Wie fehlertolerant kann die Polizei sein, Herr Paschek?

Interview

Herr Paschek, Ihre Stabsstelle wurde als Reaktion auf Skandale um Rechtsextremismus innerhalb der hessischen Polizei initiiert. Sie behandeln aber zudem ganz grundlegende Fragen der Polizeiarbeit. Wie können auch andere Ihre Ergebnisse nutzen?
Ich bin mir sicher, dass die Probleme, denen wir uns widmen, nicht nur in Hessen bestehen. Es ist bei uns nur offenkundig geworden, was in anderen Polizeien möglicherweise unter der Oberfläche verbirgt. Die Strukturen und Herausforderungen sind bei allen gleich. Darum glaube ich, dass unsere Arbeit eine gute Blaupause für moderne Polizeiarbeit ist.

Mit der Stabsstelle hat das Innenministerium Hessen öffentlich ein Zeichen gesetzt. Wie waren die Reaktionen in den eigenen Reihen?
Ambivalent. Eine der ersten Empfehlungen, die wir umgesetzt haben, war, die über 20.000 Bediensteten der hessischen Polizei zu informieren. In Transparenzveranstaltungen haben wir ihnen gezeigt, welche Inhalte in den rechtsextremen Chat-Gruppen teilweise über Jahre hinweg verschickt worden sind. Das hat alle Anwesenden tief erschüttert. Es war ein wichtiger Impuls, um zu überlegen, wie so etwas entstehen kann, warum keiner adäquat darauf reagiert hat und wie sich unsere Kultur ändern muss, damit es nicht wieder passiert.

Es gab auch Bedienstete, die sich unter Generalverdacht gestellt gesehen haben.
Das ist ein immer mitschwingender Vorwurf und meines Erachtens eine Ursache, warum die Polizei in Teilen eine Art Wagenburgmentalität aufweist. Wir sind als Polizei häufig mit Kritik konfrontiert, oft auch unberechtigt. Dann werden uns pauschal Dinge unterstellt, die Einzelne anrichten. Das zieht selbst Mitarbeitende in einen Generalverdachtsstrudel, die alles richtig machen. Deswegen ist eine differenzierte Auseinandersetzung so wichtig, auch im öffentlichen Diskurs. Und das ist etwas, was ich ehrlich gesagt auch von Polizei­kritikern erwarte: Wenn wir die Polizei verbessern wollen, dann bedingt das eine differenzierte Betrachtungsweise von individuellem Fehlverhalten.

Wie fehlertolerant kann die Polizei überhaupt sein?
Natürlich haben wir den Anspruch, Fehler zu vermeiden. Aber das wird nie zu 100 Prozent gelingen. Auch in der Polizei passieren Fehler. Die Frage ist, in welchem Kontext. Wenn Sie ein Atomkraftwerk betreiben, ist die Fehlertoleranz gering. Das gilt auch für bestimmte Kernbereiche des polizeilichen Handelns, für die es klare Prozesse und Führungsstrukturen gibt, damit keine Fehler geschehen. Trotzdem ist man auch als Polizist so wie jeder Mensch nicht davor gefeit, im Einzelfall einen Fehler zu machen.

Wie setzt man sich richtig mit Fehlern auseinander?
Indem man sie differenziert in der Einsatznachbereitung bespricht. Die Polizei handelt in einer risikohaften Umgebung und ist eine Gefahrengemeinschaft. Das wirkt beim konstruktiven Umgang mit Fehlern ambivalent: Zwar ist man gezwungen, gefährliche Situationen nachzubereiten und zu analysieren, was gut und was nicht so gut lief. Andererseits ist das Ausüben von Kritik untereinander in einer solchen Gefahrengemeinschaft möglicherweise nicht erwünscht, insbesondere wenn diese Kritik dann die nächst­höhere Ebene erreichen könnte und dienstrechtliche Konsequenzen drohen. Das hat viel mit Vertrauen zu tun: Es ist zwingende Grundlage für eine konstruktive Fehlerkultur.

Wie passt die Angst vor dienstrechtlichen Konsequenzen zur Fehler- und Vertrauenskultur, die Sie aufbauen wollen?
Das Gegenteil von dem, was wir erreichen wollen, ist, dass Mitarbeitende der Polizei Angst davor haben, einen Fehler zu machen. Aber man muss differenzieren zwischen Fehlern und Fehlverhalten: Das eine sind fahrlässige Fehler, die Menschen nun einmal zu eigen sind. Das andere ist eine nie akzeptable vorsätzliche Überschreitung von Grenzen und Vorschriften, die der Handlungsrahmen der Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat sind.

Wie angemessen ist der Begriff „Fehlerkultur“ bei klaren Rechtsbrüchen wie Rassismus?
Rassismus ist mit unserem Grundgesetz nicht in Einklang zu bringen. Menschen, die eine rassistische Grundüberzeugung haben, haben in der Polizei nichts verloren. Das ist eindeutig. Die Frage ist, wann es um bewussten Rassismus geht und wann um Fahrlässigkeit. Neben einer klaren Kante gegen Rassismus müssen wir uns die Frage stellen, warum Kolleginnen und Kollegen nicht adäquat auf solche Inhalte und Äußerungen reagieren. Sei es aus Fahrlässigkeit oder aus den falschen Organisationsstrukturen heraus, hier gilt es für uns, nachhaltige Veränderungsimpulse zu setzen.

Sie wollen die Aufrechten stärken, künftig gegen Fehlverhalten einzustehen. Wie soll das gelingen?
Das gelingt nur mit einer Vielzahl an Maßnahmen. Im Kern steht die Überarbeitung unseres Leitbilds. Auch gutes Führungsverhalten gehört dazu, zum Beispiel, nur Personen in Führungsverantwortung zu bringen, die das können und wollen, und ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, die sie brauchen.

Die Polizei hat schon ein Leitbild. Darin steht auch etwas über gute Führung und Verantwortung. Wie stellen Sie sicher, dass das neue Leitbild nicht wieder in der Schublade landet?
Das ist eine große Herausforderung. In dem aktuellen Leitbild, das 20 Jahre alt ist und auch mit breiter Partizipation entstanden ist, stehen viele gute Sachen. Aber es hat nicht den Weg in die Herzen und Köpfe geschafft. Damit dem überarbeiteten Leitbild nicht das gleiche Schicksal droht, haben wir einige Initialmaßnahmen geplant, müssen aber auch dafür Sorge tragen, dass es dauerhaft von der Regelorganisation begleitet wird.

Das heißt, es wird auch nach Auflösung der Stabsstelle im hessischen Innenministerium eine Stelle geben, um Führung und Leitbild bei der Polizei zentral zu begleiten?
Ja, das ist aus meiner Sicht erforderlich.

Interessant. Bis dato sind Führungsfragen bei der Polizei dezentral organisiert.
Die Polizei ist dezentral organisiert, ja, aber sie wird hierarchisch geleitet. Die Dienst- und Fachaufsicht über die Polizeibehörden hat das Innenministerium. In einem so großen Apparat wie der Polizei Hessen kann es zu Verantwortungsdiffusion kommen. Das wollen wir verhindern. Aber wir wollen ausdrücklich nicht bestehende Verantwortung in eine Stabsstelle ziehen, sondern die Mitarbeitenden stärken, die Personalverantwortung ­tragen.

Stabsstelle Fehler- und Führungskultur Polizei

Als Drohbriefe mit dem Absender „NSU 2.0“ verschickt wurden, stellte sich heraus, dass einige Daten der Opfer rechtswidrig von Polizeicomputern abgefragt wurden. Die ersten Fälle gab es in Hessen. Bei den Ermittlungen kamen rechtsextreme Chats zutage, in denen sich Bedienstete der Polizei rassistisch, sexistisch und antisemitisch geäußert hatten. Das Innenministerium Hessen rief eine Expertenkommission ins Leben, die im Juli 2021 einen Bericht mit über 100 Empfehlungen zur Modernisierung der Polizei vorstellte. Zeitgleich fiel der Startschuss für die Stabsstelle Fehler- und Führungs­kultur Polizei. Sie hat den Auftrag, die Umsetzung der Empfehlungen zu koordinieren, das Leitbild der Polizei zu überarbeiten und eine positive Fehler- und Führungskultur zu etablieren. Die Stabsstelle ist befristet, ein Ende steht noch nicht fest.

Wie bringen Sie das Wissen in die Praxis?
Wir sind bereits eng mit der Umsetzungsebene verzahnt. Über 100 Mitarbeitende aus allen hessischen Polizeibehörden wirken bei der Erarbeitung der Ergebnisse in unserem Projekt mit. Wir haben eine Resonanzgruppe, die repräsentativ die hessische Polizei abbildet, in der wir die Ideen, die wir im Projekt entwickeln, diskutieren und auf ihre Umsetzbarkeit und Akzeptanz hin prüfen. Das ist wichtig, damit die Maßnahmen am Ende auch tatsächlich gelebt werden.

Was spiegeln Ihnen die Mitarbeitenden, was ihnen bei Führung wichtig ist?
Was wir häufig zurückgemeldet bekommen, ist das Thema Vertrauen. Sie wünschen sich mehr Vertrauen und Rückendeckung. Wenn es uns gelingt, zu zeigen, dass es uns nicht darum geht, neue Erlasse oder Vorschriften zu entwickeln, sondern das Miteinander insgesamt zu verbessern, werden wir es schaffen, dass die hessische Polizeiarbeit wirklich besser wird.

Sie waren selbst eine Führungskraft bei der Polizei. Wie hätte Ihnen die Fehler- und Führungs­kultur geholfen?
Als Revierleiter einer Schwerpunktdienststelle habe ich erlebt, wie herausfordernd es für die Mitarbeitenden ist, Tag und Nacht unter teilweise sehr schwierigen Bedingungen Situationen bewältigen zu müssen. Die Räume für Reflexionen, die wir schaffen, helfen, einen professionellen Job zu machen und resistent gegen Stress zu sein. Wer sich reflektiert, kann selbstsicherer arbeiten und guten Gewissens auch unberechtigter Kritik entgegentreten. Das führt zu Sicherheit und ­Kompetenz.

Die Kritik an Staatsbediensteten steigt. Als Vizepräsident des Landeskriminalamts Hessen haben Sie gerade Zahlen präsentiert, dass politisch motivierte Angriffe, Aufmärsche und Hasskommentare auch gegen die Polizei zunehmen. Wie gelingt es da, Polizistinnen und Polizisten für ihre Arbeit zu motivieren?
Als Exekutive, die auf der Straße unterwegs ist, spüren wir unmittelbar, wie die Politik- und Staatsverdrossenheit zunimmt. Wir genießen aber nach wie vor ein großes Vertrauen in der Bevölkerung. Es ist, glaube ich, wie in vielen Berufen: Es gibt Licht und Schatten. Wir stärken die Einsatzkräfte für negative Aspekte, indem wir zum Beispiel den internen Opferschutz und die kollegiale Beratung ausbauen. Für Schwerpunktreviere diskutieren wir zurzeit eine Rotationsrichtlinie. Und auch die Strafverschärfung gegen Hass und Hetze hilft Polizistinnen und Polizisten, die sehr exponiert sind. Es gibt aber auch viele positive Momente: wenn man zum Beispiel Straftäterinnen und Straftätern das Handwerk legt und Menschen hilft. Das ist sehr sinnstiftend und überstrahlt Schattenseiten, die jeder Beruf mit sich bringt. Ich habe viele Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand verabschiedet, und die allermeisten haben gesagt, was ich selbst auch immer so empfunden habe: „Es war eine gute Wahl. Ich würde es jederzeit wieder so machen.“

Zum Gesprächspartner:

Felix Paschek ist seit 2020 Vizepräsident des Hessischen Landeskriminalamts (HLKA) und seit Juli 2021 Leiter der Stabsstelle Fehler- und Führungskultur Polizei im Innenministerium Hessen. Die Jobs teilt er sich auf, indem er drei Tage wöchentlich dem Landeskriminalamt und zwei Tage der Stabsstelle widmet. Die Arbeit der Polizei kennt Paschek gut: Er hat bei der Bereitschaftspolizei angefangen, das erste Revier in der Innenstadt von Frankfurt geleitet und sich beim Landespolizeipräsidium unter anderem mit politisch motivierter Kriminalität auseinandergesetzt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Risiko. Das Heft können Sie hier bestellen.

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren
Mirjam Stegherr, Journalistin, Moderatorin und Beraterin

Mirjam Stegherr

Freie Journalistin, Moderatorin und Beraterin
Mirjam Stegherr ist freie Journalistin, Moderatorin und Beraterin.

Weitere Artikel