Neulich hatte ich ein interessantes Gespräch mit meiner Tochter: „Ich arbeite nur dort, wo die Produkte zu meinen Vorstellungen und Werten passen. Und ich arbeite nur so viel, wie ich mit meinem Umfeld vereinbaren kann. Es geht mir nicht um Gewinnmaximierung und ein möglichst hohes Gehalt, sondern um Nachhaltigkeit oder die Hilfe für andere.“
Was ihr selbstverständlich über die Lippen ging, weckte bei mir vollkommen gegensätzliche Erinnerungen. Denn ich selbst startete meine Karriere Anfang der 2000er Jahre im Top Management großer DAX-Unternehmen in der „Shareholder Value Welt“, von der sich meine Tochter deutlich abgrenzen möchte. Gewinnmaximierung und Wachstum um nahezu jeden Preis waren die obersten Ziele, stets noch effizienter und noch effektiver sollten die Unternehmen werden. Transparenz? Fehlanzeige. Dafür gab es jede Menge Silos und strenge Hierarchien.
Der Mensch im Mittelpunkt
Die Unternehmens- und Wertewelt im genossenschaftlichen Finanzverbund sieht heute ganz anders aus. Hier dreht sich alles um die Mitglieder, die gleichzeitig die Kunden sind. Werte wie Partnerschaftlichkeit, Transparenz, Solidarität und regionale Nähe prägen das wirtschaftliche Handeln. Aber sind das nicht nur schöne Buzzwords auf einer Folie? Nein. Im Rahmen unserer Transformation entwickelten wir, die Atruvia-Mitarbeitenden, Maßnahmen, die zeigen, dass diese Werte auch wirklich gelebt werden.
So bezieht unsere neue Arbeitgebermarke viel stärker als bisher die Werte der Genossenschaften ein, deren Partner wir sind. Einst wurden Genossenschaften gegründet, damit Menschen füreinander einstehen und wirtschaftlich gemeinsam vorankommen – ohne Ellenborgen, sondern mit neuen Ideen und potenziellen Kooperationen. Vielleicht unterschätzt man uns, weil wir aus der genossenschaftlichen Welt kommen. Aber: Diese Werte sind uns wichtig, wir arbeiten nachhaltig und verbinden diese Grundlagen mit einer neuen Innovationskultur. Uns treiben nicht Quartals- und Monatszahlen, sondern Partnerschaftlichkeit und die Subsidiaritätsgedanken der Genossenschaft. Das ist ein Wertesystem, das bei jungen Menschen sehr gut ankommt. Bei uns zählt Fairness, trotzdem müssen wir lieferfähig und erfolgreich sein.
Menschliches ist immer wertvoller als Materielles: Dies wird eines der entscheidenden Themen für die Zukunft. Wir wollen ein Fundament schaffen, das dem Menschen anbietet, sich persönlich weiterzuentwickeln und Sinn zu stiften. Das bedeutet: Ich tue alles dafür, damit Mitarbeitende den Tag mit uns so verbringen, dass sie persönlich wachsen können und beim Kunden erfolgreich sind, sich zufrieden fühlen, produktiv und motiviert sind. Das Unternehmen der Zukunft ist eine Plattform für Menschen. Nicht nur für die eigenen Mitarbeitenden, sondern auch für externe Kolleginnen, Kooperationspartner und Kunden.
Das Fundament der Unternehmenskultur
Nach meiner Erfahrung geht es bei Transformationen neben Visions- und Strategieprozessen im Kern vor allem um Haltungsänderungen beim Management und den Mitarbeitenden. Werte drücken die angestrebte Haltung aus und sind das Fundament der Unternehmenskultur. Sie sind Leuchttürme, der Kompass in volatilen Zeiten und treiben die Transformation voran. Wenn sich vieles verändert und man neue Wege geht, brauchen die Menschen umso stärkere Werte, um ihre Handlungen, ihre Entscheidungen und ihr Verhalten danach auszurichten. Dabei ist und bleibt es wichtig, dass der Vorstand und das gesamte Management diese Werte selbst vorleben.
Mit diesem moralischen Kompass in der Hand wurden die neuen Werte von unseren Mitarbeitenden in crossfunktionalen und hierarchieübergreifenden Teams erarbeitet – ganz bewusst nicht vom Vorstand. Das Ergebnis waren folgende Werte:
- Respekt
- Offenheit und Ehrlichkeit
- Eigenverantwortung
- Füreinander
- Ergebnisorientierung
Doch was bedeuten diese Werte nun für unseren Arbeitsalltag und unsere Zusammenarbeit?
Nehmen wir das Beispiel Offenheit und Ehrlichkeit: Wir wollen einhalten, was wir versprechen, klar und einfach kommunizieren und Wissen teilen. Wir informieren über Themen, die uns bewegen, und erläutern transparent nicht nur, welche Entscheidungen wir getroffen haben, sondern auch, was die Motive dahinter sind. Doch das alles passiert nicht auf Knopfdruck. Es muss eine Atmosphäre geschaffen werden, die diese Offenheit und Ehrlichkeit ermöglicht.
Lotsen für die Kulturentwicklung
Eine Haltung zu verändern ist ein langer Prozess. Darum braucht es vielfältige Unterstützungsangebote für die Mitarbeitenden. Bei Atruvia haben wir unter anderem eine Community von sogenannten Kulturpromotoren etabliert, die als Lotsen die Kulturentwicklung im Unternehmen vorantreiben. Sie unterstützen die Teams dabei zu reflektieren und stellen ein einheitliches Verständnis zu den Werten im Unternehmen sicher. Wer als Kulturpromotor bei uns aktiv ist, ist besonders sensibilisiert für die Auftreten anderer Mitarbeiterinnen: Positive Verhaltensweisen hervorzuheben und zu loben ist ebenso eine Aufgabe der Lotsen wie ein kontinuierlicher kritischer Blick auf die Kulturleitlinien oder das Initiieren von Workshop-Formaten.
Denn Werte brauchen Kommunikationsplattformen und Auseinandersetzung im Unternehmen. Wir messen unsere Wirkung von Werten im Unternehmen regelmäßig mit einer Befragung, dem sogenannten Pulse Check. Die Mitarbeitenden reflektieren, in welchem Maße sie selbst die Werte leben und bei anderen wahrnehmen. Die Ergebnisse zeigen, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben: Unsere Kulturwerte werden zu mehr als 90 Prozent von den Mitarbeitenden erlebt und gelebt. Denn es fühlt sich nach Genossenschaft an, nicht nach der aus dem 19. Jahrhundert, sondern nach der Genossenschaft des 21. Jahrhunderts.
Die Experience macht die Musik
Zurück zu den Sätzen meiner Tochter: Die Demografie und der Fachkräftemangel werden dafür sorgen, dass die Macht bei den Mitarbeitern und Bewerberinnen liegt, nicht mehr bei uns Vorständen. In drei Jahren gehen die Baby-Boomer in den Ruhestand. Es tut sich eine eklatante Lücke auf. Über die Great Resignation oder den Big Shift habe ich schon mehrfach geschrieben. Sehr viele Menschen machen sich Gedanken darüber, wie ihr Lebensplan aussehen soll und überlegen, welcher Job dazu passt. Das ist der Moment der Wahrheit, in dem wir als People-and-Culture-Manager zeigen können, dass Werte, Inspiration und Purpose im Unternehmen den differenzierenden Stellenwert für Menschen einnehmen.
Weitere Beiträge aus der Kolumne:
Pulse Checks – Der Herzschlag der Transformation
Berufe der Zukunft: Irgendwas mit Computern