In or Out

Employer Branding

Für Joachim Diercks ist gutes Recruiting auch eine Frage der Grundhaltung: Sehen wir Bewerber als Bittsteller oder auf Augenhöhe? Was alles damit zusammenhängt, erklärt der Recruiting-Experte im Interview.

Herr Diercks, von allen HR-Themen scheint mir Recruiting dasjenige zu sein, das die meisten Personaler am spannendsten finden. Was ist Ihrer Ansicht nach eigentlich so faszinierend an diesem HR-Bereich?
Ich denke, dass das daran liegt, dass Recruiting zwar eine unheimliche komplexe Sache ist, die aber am Schluss immer auf eine sehr simple Entscheidung hinausläuft: In or Out. Ich persönlich finde, dass es an der Zeit ist, die teilweise noch strikte Trennung der Disziplinen Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting aufzubrechen, sowohl in der Sache an sich, als auch organisatorisch. Diese Themen gehören zusammen. Je klarer das Bild ist, dass Employer Branding und Personalmarketing vom Unternehmen kreieren, desto leichter hat es das Recruiting beziehungsweise desto besser wird auch die Auswahlentscheidung ausfallen. Auf der anderen Seite sollte sich Recruiting auch nicht als reiner „Verwalter des Auswahlprozesses“, sondern als maßgeblichen Berührungspunkt zum Kandidaten – und damit als Teil der Employer Brand – verstehen. Stichwort: Candidate Experience.

Momentan wird viel über den Kulturwandel in den Unternehmen diskutiert. Ein Begriff, der den Wandel auf einen Nenner bringt, ist zum Beispiel „Augenhöhe“. Haben wir die im Recruiting beziehungsweise im Bewerbungsprozess?
Tja, ich bin von Haus aus Optimist. Was zu beobachten ist, ist, dass der Trend ganz klar in diese Richtung geht und bei vielen Unternehmen das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Authentizität und Augenhöhe gestiegen ist. Aber in Summe ist da doch noch ein gehöriges Stück Weg zu gehen. Es gibt immer noch unheimlich viele Beispiele, wo das Unternehmen zwar auf der einen Seite über Fachkräftemangel jammert, auf der anderen Seite aber seine Prozesse so gestaltet, dass man als Bewerber schon entweder hartgesotten oder schlicht verzweifelt sein muss, um nicht entmutigt aufzugeben. Ich plädiere dafür, Mitarbeitergewinnung viel stärker im Sinne einer partnerschaftlichen Beziehungsanbahnung zu sehen. Gewinnung beinhaltet ja eben auch, den anderen „für sich zu gewinnen“ und das geht nur auf Augenhöhe.

Wie zeigt sich Augenhöhe im Recruiting?
In den letzten Jahren wurde zum Beispiel viel über „möglichst authentische“ Testimonials als Element der Arbeitgeberkommunikation oder die Frage, ob man auf der Facebook-Seite duzen darf, diskutiert. Klar, diese Fragen sind alle richtig und sinnvoll. Ich glaube aber, dass Augenhöhe letztlich viel mehr davon abhängt, ganz basale Grundtugenden wie Freundlichkeit, Verlässlichkeit und entgegengebrachte Wertschätzung zu beherzigen. Wenn etwa einem Kandidaten kommuniziert wird „Wir melden uns nächsten Freitag“ und dann hört er drei Wochen nichts und bei zaghafter Nachfrage nach dem Stand der Bewerbung heißt es dann (sinngemäß) „nerven Sie nicht, diese Dinge brauchen ihre Zeit“, dann kann man noch so tolle Testimonial-Videos auf der Karriere-Website haben, dieser Kandidat wird nicht begeistert sein. Augenhöhe zeigt sich auch in Prozessen, vor allem aber ist es eine Frage der Grundhaltung: Sehen wir Bewerber als Bittsteller oder sehen wir sie auf Augenhöhe?

Sie beschäftigen sich unter anderem viel mit dem Thema Ausbildungsmarketing. Wie verbreitet ist eigentlich ein Personalmarketing mit der spezifischen Zielgruppe der Azubis in der deutschen Wirtschaftslandschaft?
Aus meiner Sicht ist das der Bereich mit der größten Dynamik überhaupt. In vielen Unternehmen gab es bis vor einigen Jahren eigentlich gar kein wirkliches Ausbildungsmarketing. Das hat sich beziehungsweise ist dabei, sich dramatisch zu verändern. Das hängt natürlich mit demografischem Wandel, gut laufender Konjunktur und Effekten wie dem offensichtlichen Attraktivitätsverlust der betrieblichen dualen Ausbildung und dem Zug zur Akademisierung zusammen. Ich habe das Gefühl, dass viele Unternehmen, aber auch Verbände, Kammern et cetera gemerkt haben, dass sie hier mit Macht gegensteuern müssen, um in Zukunft überhaupt noch annähernd ihre Ausbildungsplätze besetzt zu bekommen. Bei den Konzernen und größeren Mittelständlern, trifft man mittlerweile fast überall auf Strukturen, wo sich jemand explizit mit dem Thema „Ausbildungsmarketing“ befasst. Dabei haben die Großen noch gar nicht so große Sorgen in diesem Bereich. Die Kleinen, das „kloine Hondwerkerle“ an der Ecke, die spüren den Nachwuchsmangel oft schon viel mehr, haben aber natürlich nicht die Ressourcen und das Know-how, Ausbildungsmarketing für ihren Betrieb zu machen.

Die diesjährige Fachtagung „Recruiting 2015“, die Cyquest in Hamburg veranstaltet, hat als Leitthema Orientierung. Warum spielt das im Recruiting-Prozess Ihrer Meinung nach eine große Rolle?
Das ist richtig, wobei wir „Orientierung“ als Leitthema der Tagung nicht nur auf die berufliche Erstorientierung reduzieren, sondern auch Themen wie Umorientierung beziehungsweise Quereinstieg und natürlich die Orientierungsfunktion des Arbeitgebermarketings explizit einschließen. Das Programm richtet sich nicht nur an Berufsberater, sondern auch und vor allem an Employer Branding- und Recruiting-Verantwortliche. Ich glaube, dass Orientierung die zentrale Aufgabe der Arbeitgeberkommunikation in den nächsten Jahren wird, weil auf der einen Seite – den potenziellen Bewerbern – unheimlich viel Orientierungsbedarf besteht. Auf der anderen Seite ist das, was die Unternehmen an Orientierungshilfe anbieten, noch – sagen wir mal – ausbaufähig. Zum Beispiel macht nur ein Bruchteil der Unternehmen Unternehmenswerte zum Inhalt der Arbeitgeberkommunikation und verschenkt dabei die Chance, dass Bewerber vorab für sich überprüfen können, ob sie auch zum Unternehmen passen. Hier können Orientierungshilfen wie Self-Assessments, Erfahrungsberichte, virtuelle Rundgänge oder Blogs schon unheimlich viel bewirken.

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