Die Macht der Worte

Employer Branding

Geschichten sagen manchmal mehr als Zahlen. Deshalb setzen Unternehmen zunehmend auf „Storytelling“, um Erfahrungen zu sichern, Werte zu identifizieren oder einfach besser zu kommunizieren.

Beim Bau einer Werkhalle kann vieles gut laufen, aber auch einiges schief gehen. Ist das Projekt beendet, haben der Leiter und sein Team Erfahrungen gesammelt, die auch für Folgeprojekte nützlich sein könnten. Weil diese mitunter von neuen Kollegen geleitet werden, lohnt es sich, die Erfahrungen zu sichern. Zahlen lassen sich leicht abspeichern. Doch was ist mit dem Wissen, das in den Köpfen der Kollegen schlummert und sich nicht mit Datenbanken oder trockenen Fragebögen herauskitzeln lässt?

Stefan Lange, leitender Ingenieur beim Münchner Triebwerkshersteller MTU Aero Engines, und seine Kollegen standen vor genau dem Problem und entschieden sich für eine unkonventionelle Projektnachbereitung: das Geschichtenerzählen. So simpel lässt sich der Name der aus den USA stammenden Methode „Storytelling“ übersetzen. Christine Erlach und Karin Thier von Narrata Consult wenden sie seit Ende der 1990er Jahre an und bezeichnen sich hierzulande als „Pioniere“. Sie gehen in Firmen, führen Interviews und bereiten das Wissen auf.

Was dabei herauskommt, ist unterschiedlich. „Das kann ein klassischer Erfahrungsbericht mit Zitaten von Mitarbeitern sein“, sagt Thier. Möglich sei aber auch ein Comic mit den Themen, die zukünftige Projektleiter oder Führungskräfte im Auge haben sollten. Aber auch ein kleines Video oder eine nüchterne Beschreibung seien denkbar.

Botschaften in einem Comic

 

Hauptprojektleiter Stefan Lange und Kollegen erzählten den Interviewern von ihren Erfahrungen mit Führungsstil, Kooperation, Rollenverteilung und Wertschätzung während des Hallenbaus. Die wichtigsten Botschaften aus mehreren Interviewstunden finden sich jetzt in einem etwa 15-seitigen Comic mit kurzen Texten wieder. „So etwas liest man lieber als eine 100-seitige Dokumentation“, sagt Lange, der begeistert ist von der Methode, weil sie die Erfahrungen so komprimiert und anonym speichere. Der Comic, der in Schulungen eingesetzt werde, zeige künftigen Projektleitern, worauf sie achten müssten.

Der Begriff „Storytelling“ kursiert derzeit in vielen Unternehmen. Dahinter verbergen sich unterschiedliche Ansätze und Methoden. Zwei Richtungen lassen sich unterscheiden: Zum einen werden Erzählungen von Mitarbeitern genutzt, um Wissen, Werte und Abläufe zu analysieren oder zu sichern. Zum anderen ist der Begriff im engsten Sinne zu verstehen: Führungskräfte und Kommunikationsabteilungen nutzen Geschichten, um Unternehmensziele und Leitbilder eingängiger zu vermitteln oder auch Produkte zu bewerben.

Die Regensburger Firma System + Kommunikation, der zweite größere Anbieter von narrativen Methoden, nutzt Storytelling seit Jahren als Analyse-Tool für Denkstrukturen in Unternehmen. „In einer Organisation gibt es immer blinde Flecken. Man kann nicht alles sehen und oft nicht begreifen, nach welchen Spielregeln agiert wird“, sagt Kommunikationsfachmann Hermann Sottong. Lasse man etwa 20 bis 30 Leute ihre Geschichte erzählen, erfahre man, wie sie die Welt des Unternehmens sehen. „Nur wenn ich weiß, wie jemand die Realität wahrnimmt, kann ich verstehen, warum er so handelt“, betont Sottong. Führungskräfte seien oft völlig überrascht darüber, wie die Kollegen tickten. „Sie verstehen ihre Umwelt plötzlich besser und sehen, welche Barrieren sie abbauen müssten, damit es besser läuft.“

Sottong und Kollegen erstellen für die Firmen Studien, in denen sie auch die Strukturen aus Theorie und Praxis gegenüberstellen. Da kann ein Organigramm völlig anders aussehen als die wahren Abläufe und Gruppierungen. Mit SAP-Daten lasse sich dieses Wissen nicht erfassen, sagt Sottong.

Kommunikation erleichtern

 

Darüber hinaus lassen sich die Erzählungen auch für das Employer Branding nutzen. Ihre Firma habe einem Lebensmittelhersteller nach vielen Zukäufen geholfen, gemeinsame Werte der Mitarbeiter zu finden, erzählt Thier. „Im Führungskräftekreis hatte man begonnen, Leitlinien zu entwickeln. Da gab es eine kleine Revolte von Kollegen, die eingebunden werden wollten.“ Interviews hätten Werte zutage gefördert, mit denen sich alle identifizierten. Diese seien dann in das neue Leitbild eingeflossen.
Storytelling im engen Sinne kann Führungskräften auch die Kommunikation erleichtern, haben Forscher der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden festgestellt. „Die Manager sollen nicht von Hänsel und Gretel erzählen“, betont EBS-Projektleiterin Rixa Kroehl. Fakten spielten bei Vorträgen eine wichtige Rolle. „Aber wenn ich erkläre, welches die Ziele sind, ist es gut, auch eine kleine Geschichte mit einfließen zu lassen, etwa einen Erfahrungsbericht von erfolgreichen Menschen.“

Mit Geschichten Veränderungsprozesse einleiten und begleiten

 

„Eine gute Geschichte, die Emotionen weckt, ist kraftvoller als Parolen wie ‚Wir wollen Marktführer werden!’ und sie wird gern weitererzählt“, bestätigt auch Michael Pohl. Er bietet Trainings und Workshops zu „Storytelling & Leadership“ an. Mit einer guten Geschichte ließen sich auch Veränderungsprozesse einleiten oder begleiten. Eine Geschichte müsse dabei mögliche Widerstände aufnehmen, aber auch das Ziel im Auge behalten, betont er. Die Entwicklung einer Geschichte habe einen positiven Nebeneffekt: „Ich bin gezwungen, erst einmal zu denken, bevor ich rede. Das ist schon eine Disziplinierungsmaßnahme, die viele so nicht mehr gewöhnt sind“, sagt Pohl.

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Anja Sokolow

Anja Sokolow

Journalistin

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