürwortet „geschlechtsneutrales Pronomen nim“. Kostprobe: „Nimse Arbeitsumgebung unterstützt nimse Transition“. Offenbar wird der staatliche Anteil an der Telekom missbraucht, um ideologische Propaganda unters Volk zu bringen!“ Die Telekom reagierte in einem Blogbeitrag auf diese populistischen Vorwürfe: Selbstverständlich werde niemandem vorgeschrieben, sogenannte Neopronomen zu verwenden!
Im Intranet gab es zudem Diskussionen um die Frage, für wen der Guide denn relevant sei. Für eine Handvoll Menschen? Unternehmensweit gebe es rund 2.000 Personen, die bei Mitarbeiterumfragen „divers“ als Geschlechtsangabe angekreuzt haben, sagt Terwiel. In dieser Gruppe waren bislang auch die Werte der Zufriedenheit am Arbeitsplatz schlechter als im Durchschnitt. Aktuell plant das Diversity-Team eine Self Identification Survey, in der die sieben Dimensionen des Diversity Managements abgefragt werden, um belastbare Daten zu erhalten. Dort wird auch als freiwillige Angabe nach der Geschlechtsidentität und dem Wohlbefinden am Arbeitsplatz gefragt.
Transsein in Deutschland
Es gibt keine offizielle Angabe zur Anzahl der in Deutschland lebenden trans Personen. Schätzungen variieren stark durch die verschiedenen zugrunde gelegten Definitionen: Juristische und medizinische Quellen erfassen meist Menschen, die als transgender diagnostiziert wurden und medizinische oder juristische Schritte zur Geschlechtsangleichung ergreifen. Trans-Organisationen berücksichtigen hingegen auch die Personen, die ihren Körper, ihren Namen oder Personenstand nicht angleichen. Die Schätzungen variieren demzufolge stark.
Die Genderforscherin Andrea Geier schreibt in einem Gastbeitrag für Deutschlandfunk Kultur, dass für die gesellschaftspolitische Bedeutung von Themen in erster Linie nicht Prozentzahlen entscheidend seien: „Es ist umgekehrt ein Gradmesser für die Geltung demokratischer Werte, wie eine Gesellschaft mit Minderheiten umgeht.“
Die aufgeführten Schätzungen berücksichtigen jedoch nicht intergeschlechtliche Menschen. Auch die Handbücher richten sich nicht explizit an sie. Diversity-Beraterin Sigi Lieb resümiert: „In der Debatte um Transgeschlechtlichkeit, Transitionen und das Selbstbestimmungsgesetz gehen intergeschlechtliche Menschen und ihre spezifischen Interessen leider unter.“ Sie hat sich intensiv mit dem Thema befasst, im März erscheint ihr Sachbuch Alle(s) Gender. Wie kommt das Geschlecht in den Kopf.
Was ist Intergeschlechtlichkeit?
Manche Menschen verfügen von Geburt an über genetische, anatomische und hormonelle Geschlechtsmerkmale, die nicht den medizinischen Geschlechternormen von Mann und Frau entsprechen. Eine Intergeschlechtlichkeit kann direkt beim Neugeborenen auffallen, in der Pubertät, bei unerfülltem Kinderwunsch oder auch nie. Wurde die Intergeschlechtlichkeit im Baby- oder Kleinkindalter festgestellt, folgte bis vor wenigen Jahren häufig eine geschlechtszuweisende Operation. Diese Praxis wurde erst durch das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung im Sommer 2021 verboten. Seit Ende 2018 können Eltern von intergeschlechtlichen Neugeborenen ihr Kind unter „divers“ im Geburtenregister registrieren lassen oder auf eine Angabe zum Geschlecht verzichten.
„Wir wissen heute oft gar nicht, wie sich intergeschlechtliche Menschen natürlich entwickeln, weil wir das jahrzehntelang nicht zugelassen haben“, sagt Sigi Lieb. Intergeschlechtliche Personen kämpfen heute für Entschädigung für Operationen, die ungefragt an ihnen durchgeführt wurden und die oft mit Folgeproblemen verbunden sind. Am Ende sei es wichtig, dass mit allen Gruppen gesprochen werde, sagt Sigi Lieb. Mit transgeschlechtlichen sowie intergeschlechtlichen Menschen, mit LGB-Personen mit geburtsgeschlechtlichen Frauen und Männern. Es müsse eine Lösung gefunden werden, mit der alle zurechtkommen. Genauso wichtig wie das Handbuch sind also Personen mit hoher Expertise, an die sich gewandt werden kann. Wie sie solch ein Handbuch für alle nennen würde? „Guidelines für geschlechtliche Vielfalt“, lautet ein Vorschlag. Oder „Genderguide“.
Haltung zeigen versus Pinkwashing
Gemäß dem German Diversity Monitor 2021 bewerten 40 Prozent der Unternehmen die Relevanz von LGBTIQ* mit „hoch“. Ein Blick hinter die Kulissen jedoch zeigt: Weniger als 20 Prozent bieten spezifische Maßnahmen zur Förderung an. Bekenntnisse wie „Bei uns können alle arbeiten, wir machen da keinen Unterschied, wie jemand aussieht oder welches Geschlecht die Person hat“ klingen auf den ersten Blick tolerant. Doch verbirgt sich dahinter laut Katha Krämer eher die Haltung „Deine Probleme interessieren mich nicht“. Krämer arbeitet bei Fairlanguage, einer Beratung für inklusive Sprache. „Wenn ich so tue, als würden alle gleichbehandelt, suggeriert das, alle Menschen hätten die gleichen Hürden zu meistern. Doch so ist es nicht.“ Wie geht es besser? Krämer formuliert ein Beispielstatement: „Uns ist bewusst, dass es für bestimmte Personengruppen strukturelle Hürden gibt, bei uns zu arbeiten. Diese wollen wir abbauen.“ Dafür braucht es ein generelles Verständnis von Diskriminierungsformen.
Große Unternehmen scheinen also erkannt zu haben, dass sie sich und ihre Kultur anpassen müssen, um nicht von den Trends wie den demografischen Wandel, Wertewandel oder Gender Shift überrollt zu werden. Mit der Generation Z kommen aktuell zunehmend Menschen in die Unternehmen, die nicht der tradierten binären Geschlechternorm entsprechen. Laut einer Gallup-Umfrage (2021) identifiziert sich eine von fünf Personen aus der Generation Z als queer.
Der Mittelstand
Wie sieht es bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) aus? „Da erlebe ich eher einen Rollback-Effekt“, sagt die selbstständige Wirtschafts- und Organisationspsychologin Lena Balk. Sie promoviert aktuell über Transidentität am Arbeitsplatz und erarbeitet Strategien, wie sich Unternehmen darauf vorbereiten können. Von Mittelständlern erhält sie viele Gesprächsabsagen: Dazu äußern wir uns nicht, weder positiv noch negativ! Das ist ein zu heißes Eisen! Wir haben Wichtigeres zu tun! Was interessieren mich die Nickeligkeiten einer Minderheit?
HR sollte natürlich auf diese rückschrittige Entwicklung reagieren, sagt Balk. Eine Schlüsselrolle habe die interne Kommunikation. Sie sei wichtiger als die externe. Am Ende ist es ganz simpel: „Trans Menschen wollen nichts anderes als cis Personen“, sagt Balk. „Sie wollen keine Sonderbehandlung, sondern einfach nur akzeptiert werden als die Menschen, die sie sind.“ Hinter vorgehaltener Hand würde Balk konfrontiert mit Aussagen wie: „Die sind ja dann dauernd krank, die wollen alle Operationen.“ Sie entgegnet dann gern: „Würdest du das auch zu einem Bewerber sagen, der Ski fährt? Oder zu einer Bewerberin, die Fußball spielt? Wenn diese Mitarbeitenden sich verletzen, fallen sie mitunter wochenlang aus. Würdest du sie deshalb nicht einstellen?“
Ein Blick in den Pride Index 2022 der Uhlala Group gibt jedoch etwas Hoffnung: Das Interesse von KMU am Index teilzunehmen, sei gestiegen. Insgesamt 24 Arbeitgeber engagierten sich für inklusivere Unternehmensstrukturen. Das LGBTIQ* Social Business Uhlala Group ist in der HR-Community bekannt durch die Jobmesse Stick & Stones für queerfreundliche Unternehmen. Dort hat die Fairlanguage-Beraterin Katha Krämer im Winter 2022 einen Vortrag gehalten mit dem Titel Drei Hacks für trans*freundliche HR-Kommunikation. Sie können ein erster Schritt sein und lauten: Teile deine Pronomen! (Zum Beispiel in der E-Mail-Signatur), Sei ein Ally! (Nutze eigene Privilegien, um Wandel herbeizuführen) und Achte auf deine Formularfelder!
Möchte man übrigens bei der Telekom ein Konto anlegen, muss noch zwischen „Herr“ und „Frau“ gewählt werden. Das wird sich womöglich künftig ändern. Die Guide-Projektverantwortliche Stefanie Pavlik wirkt nämlich aktuell an der gendergerechten Überarbeitung der IT-Systeme des Unternehmens mit.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Sichtbarkeit. Das Heft können Sie hier bestellen.