Sieben Gedanken zu Normalität

Was ist eigentlich normal?

Jede Veränderung beginnt mit einem Gedanken. Hier sind sieben zu Normalität.

1. Was ist eigentlich normal?

Normal ist das, was wir kennen. Was einer Norm folgt, die wir als solche erkennen. Eine Verhaltensweise, die einem gewohnten Bild oder Muster entspricht und das erfüllt, was wir erwarten. In Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie schreiben wir der Normalität allerdings eine eigenartige Ambivalenz zu. Sie ist wenig begehrt, weil sie vermeintlich unauffällig ist und selbstverständlich wenig Raum für Veränderung oder Innovation bietet. Gleichzeitig ist sie in Zeiten brüchiger und unsicherer Referenzrahmen eine fast selten gewordene Zuschreibung für Sicherheit und berechenbarer Stabilität.

2. Gewohnte Normalitäten

Damit wird Normalität zu einem Begriff, der sich verändert, je nachdem unter welchen Bedingungen wir ihm eine Qualität zuschreiben. In einer unübersichtlichen Realität mit krisenhaften Erschütterungen wandelt sich das Normale von einer alltäglichen Randerscheinung zu einer gewünschten Qualität, die in Zeiten dynamischer Komplexitäten nicht mehr vorauszusetzen, sondern zu gestalten ist. Das Normale ist das Gewohnte, das Vertraute, das, was unter gegebenen Umständen wiederholbar ist und damit zu einer Regel werden kann, der wir aus gutem Grund folgen wollen.

3. Die Routinen des Normalen

Normalität ist also in sozialen Kontexten viel weniger gegeben, sondern das Ergebnis bestimmten menschlichen Verhaltens oder von Überzeugungen, die wir in Form von Denk- und Lebensweisen ausprägen. Normalität lässt sich – anders als in vielen mechanistischen Zusammenhängen oder natürlichen Abläufen – viel weniger auf eindeutige Gründe zurückführen, sondern hat kulturelle Ursprünge oder pragmatische Ursachen, die sich mit historischen Bedingungen, moralischen Vorstellungen oder politischen Neuausrichtungen verändern.

4. Wie normal wollen wir sein?

Es geht also nicht nur darum, was normal ist, sondern was wir zu einer Norm erklären wollen, gerade wenn uns gewohnte Richtlinien, Kriterien und Handlungsweisen immer weniger zur Verfügung stehen. Diese Frage ist kein Krisenphänomen, sondern gehört zu jeder lebendigen Entwicklung sozialer Gemeinschaften dazu. In Transformationskontexten oder dringlichen Entscheidungssituationen aber geht es darum, diese Normen zu überdenken und sich zu fragen, wie das vermeintlich Gewöhnliche in außergewöhnlichen Zeiten neu zu besetzen ist.

5. Auch das Normale ist im Wandel

Normalität beruht auf einem System aus Regeln, Vorstellungen, Glaubenssätzen und Überzeugungen, sie ist also beweglich und Veränderung unterworfen. Um dieses Regelwerk selbst aber als in sich veränderliches Gebilde anzuerkennen, ja als Prozess, dem Richtungswechsel und Irrtümer innewohnen, braucht es offenbar eine neue Perspektive auf das, was die Normalität dynamischer und komplexer macht und damit eben auch soziale Prozesse prägt.

6. Wenn das Normale zum Besonderen wird

Wenn es also in hochdifferenzierten und komplexen Situationen dazu führt, dass das Normale zum Besonderen wird, drehen sich die Verhältnisse auf eigenwillige Weise um und rufen zu einer neuen Perspektive auf. Normalität ist nicht das, was wir vorfinden, von dem wir uns in außergewöhnlicher Weise abzusetzen versuchen, sondern sie ist das, was wir anstreben sollten, wenn wir uns darin üben, einen Diskurs über Diversität und Vielfalt zu führen.

7. Die Kunst der Normalität

Es geht also weniger darum – und das besonders in Zeiten von Unsicherheit, Krise und Wandel –, Normalität als rückständig zu beklagen, sondern für eine Form der Normalität zu sorgen, die uns lehrt, die Brüchigkeit einer Realität auszuhalten und Realität zu gestalten. Eine Realität, die sich dem geregelten Zugriff vielfach entzieht, aber in der Brüchigkeit nicht zwingend zerfällt, sondern neue und andere Normalitäten ermöglicht.

Weitere sieben Gedanken: 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Flexibilität. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Ina Schmidt

Ina Schmidt ist promovierte Kulturwissenschaftlerin, freie Philosophin und Autorin diverser philosophischer Sachbücher. Mit ihrem Unternehmen denkraeume bietet sie Seminare und Vorträge zur Philosophie als Lebenspraxis und Kulturtechnik an. Außerdem engagiert sie sich im Bereich der politischen Bildung.

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