Flache Hierarchien, langfristiges Denken und der gute Ruf des Unternehmens werden in Schweden groß geschrieben. Beim Recruiting haben die Kollegen das letzte Wort. Und die gemeinsame Kaffeepause ist eine Institution. Das stärkt den Zusammenhalt und verbessert die Kommunikation.
Kommunikationsfähigkeit, Empathie und Achtsamkeit – ohne diese Eigenschaften kommen Führungskräfte auf der Karriereleiter heute nicht mehr weit. Viele Unternehmen setzen auf flachere Strukturen und dezentrale Entscheidungen mit dem Ziel, schneller und flexibler auf wechselnde Anforderungen reagieren zu können. Doch in der Personalauswahl breiten sich diese Prinzipien nur langsam aus: Nach Assessment-Center und Vorstellungsgespräch entscheiden Personalabteilung und Vorgesetzte meist im Alleingang über die Einstellung neuer Mitarbeiter.
Ganz anders in Schweden: Ist die fachliche Qualifikation eines Bewerbers sichergestellt, folgt in der Regel die Bewertung der persönlichen Eignung. Zuständig dafür ist das gesamte Team. Meist setzen sich mehrere Kollegen mit dem Kandidaten zusammen und prüfen ihn auf Herz und Nieren. Hobbys, Höflichkeit und Humor zählen dabei ebenso wie der bisherige berufliche Werdegang. Erst wenn Vorgesetzte und Belegschaft grünes Licht gegeben haben, fällt die Entscheidung für oder gegen einen Bewerber.
Flache Hierarchien und die Einbindung von Mitarbeitern in Entscheidungsprozesse sind typisch für schwedische Unternehmen. Eine Firma, die erfolgreich auf diese Prinzipien baut, ist Elicit. Der Softwareentwickler aus Göteborg hat 70 Beschäftigte und wächst beständig. Mit-Eigentümerin und CEO Anna Storm bezieht ihre Programmierer in viele Entscheidungen mit ein. Um jederzeit ansprechbar zu sein, hat sie ihren Schreibtisch inmitten eines Großraumbüros. Wichtige Entscheidungen trifft Storm zusammen mit ihrem Team, das gilt auch für Personalfragen. „Viele unserer Programmierer sind in unseren Recruitment-Prozess involviert“, sagt Storm. „Ich würde niemals jemanden einstellen, den sie nach dem Interview nicht empfehlen.“
Viele formelle und informelle Meetings helfen der IT-Expertin und ihren Beschäftigten auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Zusätzlich schreibt Storm ein wöchentliches Update, um die Mitarbeiter über alle Projekte auf dem Laufenden zu halten. In Deutschland, wo sie in den neunziger Jahren ein Jahr in einer Frankfurter Werbeagentur arbeitete, hat Storm einen anderen Führungsstil erlebt. „Da gab es wenig Transparenz, und der Boss hat gesagt, wo es langgeht.“ Um den Elicit-Mitarbeitern möglichst viel Freiraum zu geben, verzichtet Storm fast vollständig auf schriftliche Anweisungen. Nur eines ist für die Chefin in Stein gemeißelt: ein halbes Dutzend interne Verhaltensregeln beziehungsweise Wertvorstellungen, an denen alle Mitarbeiter ihr Handeln ausrichten sollen. Bei Einstellungsgesprächen prüft Storm deshalb neben dem fachlichen Wissen, ob die Bewerber sich mit diesen Vorstellungen identifizieren können.
Ähnlich geht die nordische Hotelkette Scandic Hotels vor. „Wir nutzen ein Online-Tool, um festzustellen, ob Bewerber dieselben Werte wie wir vertreten“, sagt Lena Bjurner, Senior Vice President HR & Sustainability. Ausschlaggebend bei der Personalauswahl seien für Scandic die vier Anforderungen „Sei fürsorglich“, „Sei ein Profi“, „Sei Du selbst“ und „Sei mutig“. Dieses gemeinsame Fundament aus Eigenschaften soll helfen, Beschäftigte aus 120 Nationen zusammenzuschweißen.
Das Management fördert außerdem Nachhaltigkeitsinitiativen, die die einzelnen Hotels lokal initiieren. Alle Teammitglieder werden in Nachhaltigkeitsfragen trainiert und in jedem Hotel gibt es einen Umweltkoordinator. „Auf unseren Einsatz für Nachhaltigkeit sind unsere Beschäftigen sehr stolz“, sagt Bjurner. Die Angestellten fühlten sich dem Unternehmen dadurch stärker verbunden, und die Akquise der richtigen Talente werde erleichtert.
Ein solches Engagement über die Anforderungen des Jobs hinaus ist in Schweden keine Seltenheit. „Es gehört hier zum guten Ton, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen“, berichtet Kerstin Kamp-Wigforss, Chefjuristin der Deutsch-Schwedischen Handelskammer in Stockholm. Das gelte für Privatleute ebenso wie für Organisationen. „Der Ruf, ein guter Arbeitgeber zu sein, ist den Unternehmen sehr wichtig.“ Auch denke das Management in schwedischen Firmen oft sehr langfristig.
Auszeiten sind anerkannt
Das zeigt sich unter anderem beim Recruiting von Frauen. Selbst ein Babybauch ist für schwedische Personaler kein Ausschlusskriterium: „Natürlich habe ich schon schwangere Bewerberinnen eingestellt“, versichert Johan Kerstell, Head of Human Resources des Werkzeugherstellers Sandvik. „Wir sehen Einstellungen als langfristiges Investment.“ Als Unternehmen mit weltweit 43.000 Beschäftigten könne Sandvik es sich leisten, wenn schwangere Mitarbeiterinnen einige Monate lang pausierten. Außerdem sind es in Schweden nicht überwiegend die Frauen, die nach der Geburt eines Kindes vorübergehend nicht arbeiten. Viele Paare teilen sich die staatlich garantierte Erziehungszeit von bis zu 480 Tagen gleichmäßig auf.
Sandvik-Personalleiter Kerstell etwa setzte bei jedem seiner beiden Söhne sieben bis acht Monate aus. Und wenn ein Kind krank wird, stehen schwedischen Eltern bis zu 120 bezahlte Pflegetage pro Kind und Jahr zu. Auch hier teilen sich Mutter und Vater die Last. Für die Unternehmen ist das Ganze zumindest finanziell ein Nullsummenspiel: Die Lohnfortzahlungen übernimmt der Staat. Und die zeitlich befristete Einstellung von Stellvertretungen während der Elternzeit ist rechtlich ebenso wie in Deutschland problemlos möglich, weiß Kamp-Wigforss von der Auslandshandelskammer. Selbst kleinere Unternehmen wie Elicit nehmen berufliche Auszeiten ihrer Mitarbeiter deshalb sportlich: „Unsere Softwareentwickler sind überwiegend männlich, aber allein in diesem Jahr fehlen 20 Prozent von ihnen, weil sie Elternzeit nehmen“, sagt Firmenchefin Storm.
Sie nutzt die Lücken, um junge Nachwuchskräfte mit befristeten Verträgen für ihr expandierendes Geschäft einzustellen und zu prüfen, ob sie sich für eine spätere Festanstellung eigneten. In anderen Fällen lässt sie Softwareingenieure das Tätigkeitsfeld wechseln: „Das ist eine exzellente Gelegenheit, Leute in eine anspruchsvollere Position hineinwachsen zu lassen“, ist Storm überzeugt. Meist kommen die jungen Eltern nach sechs bis neun Monaten aus der Babypause zurück – Männer wie Frauen. Denn gute und günstige Betreuungsangebote sowie die Möglichkeit, ein krankes Kind in Ruhe pflegen zu können, ermöglichen ihnen eine vergleichsweise stressfreie Rückkehr in den Beruf. Während der Elternzeit bleiben viele Mitarbeiter in engem Kontakt mit der Firma, einerseits über den Email-Verteiler, andererseits über gelegentliche Teilnahme an der „Fika“, der schwedischen Kaffeepause. Sie ist fester Bestandteil des Bürotages und der perfekte Ort zum persönlichen oder fachlichen Austausch – oder zum stolzen Vorzeigen eines Neugeborenen.
Auch nach der Rückkehr in den Beruf stimmen die Bedingungen. Selbst Führungskräfte können ihre Arbeitszeit flexibel planen. Oft verlassen sie schon vor vier Uhr nachmittags das Büro, freitags noch eher. „Wir beschäftigen uns seit Jahren mit der Frage, wie wir bei zunehmender Flexibilität effizient arbeiten können“, sagt Kerstell vom Werkzeughersteller Sandvik. „Wenn man großartige Mitarbeiter haben will, muss man sie unterstützen.“
Teambuilding wird großgeschrieben. Häufig fördern die Firmen Freizeitangebote wie Sport-, Musik- oder andere Events. Auch der Softwareentwickler Elicit setzt auf solche Aktivitäten: „Nur wenn wir uns untereinander sehr gut kennen und kommunizieren, können wir schnellere und bessere Ergebnisse für unsere Kunden erzielen“, sagt CEO Storm.
Personalerin Bjurner von Scandic Hotels sieht flache Hierarchien, informelle Treffen und vertrauensvolle Kommunikation ebenfalls als zentral für den Erfolg ihrer Firma an: „In Zukunft werden nur Unternehmen bestehen können, die dafür sorgen, dass ihre Arbeitnehmer sich untereinander vernetzen, eigene Ideen entwickeln dürfen und diese ohne Hemmnisse weiterleiten können.“