Einst war Christian Stenz Top-Manager bei Axel Springer. Heute ist er Priesteramtsanwärter. Ein merkwürdiger Wechsel? Nicht für ihn. Denn es hat immer auch „die andere Seite“ in ihm gegeben. Ein Porträt.
Man möchte meinen, der Kontrast könnte größer nicht sein. Gerade einmal sechs Jahre ist es her, dass Christian Stenz als Konzernpersonalleiter bei Axel Springer für gut 8.000 Mitarbeiter die Verantwortung trug. 90 Kollegen standen ihm dabei zur Seite und sein Büro in der 18. Etage des Springer-Hochhauses gewährte ihm einen Blick über die Bundeshauptstadt, wie ihn sicherlich nur wenige täglich genießen dürfen.
Heute ist sein Wohnzimmer sein Büro. Rund zwölf Quadratmeter stehen ihm im Pfarrhaus von Rheine zur Verfügung, in dem er zusammen mit seinem Ausbilder und einem jungen Priester aus Indien wohnt. „Mein Büro bei Axel Springer war schon ein paar Quadratzentimeter größer“, sagt der 51-Jährige und lacht. Im Mai ist er zum Diakon geweiht worden.
Auch heute beginnt der Tag für ihn mit der Laudes, dem Morgengebet, in der Krypta der Pfarrkirche. Vier weitere Gebete werden noch folgen. Als Diakon darf Christian Stenz Beerdigungen, Taufen und auch Trauungen vollziehen. Alle Sakramente kann er jedoch erst spenden, wenn er zum Priester geweiht ist. Am nächsten Pfingstsonntag soll es soweit sein.
Wäre er dem Beispiel seines Vaters und dem seines Großvaters gefolgt, so wäre er wohl zu BASF gegangen. Der Chemieriese war als Arbeitgeber allgegenwärtig in Ludwigshafen am Rhein, wo er zusammen mit seinem jüngeren Bruder aufgewachsen ist. So richtig ein Thema war das dennoch nie. Es sollte Jura werden, sicherlich auch, weil das Studienfach eine große Bandbreite an Möglichkeiten bot. Denn wirklich sicher, wohin es gehen sollte, war Christian Stenz sich nicht. Nicht nur Richter und Anwalt hätte er sich vorstellen können, sondern auch den diplomatischen Dienst. Diese Unsicherheit hielt bis zu einem Praktikum in einer Personalabteilung während des Studiums – natürlich dann doch bei BASF. Noch sicherer wurde Christian Stenz dann, als er seine Wahlstation während des Referendariats in der Personalabteilung des Berliner Verlages absolvierte.
Mitten in seinen Überlegungen, wie es nach dem zweiten Staatsexamen 1992 weitergehen sollte, meldete sich Gruner + Jahr bei ihm. Das Verlagshaus, zu dem auch der Berliner Verlag gehörte, hatte die Druckerei des Neuen Deutschlands übernommen und sie suchten jemanden, der als Assistent der Geschäftsführung bei der Sanierung hilft. „Ich habe mir dann gesagt, im Westen Anwalt werden, das kannst du auch noch in 20 Jahren, aber nach Ostberlin zu gehen, mittendrin zu sein, wo historische Dinge geschehen, das machst du jetzt.“ Nun war der Weg klar.
Rückkehr in bekannte Gefilde
Die Druckerei war gewissermaßen sein Gesellenstück. Die nächste Aufgabe glich einer Meisterprüfung. Er sollte die Personalleitung der Dresdener Druck und Verlagshaus GmbH übernehmen – Personalverantwortung für mehr als 700 Mitarbeiter, als 30-Jähriger. „Es ging dabei nicht nur um Sanierung, sondern auch darum, aus einer Kaderabteilung, wie das im DDR-Jargon hieß, eine moderne Personalabteilung zu machen.“ Vieles, was man als Personaler in dem Alter eigentlich noch nicht erlebt. „Es war natürlich auch eine Chance, entsprechend Verantwortung übertragen zu bekommen, wenn man bereit war, in den Osten zu gehen.“
Zweieinhalb Jahre blieb er, bevor er als Bereichsleiter Personal und Recht wieder zum Berliner Verlag wechselte. Aus 700 Mitarbeitern wurden 1.000 und schließlich 10.000, als Christian Stenz sich von einem Headhunter für Sanofi-Synthelabo abwerben ließ. Der Pharmakonzern steckte gerade mitten in der Fusion mit Aventis – Umstände die Stenz hochspannend fand. Bevor er 2006 das Unternehmen Richtung Axel Springer verließ, war er für die Region Asia-Pacific und damit für die Personalpolitik in 14 Ländern verantwortlich.
Der Start bei Axel Springer war fast wie eine Rückkehr in bekannte Gefilde für den Ludwigshafener. Matthias Döpfner kannte er aus der Zeit bei Gruner + Jahr. Auch bei dem Verlagshaus hatte Stenz eine bewegte Zeit. Am markantesten war wohl der Umzug der Bild-Gruppe von Hamburg nach Berlin. Eine Willensentscheidung des Vorstandes, die Christian Stenz personalpolitisch erfolgreich begleitet hat.
Und doch war auf einmal Schluss. „Ja, für Außenstehende muss es tatsächlich so gewirkt haben. Für mich weniger, aber es hört sich schon ein bisschen absurd an, für einen, der beruflich eigentlich alles erreicht hat. Aber es gab immer auch die andere Seite in mir“, erzählt er. Dem finalen Schritt gingen Jahre der Überlegung voraus. Der Glaube war für Christian Stenz vor allem durch seine Familie schon immer selbstverständlicher Teil seines Lebens gewesen, und der Gedanke, Priester zu werden, auch in der Jugend kein ferner. „Ich habe es eben nur nicht gemacht, aus tausend verschiedenen Gründen. Doch dann hat sich das wieder gemeldet.“ Um herauszufinden, ob da mehr ist oder doch nur eine Midlife-Crisis, hat er das Gespräch mit einem Berliner Benediktiner gesucht. Der riet ihm, sich eine Auszeit zu gönnen. „Ich habe dann das gemacht, was Manager so tun. Stille Tage im Kloster und wieder voll ins Geschäft“, sagt er. Einige Jahre ging das so, immer ein paar Tage lang. Und irgendwann war dann klar, da war tatsächlich mehr.
Der Absprung war beschlossen und seine erste Station war jene Benediktiner-Abtei in Gerleve, in der er vorher schon zu Besuch war. Dort zu bleiben war nicht ausgeschlossen. „Aber es hat sich dann auch schnell wieder meine aktivere Seite gemeldet, die auch sehr durch meinen ehemaligen Beruf geprägt war“, erläutert er. Ein Leben als Ordensmann wäre ihm zu eng gewesen.
Seit Juni 2009 nun ist Christian Stenz Priesteramtskandidat des Bistums Münster – ein zweites Studium eingeschlossen, diesmal Theologie. Der Wechsel in den Hörsaal fiel ihm dabei nicht sonderlich schwer. „Wer in verantwortlicher Position Personal macht, der weiß, dass das nicht nur Freude, sondern auch eine ganz schöne Last sein kann. Und ich habe es wirklich sehr genossen, dass ich einmal nicht Personaldirektor Dr. Stenz war, sondern einfach nur Kommilitone Christian“, sagt er.
Gelassen an die Aufgabe
Es gibt immer mehr Männer, die erst vergleichsweise spät diesen Weg gehen. Und das ist für die Kirche durchaus von Vorteil, meint Christian Stenz, weil es ihr hilft, das Verständnis für die Menschen außerhalb der Kirchen- und Klostermauern zu bewahren, wenn sie Priester in ihren Reihen hat, die ihr Leben gelebt haben. Für Christian Stenz selbst war der späte Weg der richtige. Davon ist er überzeugt. „Ich kann jetzt wesentlich gelassener diese Aufgabe angehen, als wenn ich das als junger Mann getan hätte, der dann irgendwann vielleicht denkt, etwas im Leben versäumt zu haben.“
Ob ihm seine Managementfähigkeiten nutzen werden? Mitunter, denn auch Pfarreien werden immer größer, wollen auch in administrativen Dingen professionell geführt werden. Und dennoch sind sie weit von Unternehmen entfernt. Nicht nur, weil ein Großteil derer, die sich in der Kirche engagieren, dies ehrenamtlich tut. „Bei uns steht immer die Botschaft Christi und der Mensch im Mittelpunkt. Und alles, was dem dient, ist richtig, alles, was dem widerspricht, muss man meiden.“
Bei Christian Stenz ist weder etwas von klerikaler Verschlossenheit noch von Management-Pathos zu spüren. Jeder seiner Sätze wirkt durchdacht. Nur zu einer Frage fällt ihm partout nichts ein: Ob er etwas vermisse aus seinem früheren Leben.