Den Unternehmergeist in Menschen wecken

So entstehen Innovationen

Also entstehen Innovationen eher aus einem Mangel heraus?

Katharina Hölzle: Das ist der zweckgetriebene Gedanke: Es gibt einen Mangel, ein Problem und einen Bedarf. Wir haben aber auch Innovationen, bei denen wir uns fragen, ob es tatsächlich einen Mangel gibt. Die Frage ist auch, wie wir einen Mangel definieren. Haben wir damals wirklich das Iphone gebraucht? Fragt man heute, ist die Antwort sicherlich „Ja“. Aber früher auch? Für disruptive Innovationen sind häufig Mangelerscheinungen verantwortlich. Aber wenn wir immer nur von einem Mangel ausgehen würden, hätten wir ziemlich wenige Innovationen.

Wie steht es um die Innovationskraft in Deutschland?

Leider nicht wirklich gut. Wir kommen aus einer Zeit, in der die wirtschaftliche Lage immer besser wurde, ohne großes Zutun. Den Unternehmen ging es gut, uns als Gesellschaft auch. Es ist falsch zu sagen, wir wären in den vergangenen Jahren nicht innovativ gewesen. Deutschland ist grundsätzlich ein innovatives Land; aber vor allem für eine bestimmte Art von Innovationen, den inkrementellen – also der schrittweisen Verbesserung vorhandener Dinge. Was wir in der Vergangenheit nicht gut gemacht haben und das, was uns jetzt leider auf die Füße fällt, sind Sprunginnovationen – also die großen und disruptiven Erfindungen.

Warum sind die ganz großen Erfindungen ausgeblieben?

Die Notwendigkeit war nicht da. Es ging doch immer gut. Die Auftragsbücher der Unternehmen waren voll. Innovation ist nicht leicht, sie tut weh und trifft auf Widerstände. Und wenn es einer Gesellschaft und den Unternehmen gutgeht, dann ist die Motivation, diese Widerstände zu überwinden, relativ gering. Aber jetzt inmitten multipler Krisen ist der Moment zu sagen: Wir haben keine Zeit mehr, um uns über Befindlichkeiten Gedanken zu machen, sondern müssen wirklich aktiv werden.

Was sind das für Widerstände?

In der Forschung gibt es drei große Barrieren. Die erste ist die des Nichtwissens – also zu sagen, ich weiß oder kann es nicht. Die zweite ist die des Nichtwollens. Meistens ist das der Fall, wenn Menschen Angst haben oder ihnen Fähigkeiten fehlen. Die dritte Barriere ist die des Nichtdürfens – wenn also Prozesse, Führung oder Strukturen Innovationen nicht zulassen. Wir verstecken uns oftmals hinter Verwaltungsstrukturen und Gesetzen und sagen vorschnell: Wir dürfen das nicht.

Welche disruptiven Veränderungen braucht es hierzulande?

Aus der Tech-Perspektive betrachtet haben wir die digitalen Technologien ziemlich verschlafen – auch wenn es drei oder vier Leuchttürme in Deutschland gibt wie ausgewählte Anwendungen des Machine Learning oder der Künstlichen Intelligenz. Bei diesen digitalen Schlüsseltechnologien dürfen wir gerade noch mitspielen. Bei den Themen Cloud sowie Technologien rund um Cyber, Batteriezellen oder Wasserstoff hinken wir jedoch hinterher. Es bereitet mir Sorgen, dass wir hier nicht aufholen.

Was braucht es dafür?

Da sind wir beim Thema Entrepreneurship. Wir müssen dringend unternehmerisches Denken und Handeln – also den Unternehmergeist in Menschen wecken; Verantwortung übernehmen, Probleme erkennen und sagen: Ich schaffe eine Lösung und bin bereit, dafür ein Risiko einzugehen. Diese Einstellung wirkt auf diverse Dimensionen: Damit können wir Technologien entwickeln, Gesellschafts- und Verwaltungsstrukturen verändern oder auch die Bildung reformieren.

Dieses Interview führte Sven Lechtleitner im Rahmen des Artikels Erfolgreiche HR-Einhörner?

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Intelligenz. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Sven Lechtleitner, Foto: Privat

Sven Lechtleitner

Journalist
Sven Lechtleitner ist freier Wirtschaftsjournalist. Er hat ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg sowie ein Fernstudium Journalismus an der Freien Journalistenschule in Berlin absolviert. Von November 2020 bis Juli 2022 war er Chefredakteur des Magazins Human Resources Manager.

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