Bei der Jobsuche agieren Kandidaten zunehmend strategisch und nehmen es mit der Wahrheit in vielen Fällen nicht allzu genau. Worauf Personaler sich einstellen müssen.
Die Zahlen sind erschreckend: 90 Prozent der Jobsuchenden geben Stärken an, die sie gar nicht besitzen. 42 Prozent nennen Hobbys, die sie gar nicht ausüben, die aber gut zum ausgeschriebenen Job zu passen scheinen. 70 Prozent stellen im Bewerbungsgespräch Fragen nur deshalb, um interessiert zu wirken. Die Ergebnisse der aktuellen Studie der Hochschule Osnabrück zeigen, dass Bewerber zunehmend strategisch agieren, um einen Job zu ergattern.
Den meisten Recruitern dürfte es zwar nicht neu sein, dass Kandidaten bei der Selbstdarstellung auch mal übertreiben. Dass Flunkern in einigen Bereichen aber offensichtlich eher Regel als Ausnahme ist, wurde nun empirisch belegt. Ebenso hat sich gezeigt, dass die Zahl der Jobsuchenden, die einzelne oder mehrere Kriterien zu ihren Gunsten manipulieren, unter dem Strich deutlich zunimmt.
Strategisch und optimiert
„Bewerber präsentieren zunehmend das, was die Unternehmen von ihnen hören wollen“, sagt Studienautor Uwe Kanning, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Hochschule Osnabrück. „Für Personalmanager wird es entsprechend wichtiger, sich ihrerseits auf die Strategien der Kandidaten einzustellen.“ Kanning hat für die aktuelle Studie rund 1.000 Bewerber in Deutschland befragt, welche Strategien sie anwenden, um einen Job zu ergattern.
Dabei ging es nicht nur darum, inwiefern Kandidaten tricksen und ihre Selbstdarstellung optimieren, sondern welche Strategien Bewerber insgesamt anwenden. Ergebnis: „Jobsuchende sind heutzutage sehr gut auf die üblichen Bewerbungsverfahren eingestellt“, sagt Kanning. Das hat auch damit zu tun, dass Informationen über das Internet heute leichter zu bekommen sind als früher. Zum Beispiel recherchieren mehr als 90 Prozent der Befragten heutzutage vor einer Bewerbung auf der Webseite des jeweiligen Unternehmens.
Gute Vorbereitung, kaschierter Lebenslauf
Kanning hat nicht nur die Strategien abgefragt, sondern unterscheidet zwischen Kandidaten, die sich in den vergangenen fünf Jahren beworben haben und solchen, deren letzte Bewerbung mehr als fünf Jahre zurückliegt. „Aktuelle Bewerber bereiten sich intensiver auf das Verfassen von Bewerbungsunterlagen vor als Bewerber früherer Zeiten“, sagt Kanning.
Das heißt für Unternehmen oft nichts Gutes: 23,7 Prozent – und damit fast jeder vierte Bewerber – kaschieren Lücken in seinem Lebenslauf. Bei früheren Bewerbern lag der Wert mit unter 20 Prozent noch deutlich niedriger. Und die Zahl könnte weiter steigen: Mehr als die Hälfte aller aktuellen Bewerber hält eine solche Strategie für sinnvoll, auch wenn viele Kandidaten aus Anstandsgefühl oder wegen zu großen Aufwands bislang darauf verzichten.
Auch bei anderen Kriterien der Bewerbungsmappe tricksen Jobsuchende häufiger als früher: Die Zahl derer, die sich im Anschreiben sozial kompetenter darstellen, als sie sich in Wahrheit einschätzen, hat sich auf 11,1 Prozent verdoppelt. Bei den fachlichen Kompetenzen legen 14,4 Prozent im Anschreiben gerne eine Schippe drauf, früher waren es nur 10,2 Prozent. Zudem laden sich 62 Prozent der Kandidaten Bewerbungsunterlagen aus dem Internet herunter und passen diese lediglich an, früher waren es nur 44 Prozent. Der formale Aufbau des Anschreibens lässt damit kaum noch verlässliche Rückschlüsse auf die Arbeitseinstellung von Kandidaten zu: „Ich würde als Personaler kein Anschreiben mehr einfordern, weil dessen Aussagekraft häufig gegen null tendiert“, sagt Kanning.
Wahrheit: ein dehnbarer Begriff
Der Trend zum strategischen Handeln setzt sich im Bewerbungsgespräch fort. Personalmanager müssen damit rechnen, dass sich viele Kandidaten bewusst verstellen: 70 Prozent stellen Fragen nur, um interessiert zu wirken. Fast 40 Prozent nennen nur scheinbare Schwächen, die man tatsächlich auch als Stärken deuten kann. 14 Prozent tun so, als ob die ausgeschriebene Stelle ihr Traumjob wäre.
Bei all diesen Aspekten hat die Zahl derer, die es im Bewerbungsgespräch mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, spürbar zugenommen. Zudem analysieren immer mehr Bewerber ihr Gegenüber vorab: 28 Prozent der Kandidaten holen im Vorfeld des Bewerbungsinterviews Informationen über ihren Gesprächspartner ein. Sie recherchieren zum Beispiel Lebenslauf und Hobbys, um sich im Gespräch möglichst ähnlich und damit sympathisch präsentieren zu können. Früher machten sich nur 16 Prozent der Bewerber diese Arbeit.
Kanning bemängelt, dass sich viele Recruiter ihrerseits auf die Strategien der Bewerber zu wenig einstellen und zu oft auf traditionelle Auswahlmethoden vertrauen. Zum Beispiel fragen mehr als 60 Prozent der Personalmanager Kandidaten im Bewerbungsgespräch nach deren Schwächen, ergab eine Studie von Kanning aus dem vergangenen Jahr. „Das bringt aber in vielen Fällen nichts, wie wir gesehen haben“, sagt der Wirtschaftspsychologe. Jedenfalls dann nicht, wenn Personaler ehrliche Antworten der Kandidaten erwarten.
Er rät, im Gespräch stattdessen situative Fragen zu stellen und Bewerber erzählen zu lassen, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten würden oder verhalten haben. Erstens, um strategisch gelogene Antworten zu erschweren. Und zweitens, damit Antworten nicht nur ehrlich, sondern auch aussagekräftig sind: „Oftmals hat ein Bewerber ganz andere Vorstellungen von einem Begriff wie Teamfähigkeit als der Personaler, der ihm gegenübersitzt“, sagt Kanning.
Testverfahren und Assessment Center sind übrigens auch nicht vor Tricksereien gefeit: 59 Prozent der Befragten halten es für sinnvoll, in Persönlichkeitsfragebögen solche Antworten anzukreuzen, die möglichst gut zur Stelle zu passen scheinen. Und mehr als jeder dritte Befragte gab an, in einem Assessment Center geschauspielert zu haben. Höchste Zeit für Recruiter, bei der nächsten Auswahlrunde ganz genau hinzuschauen.