Gehaltsforderungen in der Krise – ablehnen oder gestalten?

Vergütung

Die IG Metall hat vor Beginn der Tarifrunde der Elektro- und Metallindustrie bereits eine Erhöhung der Vergütungen um 8 Prozent gefordert. Auch außerhalb von Tarifverhandlungen sind derzeit Arbeitgeber mit Forderungen nach signifikanten Gehaltserhöhungen seitens ihrer Beschäftigten konfrontiert. Während auf Seiten der Arbeitnehmenden insbesondere die hohe Inflation, die Notwendigkeit von Entlastungen im Hinblick auf signifikant gestiegene Lebenshaltungskosten – zum Beispiel Energiekosten – und die Zurückhaltung während der Pandemie als Argumente angeführt werden, weisen Arbeitgeberverbände und Unternehmen häufig solch hohe Forderungen zurück. Dies geschieht unter anderem mit Hinweis auf die sinkende Nachfrage, die auch für Unternehmen massiv gestiegenen Kosten und die allgemeine Zuspitzung der ökonomischen Lage. Welche Möglichkeiten haben Arbeitgeber, mit solchen Forderungen umzugehen?

Gibt es einen Rechtsanspruch auf Vergütungserhöhung?

Findet auf das Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag Anwendung, hängt es von dem Ergebnis der Tarifverhandlungen ab, ob und zu welchem Zeitpunkt die Beschäftigten dieses Unternehmens eine Vergütungserhöhung erhalten. Tarifverträge finden einerseits Anwendung, weil der Arbeitgeber Mitglied im Arbeitgeberverband der jeweiligen Branche ist, und/oder andererseits, weil in den Arbeitsverträgen eine Bezugnahme auf die jeweils geltenden Tarifverträge dieser Branche enthalten ist.

In allen anderen Fällen haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dann einen Rechtsanspruch, wenn diesbezüglich zwischen den Arbeitsvertragsparteien etwas geregelt wurde.

Enthält der Arbeitsvertrag eine Klausel, die von der „Überprüfung“ der Vergütung zu bestimmten Zeitpunkten spricht, eröffnet dies keinen Rechtsanspruch.

Anders geben sogenannte Anpassungsklauseln Arbeitnehmenden grundsätzlich einen durchsetzbaren Anspruch auf eine Anpassung der Vergütung, die manchmal konkret an die Verbraucherpreisentwicklung gekoppelt ist.

Auch wenn Arbeitgeber selbst nicht direkt Tarifverträge anwenden, finden sich in Arbeitsverträgen sogenannte Spannungsklauseln. Damit wird die Vergütungsentwicklung turnusmäßig konkret an die Tarifentwicklung einer bestimmten Branche gekoppelt. Solche Spannungsklauseln gewähren einerseits beiden Parteien Planungssicherheit. Andererseits finden bei dieser Art der Vergütungsgestaltung die individuellen Bedürfnisse, aber auch Möglichkeiten der beiden Vertragsparteien in keiner Weise Eingang in das Ergebnis. Dem Arbeitgeber mag die tarifliche Erhöhung zu hoch, Arbeitnehmenden zu niedrig sein.

Vergütungserhöhung als freiwillige Leistung

Finden auf das Arbeitsverhältnis Tarifverträge keine Anwendung und gewähren Arbeitgeber bei Fehlen verpflichtender Klauseln im Arbeitsvertrag gleichwohl Vergütungserhöhungen, handelt es sich dabei rein rechtlich um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers. Solche unterliegen nach der Rechtsprechung dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung kann ausnahmsweise gegeben sein, wenn diese Arbeitnehmer(-gruppen) beispielsweise eine außergewöhnliche Bedeutung für den Unternehmenserfolg haben und in ihrer Eigenschaft und Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer zu finden sind.

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats

Zu beachten ist bei der Gewährung solcher freiwilligen Leistungen auch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, sofern ein solcher besteht (§ 87 Absatz 1 Nummer 10 Betriebsverfassungsgesetz). Der Betriebsrat hat bei dem Gesamtvolumen, welches das Unternehmen für Gehaltserhöhungen zur Verfügung stellen will, zwar nicht mitzubestimmen, aber bei dessen Verteilung; beispielsweise über die Frage, ob für alle Gehaltsgruppen eine Erhöhung „mit der Gießkanne“ oder nach anderen Kriterien erfolgt.

Tarifliche Gestaltungsmöglichkeiten 

Bei wirtschaftlichen Schieflagen gibt es unter besonderen Voraussetzungen Gestaltungsmöglichkeiten, falls Flächentarifverträge Arbeitgeber dazu verpflichten, Vergütungserhöhungen an ihre Belegschaft weiterzugeben. In der Regel erfolgt diesbezüglich auf Wunsch des Unternehmens durch den Arbeitgeberverband. Oder das Unternehmen selbst nimmt eine Kontaktaufnahme mit der im Betrieb vertretenen Gewerkschaft auf. Wenn vom Unternehmen nachgewiesen werden kann, dass die Einhaltung der Flächentarifverträge, insbesondere die Weitergabe der Erhöhung zu den vorgesehenen Zeitpunkten aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Lage unvertretbar und mit erheblichen Nachteilen für Unternehmen und Belegschaft verbunden wäre, kann verhandelt werden: Entweder werden Tariferhöhungen vorübergehend gar nicht gewährt oder deren Fälligkeit verschoben. Solche tariflichen Vereinbarungen, die auch Abänderungen anderer tariflicher Arbeitsbedingungen beinhalten können, verpflichten Arbeitgeber, während der Laufzeit in der Regel auf betriebsbedingte Beendigungskündigungen zu verzichten, Investitionen zu tätigen und andere Maßnahmen einzuleiten, um die dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens wieder zu erlangen.

Fazit

Wendet ein Unternehmen durch Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband Tarifverträge an, sind die für diese Branche verhandelten Vergütungserhöhungen grundsätzlich umzusetzen und an die Belegschaft weiterzugeben. Ausnahmsweise können mit der zuständigen Gewerkschaft Abweichungen hiervon in einem separaten für das Unternehmen geltenden Tarifvertrag vereinbart werden. Finden tarifliche Regelungen nur aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme statt, müssten alle Arbeitnehmenden im Rahmen eines sogenannten betrieblichen Bündnisses im Falle der wirtschaftlichen Unvertretbarkeit mit einer Abweichung einverstanden sein.

Auch wenn Tarifverträge keine Anwendung auf das Arbeitsverhältnis finden, kann sich aus entsprechenden Klauseln des Arbeitsvertrages eine Pflicht zur Vergütungserhöhung ergeben.

Abseits von rechtlichen Fragen wird die Gestaltung von Vergütungen und anderen Arbeitsbedingungen in Zeiten des Fachkräftemangels, einer hohen Inflation und gestiegenen Kosten insbesondere von Fragen der Bindung und Motivation der Belegschaft bestimmt sein.

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Markus Künzel ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner und Leiter der Practice Group Arbeitsrecht der Kanzlei ADVANT Beiten in München.

Markus Künzel

Markus Künzel ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner und Leiter der Practice Group Arbeitsrecht der Kanzlei ADVANT Beiten in München. Er berät nationale und internationale Unternehmen in allen Belangen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Dazu gehören insbesondere Fragen der Gestaltung von Arbeitsbedingungen wie der Vergütung.

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