Warum berufliche Vielfalt zunehmen wird

Jobwechsel

Erfolgreich abgeschlossenes Lehramtsstudium, erst Lehrerin für die Klassen drei und vier, dann für die Klassen eins und zwei. Verbeamtung auf Lebenszeit. Konrektorin. Lisa Rosa Bräutigam kletterte in den insgesamt sechs Jahren nach ihrem abgeschlossenen Studium schnell die Leiter der Bildungskarriere hinauf. Hoch motiviert und voller Veränderungsdrang, so sei sie in ihren Beruf eingetreten. „Alle zwei Jahre hatte ich einen neuen Job und konnte mich ständig weiterentwickeln“, erzählt sie. Dann kam der Schock. „Ich fragte meinen Dienstherren, was jetzt der nächste berufliche Schritt sein könnte.“ Die Antwort fiel ernüchternd aus: Alles Weitere kommt dann am Ende der Karriere.

“Was heißt das jetzt für mich? Dass ich jetzt bereits weiß, was ich in fünf Wochen, in fünf oder auch in zehn Jahren machen werde?“ Ihr sei langsam bewusst geworden, dass sie etwas verändern, ihre eingeschlagene Karriere verlassen musste. Ein drastischer Schritt. Aber die Veränderungen und das persönliche Wachstum lagen damals in so weiter Ferne, dass es ihr die Freude an der Arbeit genommen hatte. Die Frage nach dem Austritt aus der Verbeamtung auf Lebenszeit erst einmal zuzulassen, sei ihr dabei am schwersten gefallen. „Ich komme aus einer sehr sicherheits­affinen Arbeiterfamilie. Mit meiner Verbeamtung dachten meine Eltern, ich sei nun in trockenen Tüchern“, sagt Bräutigam. Über diese lebenslange Sicherheitsgarantie hätte sich aber bereits damals ihr familiäres Umfeld schon mehr gefreut als sie selbst. „Da wird einem noch einmal bewusst, dass unterschiedliche Generationen andere Ansprüche an Sicherheit und Arbeit stellen.“ Schlussendlich siegte bei der 35-Jährigen die Lust auf Veränderung.

Drei Jahre ist es nun her, dass Bräutigam dem Staatsdienst den Rücken kehrte und ihr Start-up Nuwo gründete, eine digitale Plattform zur Vermietung von Möbeln fürs Büro und das Homeoffice. Seit der Gründung ist für sie kein Tag wie der andere, ständig lerne sie dazu. Bereut habe Bräutigam daher diesen Neuanfang nicht. Auf dem Businessnetzwerk Linkedin teilte sie vor einiger Zeit Einblicke über ihre Entscheidungsfindung, an der Weichenstellung zwischen garantierter Sicherheit und wachstumsversprechender Ungewissheit. Daraufhin haben sie viele Nachrichten erreicht. „Besonders spannend war, dass ich nicht nur von Personen aus dem Staatsdienst, von Richtern oder Staatsanwältinnen Zuspruch bekommen habe, sondern auch von vielen Angestellten in Unternehmen, die bereits eine sehr gut bezahlte Position innehaben.“ Verbindlichkeiten oder familiäre Verpflichtungen seien in manchen Fällen zu groß, fasst Bräutigam den Inhalt einiger Nachrichten zusammen, aber viele hätten von dem großen Wunsch erzählt, noch einmal einen Neuanfang zu wagen.

Wechsel werden wahrscheinlicher

Mehrere Karrieremöglichkeiten ausprobieren und verschiedene Berufsleben führen, diese Entwicklung werde in Zukunft zunehmen. Davon ist Tobias Zimmermann, Arbeitsmarktexperte und Group Evangelist bei The ­Stepstone Group, überzeugt. Verantwortlich dafür seien vor allem zwei Gründe: „Eine zentrale Rolle spielt das zunehmende Entwicklungstempo in der Arbeitswelt, ausgelöst durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Job-Profile und Ansprüche werden sich immer schneller verändern.“ Nur weil eine Person mit ihren Fähigkeiten momentan perfekt auf eine Jobposition passe, bedeute es nicht, dass dies noch in einem Jahr der Fall sei. Das sei aber nicht zwangsläufig schlecht. Wenn sich die Anforderungen verändern und Jobs und Mitarbeitende nicht mehr zueinander passen, seien Veränderungen sinnvoll. Denn wenn durch einen Wechsel die Interessen und Fähigkeiten der Mitarbeitenden wieder zusammenfinden, seien diese dadurch motivierter und zufriedener. Unternehmen und Gesellschaft profitierten von gestiegener Produktivität und Innovation. Als zweiten Grund für die ansteigende Wechselwilligkeit macht Zimmermann den Arbeitskräftemangel und den entstehenden Bewerbermarkt aus. „Wer die Wahl hat, nutzt sie auch“, fasst er zusammen.

Diese Vielzahl an Möglichkeiten bringt mitunter besondere Phänomene hervor. Wie das Job Hopping, häufige Jobwechsel in kurzer Zeit, um möglichst viele Erfahrungen bei verschiedenen Arbeitgebern zu sammeln oder um vielleicht immer wieder von besseren Konditionen zu profitieren. Tobias Ortmann, Arbeitsmarktexperte bei der Bertelsmann Stiftung, untersuchte in der Studie Bessere Perspektiven bei Jobwechseln. Zur Ähnlichkeit beruflicher Übergänge eingehend die Distanzen, Einkommens- und Beschäftigungseffekte beruflicher Wechsel auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Dort stellte sich heraus, dass sich die Häufigkeit von Jobwechseln nach Anforderungsniveaus und Altersgruppen stark unterscheiden. So liegen die jährlichen Berufswechselraten von jungen Beschäftigten (von 20 bis 29 Jahren) und im Anforderungsbereich der Hilfstätigkeiten am höchsten. Diese Gruppe wechselt pro Jahr doppelt bis dreimal so häufig ihren Job wie Beschäftigungsgruppen in Positionen, die höhere berufliche Qualifikationen wie in Form von Berufs- oder Studienabschlüssen erfordern. Woran liegt das? „Beschäftigte in Hilfstätigkeiten sind weniger an einen bestimmten Arbeitgeber gebunden. Ihre Fähigkeiten setzen keine konkrete Berufsausbildung oder Qualifikation voraus und sind daher leichter in verschiedenen Betrieben einzusetzen. In dieser Gruppe kommen zudem häufiger biografische Brüche hinzu, wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit, die Wechsel in andere Berufe noch wahrscheinlicher machen.“ Hoch spezialisierte und qualifizierte Mitarbeitende wechseln ihre Arbeitgeber dagegen durchschnittlich am wenigsten häufig. „Diese könnten ihr fachspezifisches Wissen im Job besser anwenden und sind dadurch weniger geneigt, von Job zu Job zu springen.“

Veränderungen sind ­lukrativ

Es gibt verschiedene Gründe, die Menschen ihren Arbeitsplatz wechseln lassen: „Neben der hohen Auswahl an freien Stellen sind Unternehmenskultur und Gehaltssteigerungen die beiden anderen Hauptgründe für Jobwechsel. Das finden wir in unseren Untersuchungen immer wieder heraus“, so Arbeitsmarktexperte Zimmermann. Gehalt stelle zwar einen zentralen Motivator für einen Jobwechsel dar, reiche aber als alleiniger Grund kaum aus. „Da Arbeitskräfte in der Regel mehrere Jobangebote finden können, die mit einem Gehaltssprung verbunden sind, müssen sich Unternehmen auch noch mit anderen Angeboten von der Konkurrenz abheben“, so Zimmermann. Gehaltstransparenz, zum Beispiel in Form von der Angabe von Gehaltsspannen in Jobanzeigen, werde dabei jedoch trotzdem zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Zum einen gehe es darum, überhaupt genügend Bewerbungen auf offene Stellen zu generieren, und zum anderen verringere sich so die Anzahl von Abbrüchen im Bewerbungsprozess. „Je mehr Informationen Kandidatinnen und Kandidaten von Anfang an haben, desto besser. Das macht Menschen entscheidungskompetent – und das steigert auch die Bereitschaft, sich bei einem Unternehmen zu bewerben.“ Darüber hinaus wirke es sich positiv auf das Image der Arbeitgeber aus, wenn sie im gesamten Bewerbungsprozess transparent mit dem Thema umgehen.

Besonders beim Gehalt zeigt sich, dass sich für Mitarbeitende langjährige Unternehmenstreue sogar negativ auswirken kann. So stellte vergangenes Jahr eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey fest, dass Beschäftigte mit freiwilligen und regelmäßigen Jobwechseln ihr Lebenseinkommen gewaltig steigern können. Um ganze 33 Prozent würde die Einkommenssteigerung mit beruflichen Wechseln im Vergleich zu einer unternehmens­internen Karriere ausfallen. Pauschal lassen sich diese Zahlen nicht auf alle Karrierepfade übertragen.

Dass sich Jobwechsel nicht für alle gleich lohnen, fand Ortmann in der Bertelsmann-Studie heraus. In Bezug auf Gehalt profitieren demnach am meisten Fachkräfte sowie Spezialistinnen und Spezialisten von einem Jobwechsel. Dieser lohne sich besonders, wenn Beschäftigte in ähnliche Berufsfelder wechseln, die auf ihren vorhandenen Fähigkeiten aufbauen. Das Gehaltsplus beträgt dabei im Durchschnitt 3.500 Euro brutto pro Jahr mehr im Vergleich zu einem Wechsel in nicht verwandte Berufsfelder. Insgesamt profitieren jedoch Aushilfskräfte und Frauen, benachteiligt durch Erwerbsunterbrechungen und ungleiche Verteilung bei der Kinderbetreuung, weniger von einem Jobwechsel. Eine weitere Beobachtung: Beschäftigte in Hilfstätigkeiten wechseln am häufigsten in fachfremde Berufe. „Das führt dazu, dass sie das Wissen aus ihren alten Berufen im neuen Job kaum anwenden können und dadurch im Vergleich zu Wechseln in vergleichbaren Berufen eher finanzielle Nachteile erfahren. Trotzdem lässt sich bei einem selbst gewählten Jobwechsel durchschnittlich eine Gehaltssteigerung erkennen.“
In der Untersuchung zeichnete sich sogar ein weiteres Merkmal ab, woran sich ein erfolgreicher Jobwechsel festmachen ließe: im Anstieg in der Beschäftigungszeit. „Wir haben festgestellt, dass sich häufig vor einem Jobwechsel ein Knick in der Erwerbskurve abzeichnete, bedingt etwa durch vermehrte Teilzeitbeschäftigungen und Krankheit.“ Nach einem Wechsel in einem eng verwandten Beruf sei die Arbeitszeit wieder im Vergleich um mehr als sechs Tage im Jahr angestiegen.

Gemeinsame Zeit schätzen

Wenn sich Mitarbeitende zu einer Kündigung entschließen, schlägt ihnen manchmal großer Zorn entgegen. Trennungen sind oft eine sehr emotionale Angelegenheit. Mit Groll auf eine Kündigung zu reagieren, ist für Lisa Rosa Bräutigam, nun selbst in der Rolle als Geschäftsführerin, jedoch nicht vorstellbar und „eine falsche Einstellung“. Sie ist sich sehr sicher, wie sie auf Kündigungen von Mitarbeitenden reagieren würde, auch geprägt von ihrem eigenen Werdegang. „Wenn mir jemand mitteilen würde, dass für ihn neue Herausforderungen anstehen, würde ich das unterstützen.“ Für sie habe dies auch viel mit Dankbarkeit und Wertschätzung zu tun: „Wer sich dafür entscheidet, in einem Unternehmen zu arbeiten, der entscheidet sich auch dafür, einen Teil der eigenen Leidenschaft und des Erfolgs in dieses einzubringen.“ Statt eines vermeintlichen Treuebruchs sollten Arbeitgeber es eher so sehen: „Die Person hat sich nicht gegen uns entschieden, sondern für uns. Indem sie einen Teil des Weges mit uns gegangen ist.“

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Treue. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Charleen Rethmeyer

Charleen Rethmeyer

Charleen Rethmeyer ist Redakteurin beim Magazin Human Resources Manager. Dort absolvierte sie zuvor ebenfalls ihr Volontariat. Die Berlinerin hat einen Bachelorabschluss in Deutsche Literatur sowie Kunst- und Bildgeschichte und arbeitete mehrere Jahre freiberuflich für mehrere Berliner Verlage. Sie schreibt mit Vorliebe Features und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Zukunft der Arbeitswelt.

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