„HR ist oft nur der Handlanger“

Leadership

Wer die Spielregeln ändern will, muss erst einmal mitspielen. Das sagt der Headhunter Heiner Thorborg, wenn es um Frauen in Führungspositionen geht. Er ist wie nur wenige ein Experte für das Thema. Schon 2007 hat er „Generation CEO“ gegründet, ein Business-Netzwerk für Frauen. Im vergangenen Jahr kam „The Female Factor“ dazu. Ein Gespräch über Frauenquoten, Unternehmenskultur und die geringe Attraktivität von HR-Karrieren.

Herr Thorborg, die meisten Unternehmen wollen mehr „Frauen in Führungspositionen“ bringen. Sie scheinen ja, was das Thema angeht, einen guten Riecher für lukrative Geschäftsmodelle zu haben.
Ich bin eher ein Gesinnungstäter.

Das heißt?
Ich habe bereits 2006 – mit Barbara Bierach – ein Buch zu dem Thema mit dem Titel „Oben ohne“ geschrieben. Es enthält Interviews mit internationalen Top-Managerinnen. Aus diesen haben wir Ratschläge für deutsche Frauen abgeleitet. Leider werden solche Bücher aber in der Regel nur von Frauen gelesen – und nicht von den Männern, die an der Macht sind. Weil wir mehr Öffentlichkeit wollten, haben wir dann 2007 die Initiative „Generation CEO“ ins Leben gerufen. Ein Netzwerk, das mittlerweile aus mehr als 140 Frauen besteht.

Was sind die Aufnahmekriterien?
Alle Frauen in dem Netzwerk haben das Potenzial, Karriere zu machen. Das kann im Consulting-Bereich die Partnerschaft oder im Industrie-Bereich die Geschäftsführung sein. Wir wollen eine möglichst große Vielfalt an unterschiedlichen Karrieremodellen abbilden. Unabdingbar sind Internationalität, Mehrsprachigkeit, Führungserfahrung und eine exzellente Ausbildung.

Sie haben nun vergangenes Jahr „The Female Factor“ gegründet, einen Talent Pool aus Managerinnen. Wenn Sie eine weibliche Führungskraft vermitteln wollen, brauchen Sie gar nicht lange suchen. Was ist der Unterschied zu „Generation CEO“?
„Generation CEO“ ist gesponsert worden von Unternehmen. Da ging es nicht darum, ein Geschäftsmodell zu entwickeln, sondern erfolgreiche Managerinnen sichtbar zu machen. „The Female Factor“ ist etwas völlig anderes. Wir haben einen Pool aus weiblichen Management-Talenten aufgebaut, die wir aktiv Unternehmen anbieten, von denen wir wissen, dass sie den Frauenanteil im Management deutlich erhöhen wollen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass wir keine klassischen Suchaufträge annehmen, um konkret ausgeschriebene Positionen zu besetzen. Ein Honorar fließt erst dann, wenn es zum Vertragsabschluss zwischen beiden gekommen ist. Es handelt sich also um ein reines Platzierungsmodell. Damit setzen wir althergebrachte Konventionen in der Personalberaterbranche außer Kraft. Und das stößt auf großes Interesse.

Wie viele Frauen sind in dem Pool?
Es sind mehr als 600 persönlich interviewte Frauen, die sich unterhalb der Geschäftsführung beziehungsweise des Vorstands bewegen. Und sie sitzen nicht nur in Deutschland, sondern beispielsweise auch in England, Frankreich, USA oder China.

Was sind Ihrer Erfahrung nach ganz allgemein die wichtigsten Faktoren auf Seiten der Unternehmen, die stimmen müssen, damit Frauen Karriere machen können?
Es fängt, wie immer im Leben, ganz oben an. Es braucht einen Chef, der Frauen fördern will und es auch artikuliert. Damit meine ich nicht, dass er Sonntagsreden in den Medien verbreitet. Entscheidend ist, dass er Frauenförderung intern zur Chefsache erklärt und das entsprechend nachdrücklich im Unternehmen kommuniziert. Die Geschäftsführungskollegen müssen ebenfalls dafür gewonnen werden. Gemeinsam müssen sie systematisch anfangen, die Kultur im Unternehmen zu verändern. Sie müssen die einzelnen Hierarchiestufen davon überzeugen, dass Vielfalt für das Unternehmen gewinnbringend ist. Vielfalt beschränkt sich allerdings nicht auf das Geschlecht, sondern schließt zum Beispiel auch unterschiedliche Nationalitäten und Hautfarben ein.

Und solche Chefs, von denen sie sprechen, gibt es zu wenig?
Frauen, um die geworben wird, stellen nach der Einstellung leider häufig fest, dass es das Unternehmen gar nicht so ernst mit der Frauenförderung gemeint hat. Sie werden nach der Anstellung völlig alleine gelassen. Das ist ein großer Fehler. Man muss den Frauen von Anfang an helfen, das Beziehungsgeflecht im Unternehmen zu verstehen. Sie brauchen Unterstützung, um sich in diesem – meist ja männlich geprägten – Labyrinth sicher zu bewegen. Und die „Männerclübchen“ müssen wissen, dass es ausdrücklicher Wille der gesamten Unternehmensführung ist, den Frauen eine echte Chance zu geben. Das müssen zahlreiche Chefs erst noch verinnerlichen.

Die Frauen brauchen also eine Art Mentor?
Ja, zum Beispiel einen Mentor, einen Förderer oder einen Gesprächspartner – wie man es auch nennen mag.

Und was müssen auf der anderen Seite die Frauen selbst mitbringen? Vielleicht auch das, was man Männern zuschreibt, nämlich Ellbogen und die Fähigkeit, Netzwerke schmieden zu können?
Frauen sollten nicht versuchen, wie Männer zu sein oder so aufzutreten. Frauen sollen das ins Unternehmen hineinbringen, was sie als Frauen ausmacht. Allerdings gilt auch: Wenn man Spielregeln verändern will, muss man mitspielen. Man kann nicht nur draußen am Spielfeldrand stehen und sagen: „Mir gefallen die Spielregeln nicht.“ Da ist es besser, man hält den Mund und geht. Wer aber eine Kultur verändern will, muss sich einbringen, die Spielregeln verstehen und natürlich zunächst auch anwenden. Denn eine Veränderung ist erst möglich, wenn eine kritische Masse erreicht ist, wenn es also mehrere Frauen im Unternehmen gibt, die sich gegenseitig helfen. Frauen sind im Netzwerken deutlich schlechter als Männer. Doch es hilft nichts, sie müssen es machen. Frauen, die oben ankommen und dann sagen „Ich musste das alleine schaffen, macht Ihr anderen das auch mal alleine“, schaden der Sache gewaltig.

Denken Sie, dass sich mehr Frauen für einen Aufstieg im Unternehmen entscheiden würden, wenn das Konkurrenzdenken und die Ellbogenmentalität weniger verbreitet wären?
Das mag sein. Doch Kulturveränderung bekommen Sie nun mal nur von innen. Und dabei heißt es, Kompromisse einzugehen. Das müssen auch die Frauen lernen. Beide Seiten – Männer und Frauen – sind gut beraten, sich aufeinander zu zu bewegen.

Sie haben auch schon mal kritisiert, dass zu wenige Frauen bereit sind, die Strapazen auf sich zu nehmen, um Karriere zu machen.
Ja, das stimmt. Das hat jedoch in der Regel gute und nachvollziehbare Gründe. Viele Frauen sind nicht bereit, als Vorstand auf ihr Privatleben zu verzichten oder die Kinder nicht mehr zu sehen. Ein Thema, über das die Frauen stärker nachdenken als Männer. Deswegen sind sie nicht schlechter, sie gehen nur einen anderen Weg. Entweder sie machen sich selbstständig und werden Unternehmerin. Oder ihnen genügt die erreichte Hierarchiestufe. Manche Frau geht auch ganz raus und widmet sich vollkommen der Familie oder verwirklicht sich auf andere Weise. Deshalb ist für mich klar, dass eine zuweilen geforderte Frauenquote von 30 Prozent im Vorstand von Konzernen nicht realistisch ist. Denn es gibt gar nicht so viele Frauen, die das können und auch noch wollen. Dabei nehme ich den Mittelstand explizit aus. Die Quotendiskussion betrifft ja vor allem die Konzerne. Schauen Sie sich die Fortune 500 in den USA an: Nur jeder 25. CEO dieser Unternehmen ist weiblich.

Bei General Motors, einem der größten Automobilkonzerne der Welt, ist nun mit Mary Barra aber erstmals eine Frau an der Spitze. Bei einem deutschen Automobilhersteller denkbar?
Nein, das ist in Deutschland zurzeit nicht denkbar. In den Vorstandsgremien der deutschen Automobilhersteller gibt es derzeit keine Frau, die für den Vorstandsvorsitz in Frage käme. Auch in den USA bricht keine neue Zeit an. Mary Barra ist ein besonderer Fall. Die Frau ist seit 33 Jahren bei GM. Sie hat zuvor die Entwicklung geleitet. Der Vorstandsvorsitz war wahrscheinlich ein logischer Schritt.

Wir haben in Deutschland seit drei Jahren eine intensive Diskussion zum Thema „Frauen in Führungspositionen“. Wie schätzen Sie ganz allgemein die Entwicklung ein? Gibt es einen positiven Trend?
Man muss dabei zunächst einmal trennen zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. Nur über den weiblichen Anteil im Aufsichtsrat erreichen Sie noch gar nichts.

Sie glauben also nicht, dass die gesetzliche Quote viel verändern wird?
Sie bezieht sich nur auf die Kontrollebene, da sind die betroffenen Unternehmen bereits gut unterwegs und hätten es locker ohne Quote geschafft. Viel wichtiger ist die Vorstandsebene. Da spielt die Musik. Und dort werden leider zu häufig Fehler begangen, wenn man Frauen von draußen holt, die in der Praxis überfordert sind. Ihnen fehlen die notwendigen Qualifikationen, um sich im speziellen Konzernumfeld zu behaupten. Und dann werden sie noch allein gelassen. Wenn jemand beispielsweise aus einer völlig anderen Unternehmenskultur, einer völlig anderen Industrie und ohne Vorstandserfahrung auf die oberste Ebene eines Unternehmens wechselt, ist er oder sie in der Regel verloren. Das ist geschlechterunabhängig. Deshalb macht es Sinn, die Frauen auf den Ebenen darunter reinzuholen. Diesen Ansatz verfolgen wir im Übrigen mit „The Female Factor“. Unterhalb der Vorstandsebene haben sie viel besser die Möglichkeit, sich an die Kultur des Unternehmens zu gewöhnen und zu zeigen, was sie können. Später erfolgt dann der Schritt in die erste Reihe. Die Chance, dass das funktioniert, ist wesentlich höher, als wenn eine Frau von draußen gleich einen Vorstandsposten übernimmt.

Welche Rolle kann die HR-Funktion spielen beim Thema Frauenförderung?
Dreh- und Angelpunkt ist erst einmal der CEO. Bezüglich der HR-Funktion muss ich ehrlich sagen: Das kommt entscheidend darauf an, welche Person die Funktion verantwortet.

Und wie viel Einfluss diese hat.
Ja. Leider gibt es im Personalbereich im Durchschnitt nicht das Kaliber an leistungs- und potenzialstarken Menschen, das sie in anderen Funktionen finden.

Und warum, meinen Sie, ist das so?
Auf der einen Seite weiß jeder, dass HR extrem wichtig ist. Eigentlich. Aber auf der anderen Seite wird es von vielen als nicht bedeutend wahrgenommen. HR ist häufig nur der Handlanger beziehungsweise das Ausführungsorgan von Entscheidungen, die woanders getroffen werden. Und solange das so ist, ist die Funktion für richtig gute Typen nicht attraktiv. Für mich ist eine Idealbesetzung im HR-Bereich jemand, der die Erfahrung aus beiden Welten mitbringt – aus dem Personal- und aus dem operativen Bereich. Er oder sie hat dann ein ganz anderes Standing als jemand, der sein Leben lang ausschließlich im HR Erfahrung gemacht hat.

Würden Sie also Frauen, die in die HR-Funktion wollen, dazu raten, eine Kaminkarriere zu vermeiden und erst einmal Erfahrungen im Business zu suchen?
Absolut. Kaminkarrieren im Personalbereich sind generell extrem gefährlich. Das ist geschlechtsunabhängig. Reine Personaler laufen stets Gefahr, im Unternehmen nicht ernst genommen zu werden.

Gibt es aktuell eine deutsche Managerin, die Sie ganz besonders beeindruckt aufgrund der Ergebnisse, die sie erreicht hat?
Ich finde zum Beispiel, dass Christine Hohmann-Dennhardt bei Daimler einen ganz exzellenten Job als Compliance-Verantwortliche macht. Bei den vielen Problemen, die Daimler hatte, ist eine ehemalige Verfassungsrichterin natürlich auch ein Geschenk des Himmels. Ich vermute jedoch, wenn sie in den Ruhestand geht, wird sie nicht ersetzt. Dann ist der Daimler-Vorstand wieder ohne Frau. Wer mir ebenfalls imponiert, ist Margarete Haase bei Deutz in Köln. Die macht einen Super-Job. Ähnliches gilt für die IBM-Deutschlandchefin Martina Koederitz. Und bei den Personalmanagerinnen fallen mir Margret Suckale von BASF und Bettina Volkens bei der Lufthansa ein, beide sehr erfahrene Frauen im HR, die in ihrer Karriere nicht ausschließlich in Personalfunktionen gearbeitet haben – und sich dementsprechend eine hohe Wertschätzung ihrer Kollegen erarbeitet haben.

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