Gerade in einer digitalen Arbeits- und Wirtschaftswelt liegt die Zukunft des Personalmanagements in der Kultur- und Organisationsentwicklung. HR muss sich als Vernetzer verstehen und Personalarbeit zusammen mit Führungskräften und Mitarbeitern gestalten.
Im Mai dieses Jahres veröffentlichte Sabine Kluge, Global Program Manager Learning and Development bei Siemens, einen bemerkenswerten Artikel auf LinkedIn zum Thema Social Learning, der enorme Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie beschreibt eine Zeitenwende hinsichtlich des Lernens in der deutschen Wirtschaft. Dabei geht es weniger darum, dass nun alles digital funktioniert, sondern dass tatsächlich ein Abbau von Silos zu beobachten ist. Sabine Kluge meint nicht nur die abnehmende Macht der Wagenburg-Mentalität von Abteilungen und Funktionen. Sondern das Erstaunlichere ist der Austausch über Unternehmensgrenzen hinweg – häufig selbstorganisiert, ohne offizielles Mandat. „Dass Mitarbeiter in Unternehmen und über Unternehmensgrenzen hinweg schon heute ‚barrierefrei’ voneinander und miteinander lernen, auch das deute ich als Zeichen einer neuen Zeit von zunehmend beweglichen, agilen und offenen Unternehmenskulturen“, schreibt sie.
Sabine Kluge nennt einige konkrete Beispiele, wie zum Beispiel die DHL, die einst von „Working Out Loud” gehört hatte und nach Vorschlag von dessen Erfinder John Stepper Kollegen von Telekom, Deutsche Bank und Siemens einlud, um von deren Erfahrungen dazu zu profitieren. Noch heute gibt es ein virtuelles Netzwerk, in dem der Austausch stattfindet.
„Working out Loud“ liegt im Trend
Die Working-out-Loud-Bewegung, die durch die Unternehmenswelt schwappt, ist ein schönes Beispiel dafür, dass die Lust zum Austausch groß ist und die Abschottungsmentalität zu Ende zu gehen scheint. Die Entwicklung macht allerdings auch gewisse Kompetenzen notwendig, insbesondere die Bereitschaft sich zu verändern und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Das wiederum heißt: anschlussfähig sein, andere in ihrer Andersartigkeit respektieren und aktiv zuhören.
Imponierend ist in diesen Tagen ebenfalls der MOOCathon zum Thema Corporate Learning 2025, den die Corporate Learning Community veranstaltet und der noch bis September läuft. Unternehmen wie Bosch, Audi oder Otto Bock beteiligen sich daran und geben Einblicke, wie sie Learning und Development im digitalen Zeitalter gestalten. Die Inhalte dazu können in Form von Blog-Beiträgen, Podcasts oder Videos abgerufen – und vor allem diskutiert werden. Früher wäre das ein Entlassungsgrund in Konzernen gewesen, wenn solche Inhalte an die Öffentlichkeit gekommen wären.
Bei all diesem grenzenüberschreitenden Austausch geht es eben nicht mehr (nur) – wie früher auf Tagungen – um das Abfeiern von Best-Practice-Fällen, sondern zunehmend um echte Einblicke, offenen Austausch, ehrliche Zusammenarbeit zwischen Menschen und dies auch mit dem Eingeständnis: „Ich weiß das auch nicht besser.” Beim HRpepper-Hoffest diskutierten Bosch-Vertreter mit anderen Teilgebern über Vergütung in selbstorganisierten Teams. Sie stehen da nämlich vor einer großen Herausforderung und haben auch noch nicht den Weisheits letzten Schluss gefunden. Und sie haben keine Probleme das zuzugeben.
Das beschleunigte Leben mit seiner wachsenden Komplexität lässt sich anders nicht mehr meistern als mit Zusammenarbeit – und wenn es sein muss, findet sich Unterstützung außerhalb des eigenen Unternehmens. Erst die sozialen Netzwerke haben diese Beziehungen in dieser Dimension möglich gemacht. Transparenz und Vernetzung haben sie um ein Vielfaches erhöht.
Die vernetzte Welt ist eine große Chance für HR
Für die Personalmanager ist dieses Zeitalter der Vernetzung eine große Chance, eine Chance auch in den schwierigen Zeiten, in denen die Entwicklungen in großen Schritten voranschreiten, eine wichtige Rolle zu spielen. Sie sollten sich jedoch nicht nur selbst vernetzen, intern und extern. Sondern auch selbst zum Gestalter von Vernetzung werden.
Denn es braucht in jedem Unternehmen jemanden, der sich für das Thema Vernetzung verantwortlich fühlt. Dafür zu sorgen, dass Menschen im Unternehmen zusammenkommen, sich einbringen wollen, ihre Individualität, um gemeinsam etwas zu erreichen. Collaboration lässt sich aber nicht erzwingen. Man kann nur Bedingungen schaffen, dass die Menschen sich freiwillig und gerne zusammentun, um zu einem gemeinsamen Ziel zu gelangen. Damit geht es letztlich um die Förderung der kollektiven Intelligenz – auf struktureller, technischer und kultureller Ebene. Wer, wen nicht das Personalmanagement, könnte hier der Treiber sein: HR als Förderer von hierarchie- und bereichsübergreifender Zusammenarbeit.
Leider sind die Personaler häufig noch das Gegenteil. Denn bislang hat HR eher das Trennende fokussiert als das Gemeinsame. Vergütungssysteme, Talent Management, Mitarbeitergespräche sind in der Regel auf die individuelle Leistungserbringung beschränkt. Wobei ein Wettbewerbsklima unter Mitarbeitern mindestens in Kauf genommen, wenn nicht gar gefördert wird. Forced Distribution beziehungsweise Forced Ranking im Rahmen von Beurteilungssystemen sind dafür Paradebeispiele. Der erste Schritt für das Personalmanagement wäre also, die eigenen Instrumente und Prozesse dahingehend zu überprüfen, ob sie Zusammenarbeit nicht doch eher erschweren.
Instrumente und ein Denken, die die Abschottung honorieren, haben in den meisten Unternehmen keine Zukunft und führen auch HR in die Sackgasse. Stattdessen sollte es sich insbesondere in dynamischen Unternehmen auf die Kultur- und Organisationsentwicklung konzentrieren. Ich sehe drei Trends hinsichtlich der Rolle der Personalmanager:
Drei Thesen zur Zukunft von HR
Personalmanager müssen Kulturgestalter und Vernetzer sein!
Die Digitalisierung führt dazu, dass Unternehmen sich zunehmend mit Wettbewerbern auseinandersetzen müssen, die ursprünglich aus anderen Branchen kommen. Und zu diesem Wettbewerb gehört auch der Kampf um dieselben Top-Talente. Die Unternehmenskultur kann dabei den entscheidenden Unterschied machen. In einer wissensbasierten Gesellschaft werden diejenigen vorne sein, die eine Kultur pflegen, in der sich Führungskräfte und Mitarbeiter wohlfühlen, in der es möglich ist, sich einzubringen, zu gestalten und sich zu entwickeln, in der es ein Wir-Gefühl und eine Identifikation mit dem Unternehmen gibt.
Eine starke Kultur, die aber gleichzeitig bereit ist, Impulse von außen aufzunehmen und sich zu wandeln, ist heute der wichtigste Erfolgsfaktor. Die Kultur zeigt sich im täglichen Handeln, im Umgang miteinander und in der (nicht) vorhandenen Bereitschaft zusammenzuarbeiten. Es muss im Unternehmen Menschen geben, die sich für eine solche Kultur verantwortlich fühlen, die sie vorantreiben wollen, die den Mut haben, sich für sie einzusetzen: die Personalmanager. Das heißt auch, Bedingungen zu schaffen, die eine effektive Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern und unterschiedlichen Bereichen möglich macht. Was die Personalmanager dabei antreiben sollte, ist die Einsicht, dass die kollektive Intelligenz der Intelligenz des Einzelnen beim Lösen komplexer Probleme überlegen ist. Deswegen verstehen sich die Personalmanager als Vernetzer. Die Vernetzung ist eine Frage von Strukturen und Technologie – aber vor allem eine der Kultur.
Personalmanager müssen sich auch als Organisationsentwickler verstehen!
Heute unterliegen Führung, Arbeitsprozesse und Organisationsstrukturen einer ungeheuren Dynamik, weil der Markt in der Regel den Takt vorgibt. Wer sich also um das Thema Zusammenarbeit beziehungsweise Vernetzung kümmern will, die im Dienste des Kunden und damit des eigenen Unternehmens stattfinden soll, muss sich auch damit auseinandersetzen, wie Arbeit im Sinne der Wertschöpfung bestmöglich gestaltet werden kann. Und immer wieder müssen neue Antworten gefunden werden. Wo braucht es ein Projektteam? Macht eine agile Arbeitsweise Sinn? Welche Methode? Wie sollte ein Team zusammengesetzt sein? Wie kann das Team effizienter werden? Welche Teams sollten enger zusammenarbeiten für eine bessere Befriedigung der Kundenwünsche? Personalmanager müssen sich auf die Suche nach Antworten auf solche Fragen begeben. Ohnehin kann kaum ein klassisches Personalthema heute ohne den Blick auf Organisationsentwicklung angegangen werden. Führungskräfteentwicklung ohne auf das Organisationssystem zu schauen, ist witzlos.
Personalmanager sollten Lust haben, Probleme zu lösen, und das Business verstehen!
Die Forderung an die Personalmanager, das eigene Firmengeschäft zu verstehen, ist nicht neu. Doch immer noch gibt es zu viele, die sich Maßnahmen ausdenken, die keinen Beitrag zum Business-Erfolg leisten, einfach weil sie zu weit weg sind vom Geschäft. Kenntnisse zu den Produkten und zum Business werden für das Personalmanagement immer wichtiger, weil es tendenziell mehr vom Rand des Unternehmens in die Mitte rücken wird. Wegducken geht nicht mehr. Vor allem nicht, wenn es als Partner der Fachbereiche eine echte Unterstützung sein will und nicht nur ein Dienstleister, der den Verwaltungskram abarbeitet. Es gilt, sich mit den Trends und Herausforderungen auseinanderzusetzen, denen sich das Unternehmen und die gesamte Branche gegenübersehen. Erst auf dieser Basis sollten die People Manager Angebote machen. Es hilft, sich dabei als Problemlöser zu verstehen: Welche (zukünftigen) Probleme müssen die Führungskräfte, Mitarbeiter und Teams lösen? Und welches konkrete Problem kann mein Angebot bearbeiten? Personalmanager sollten also nicht zuerst auf ihren Instrumentenkasten schauen, um das vermeintliche passende Werkzeug hervorzuholen. Sondern sie müssen Probleme als Ausgangspunkt nehmen und sich fragen: Was kann ich zur Lösung beitragen? Dazu braucht es allerdings auch die Leidenschaft und den Spaß an Problemen.