Nie wieder ist jetzt: Wie und warum HR dazu beitragen muss

Meinung

Es klingt wie ein dystopischer Blockbuster…

Weltweites Erstarken von Autokraten und rechten Menschenfeinden. Eine von einer Pandemie gespaltenen Gesellschaft in denen das Oxymoron „gefühlte Fakten“ echte Politik macht. Krieg in Europa sowie im Nahen Osten. Wahlen in den USA, wo ein verurteilter Straftäter, der einst zum Angriff auf das Capitol blies, vielleicht erneut Präsident wird. Eine Europawahl bei der rechte Parteien zu den Gewinnern zählen könnten und drei anstehende Landtagswahlen in der Bundesrepublik, in denen eine rechtsextreme Partei Umfragen zufolge bei rund 30 Prozent steht und Wahlkämpfer anderer Parteien angegriffen werden. Und das vor dem Hintergrund eines aufgedeckten Geheimtreffens in Potsdam zur Planung massenhafter Ausweisungen.Ach so, und da wäre ja noch die menschengemachte Klimakrise, die uns heute schon beinahe täglich irgendwo auf der Welt vor Augen führt, was uns erwartet, wenn nicht entschlossen gehandelt wird. In vielen Blockbustern braucht es weniger, um eine heldenhaften Rettung herbeizusehnen.

Menschen mit Demokratie in Berührung bringen

Doch leider werden es Super- oder Spider-Women und Bat Man nicht richten. Es braucht uns: Jede einzelne und jeden einzelnen, Vereine, Organisationen und Unternehmen. Und es braucht Taten – nicht nur offizielle Statements. Hunderttausende Menschen, die in ganz Deutschland auf die Straßen und Plätze gehen, haben Mut gemacht. Sie sorgten und sorgen für seltene Momente in denen Demokraten Seite an Seite stehen. Doch es braucht mehr als Demos: Menschen müssen in allen Bereichen mit Demokratie und ihren Akteur:innen in Berührung und in den Austausch kommen.

Selbstverständlich ist dieses derzeitige Erwachen der Bevölkerung mit Blick auf die rechte Gefahr auf jeden Fall nicht. Solingen, Rostock Lichtenhagen, Hanau – um nur ein paar sogenannte „Einzelfälle“ zu nennen: Rechtes Gedankengut überfällt uns nicht, es war nie weg. Und es wurde viel dafür getan, dass die Grenzen des Sag- und Machbaren verschoben werden. Rund 30 Prozent würden in Thüringen Schätzungen zufolge einen Menschen wählen, den man gerichtlich bestätigt Faschist nennen darf und der gerade erst wegen der Nutzung einer NS-Parole verurteilt wurde. Natürlich nicht alle, weil sie rechts ist, sondern trotzdem. Da fragt man sich, was eigentlich niederträchtiger ist.

Unsere Demokratie ist bedroht

Aber man darf ja nichts mehr sagen. So die gebetsmühlenartig wiederholte Unwahrheit der Rechten, die ihr Gift lauter nicht verspritzen könnten. Social Media Dauerfeuer, Fake News, Hasskommentare, Morddrohungen und tatsächlich verübte Morde (Walter Lübke), Bots, Kundgebungen in der analogen Öffentlichkeit, Attacken auf Mitbürgerinnen und Mitbürger, Anbrüllen gegen Reden demokratisch gewählter Vertreterinnen und Vertreter. Es ist nicht übertrieben, festzustellen: Unsere Demokratie ist bedroht und wird auf breiter Linie angegriffen. Mit digitalen, analogen und ja, auch echten Waffen. Und sie haben den Säulen unseres demokratischen Systems – eines der besten politischen Systeme, das wir je hatten und bis dato kennen – bereits erheblichen Schaden zugefügt: allen voran der Wissenschaft, dem Journalismus und der Politik. Es ist Zeit, sich auch mal vor unsere Institutionen zu stellen.

Die Säulen der Demokratie unter Generalverdacht

Zweifel gegenüber Journalistinnen und Journalisten wurden schon vor Corona, unter anderem bei den Pegida-Protesten durch das beständige Skandieren von „Lügenpresse!“ gesät und von Donald Trumps „Fake News“-Vorwürfen gegenüber Medien in den Köpfen manifestiert. Das Leugnen von Corona und dem von Menschen mitverursachten Klimawandel säht Zweifel an der Wissenschaft. Und „die Politiker“ sind ohnehin egoistisch und lobbygesteuert – so die Stammtischparolen. Vom Ansehen von Institutionen wie der EU und dem deutschen Beamtentum wollen wir gar nicht erst anfangen.

Alles und jeden in Zweifel zu ziehen ist bei vielen Gebot der Stunde. Der Kant’sche Mut, seinen eigenen Verstand zu benutzen, verdreht sich ins Absurde. Vielleicht sollte doch nicht jeder das glauben, was er oder sie „verstand“ – dafür sind unsere Probleme mittlerweile zu komplex. Wer heute Menschen in der Politik, in der Wissenschaft und im Medienbetrieb glaubt oder ihnen Respekt und Verständnis entgegenbringt ist der wahre Outlaw. „Ich finde nicht alles schlecht, was die Ampel macht“ – das auf einem Dorffest laut auszusprechen, ist heute doch wesentlich gewagter als ein offenes Bekenntnis zur Rechtspartei. Wer darf hier also nichts mehr sagen?

Zusammenstehen aller Demokraten

Keine Frage: Einige Menschen in Politik, Wissenschaft und Journalismus haben die General-Skepsis ihnen gegenüber maßgeblich mitzuverantworten. Und jeder und jede muss hinterfragt und kritisiert werden (dürfen). Davon lebt Demokratie. Doch es braucht ganz dringend einen erneuerten Werte-Konsens, rote Linien hinter denen sich alle Demokraten versammeln können und die wir bereit sind zu verteidigen – von den freien Wählern bis zur Antifa. Dieser Konsens sollte nicht nur in Unternehmensleitbildern auftauchen, sondern auch in der gelebten Praxis – beispielsweise durch demokratische Prozesse, Informationsveranstaltungen oder Bestandteile von Schulungen oder Fortbildungen.

Vorschlag für einen demokratischen Konsens

Folgende Überzeugungen könnten dies unter anderem sein:

  1. Das Grundgesetz ist nicht verhandelbar, außer mit einer Zweidrittelmehrheit.
  2. Die Demokratie ist das beste aller politischen Systeme und benötigt Schutz.
  3. Es gibt immer Alternativen zu rechtsextremen Parteien.
  4. Kritik ist wertvoll, ein Angriff auf Menschen, die Verantwortung tragen, nicht .
  5. Es gibt keine „gefühlte Wahrheit“ und keine „alternativen Fakten“.
  6. Wir müssen lernen, Komplexität und Ambiguität auszuhalten, die Zeit einfacher Antworten ist vorbei.
  7. Korrekturen sind kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck eines Lernprozesses.
  8. Menschen, die in Politik, Wissenschaft und Journalismus arbeiten, sind nicht unsere Feinde – ihre Feinde sind unsere Feinde.
  9. Fortschritt braucht Debatten – und diese brauchen das Vermögen, sich zuzuhören, aufeinander einzugehen und auch mal das bessere Argument anzunehmen.
  10. Streit gehört zur Demokratie – sich entschuldigen und vertragen auch.

 

Demokratische Tugenden üben

Alleine in diesen hier nur beispielhaft und unvollständig aufgeführten Grundüberzeugungen stecken schon Verhaltensweisen, die weder in TV Talk Shows noch im Arbeitsalltag gelebt werden. Und genau das ist Teil des Problems. Demokratische Tugenden müssen geübt und gelebt werden. Und hierfür braucht es alle, besonders Unternehmen – und als verantwortliche Funktion darin: HR. Denn Organisationen sind nicht nur der Wertschöpfung verpflichtet, sondern auch der Gesellschaft, die es ihnen überhaupt ermöglicht, diese zu erbringen. Unsere wirtschaftliche Prosperität entsteht nicht im luftleeren Raum. Sie fußt auf einer freiheitlichen, rechtsstaatlichen und pluralen Demokratie. Demokratische Werte sind Grundlage guten Zusammenarbeitens. Innovation, Transformation und Welthandel brauchen Vielfalt, Gedankenfreiheit und die Verfügbarkeit von Exzellenz, die nur ein globaler Talent-Pool ermöglicht. Und als Exportweltmeister sind wir auf sehr diverse Absatzmärkte angewiesen.

Wie HR die Demokratie stärken kann

Was können Unternehmen, was kann HR also tun, um die Demokratie zu stärken? Auf diese Frage muss jede Organisation individuelle Antworten finden. Hier aber mal ein paar Ideen als Inspiration:

  • Initiieren Sie regelmäßige Austausch-Formate, unter Mitarbeitenden, aber auch zwischen Mitarbeitenden und demokratischen Akteuren aus Politik, Journalismus und Wissenschaft.
  • Binden Sie gegebenenfalls in größeren Diskussionsforen Menschen ein, die das Gespräch moderieren, die die richtigen Fragen stellen und idealerweise Fehlinformationen aufdecken.
  • Organisieren Sie Informationsveranstaltungen zur Vermittlung demokratischer Werte oder lassen sie diese in Fortbildungen einfließen.
  • Ermöglichen Sie die Bildung von Themen- oder Interessengruppen, die sich selbstorganisiert regelmäßig austauschen oder Initiativen/Projekte umsetzen möchten.
  • Lassen Sie, wo möglich, Mitarbeitende an betrieblicher Lösungsfindung teilhaben.
  • Erarbeiten Sie mit Ihren Beschäftigten Regeln für die Debattenkultur.
  • Veranstalten Sie Betriebsausflüge zu Orten an denen Politik gemacht wird oder Politik und Geschichte geschrieben wurde – auch die dunklen Kapitel.
  • Teilen Sie in ihren internen Kommunikationskanälen parteiunabhängige, politische Informationen und beziehen Sie dort Stellung, wo Grundwerte verletzt werden.
  • Suchen Sie den Austausch mit demokratischen Akteuren vor Ort und mit Organisationen, die sich für Demokratie stark machen.
  • Üben Sie sich aber auch als Unternehmen in einer respektvollen Kommunikation gegenüber demokratischen Akteuren: Führungskräfte, aber auch Unternehmen und ihre Lobbyisten sollten bei allem Groll über manch Entscheidung unbedingt darauf achten, das Ansehen ganzer Gruppen, wie das von Politikerinnen und Politikern nicht zu beschädigen.

Nie wieder ist jetzt.

Stellen Sie sich also jetzt die Frage, wie ihr demokratischer Beitrag als Unternehmen aussehen kann – im Sinne eines „Corporate Citizen“ für die Gesellschaft, aber auch in eigenem Interesse: Viele der hier genannten Maßnahmen sind nicht nur ein Beitrag zum Gemeinwohl, sondern zahlen potenziell auch auf den Unternehmenserfolg ein (zum Beispiel besseres Verhältnis zu Politik, Presse und NGOs sowie eine demokratische Debatten- bzw. Verhandlungskultur).

Lassen Sie uns also gemeinsam dafür kämpfen, dass das System, das uns über die letzten knapp 80 Jahre ein stabiles Fundament für Frieden und Wohlstand geboten hat, nicht von rückwärtsgewandten Menschenfeinden kaputt gemacht wird. Und stärken wir dadurch auch uns selbst als lebendige Organisationen. Wir haben es in der Hand. Wenn wir jetzt nicht handeln, wird uns das in allen Bereichen des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Zusammenlebens teuer zu stehen kommen. Also: Nie wieder ist jetzt.

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Constantin Härthe

Constantin Härthe ist Senior Manager PR & Online Marketing bei der HKP Group. Neben dieser  Kommunikationsrolle im Themenspektrum HR und Corporate Governance meldet sich der studierte Medienwissenschaftler auch mit eigenen Perspektiven auf Kommunikation und HR zu Wort – und bleibt damit seinem journalistischen Hintergrund treu. Zuvor war er für Agenturen und einen Wirtschafts-Think Tank tätig sowie Redakteur bei einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender.

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