„Eine Frage öffnet einen Raum.“

Interview

Frau Pogatschnigg, Sie haben unter anderem ein Buch über Art of Hosting geschrieben. Was ist das Besondere an diesem Ansatz?

Ilse M. Pogatschnigg: Wir alle wissen eigentlich, auf welche Dinge wir in der Rolle als gute Gastgeberin oder Gastgeber achten sollten, etwa bei einer schönen Einladung oder einer gelungenen Party. Genau diese Elemente lassen sich auch in den beruflichen Kontext und auf Gespräche übertragen, fehlen dort aber oft. In unserem Kopf haben wir eine Trennung zwischen Privat- und Berufsleben geschaffen. Wir denken, dass wir uns am Arbeitsplatz ganz anders benehmen müssen. Das fängt oft schon bei sehr praktischen Dingen an.

Welche zum Beispiel?

Es sind schon diese scheinbar simplen Fragen wie: Haben alle Personen im Meetingraum einen Platz? Ist der Raum gelüftet? Im Grunde geht es darum, dass sich die Menschen in einer Gesprächssituation wohlfühlen. Dass wir sie zu einem Gespräch einladen und Fragen stellen. Nichts ist mühsamer, wie auch auf einer Party, als dass eine Person ununterbrochen von sich erzählt, uns aber nie eine Frage stellt. Das Gespräch ist dann oft schnell zu Ende. Anders ist es, wenn wir Teil eines Gesprächs sind. Das kann uns inspirieren, neue Ideen geben. Dort können wir auch im Beruflichen andocken.

Der Begriff Art of Hosting legt nahe, dass gute Gespräche als Kunstform begriffen werden können. Braucht es dafür ein besonderes Gespür?

Nein. Aber es kann, ähnlich wie bei der Kreativität von Kindern, im Laufe der Zeit ohne Förderung verkümmern. Es gibt selbstverständlich verschiedene Gesprächsstile. Ich denke aber nicht, dass es eine Person gibt, die das überhaupt nicht kann. Oft legen sich Menschen im beruflichen Alltag Masken an, um nicht angreifbar oder verletzlich zu sein. Bei Art of Hosting geht es nicht darum, all seine persönlichen und intimen Probleme im Team auszubreiten. Aber wenn wir unsere beruflichen Masken ablegen, kommen unsere ganz eigenen Noten der Persönlichkeit und Fähigkeiten zum Vorschein.

Warum braucht es diese persönliche Note auch bei beruflichen Gesprächen?

Weil wir so unsere individuelle Perspektive einbringen können. Niemand kann alles sehen oder wissen – das trifft auch auf Organisationen und Führungskräfte zu. Unsere heutige Arbeitswelt ist viel zu komplex, jede Person hat eine eigene Perspektive. Mitarbeitende unterschiedlicher Hierarchien, Vorgesetzte und auch die Kundschaft. All diese Stimmen müssen angehört werden, damit unser Wissen und die Basis für Entscheidungsfindungen viel umfassender und reicher werden können. In Organisationen gibt es so viel Wissen, das darf nicht verloren gehen.

Wie lässt sich diese Gesprächskultur im Arbeitsalltag leben?

Art of Hosting ist kein geschlossenes Konzept. Mitarbeitende und Führungskräfte können sich ganz pragmatisch dieser Sache nähern. Das Einfachste und Grundlegendste ist, eine Frage zu stellen, das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Wir messen Antworten die größte Bedeutung zu, doch das müsste sich zugunsten der Fragen verschieben. Denn oft verwechseln wir Antworten mit Kompetenz. Dabei ist eine Antwort immer ein Endpunkt, eine Frage öffnet einen Raum.

Was macht denn eine gute Frage aus?

Am besten geeignet sind offene Fragen. Diese stoßen Veränderungen an. Daran anschließende Fragen, die sich aus dem Gespräch ergeben, können dann dieses mächtig Verändernde sein. Jede Frage ist dabei besser als keine Frage. Wir sollten uns aber auch der Macht der Fragewörter bewusst werden. Fragen nach dem Warum richten sich in die Vergangenheit, die können wir nicht ändern. Bei Warum-Fragen müssen Menschen Begründungen für ihr Verhalten liefern, fallen manchmal in eine Position des Verteidigens. Wir sollten zwar die Gründe verstehen, unseren Blick aber in die Zukunft richten. Die Frage nach dem Wie kann einen Diskussionsraum weiter öffnen. Wie kann ich zum Beispiel dafür sorgen, dass ein Fehler nicht noch einmal passiert?

Wie kann es Führungskräften gelingen, möglichst viele Perspektiven zu berücksichtigen?

Führungskräfte können nicht alles allein entscheiden, sollten sie idealerweise auch nicht. Dieses Umdenken wäre der erste Schritt. Die Unternehmenshierarchie gibt natürlich einiges vor. Das sollte auch transparent kommuniziert werden. Ein echtes Gespräch sollte immer eine bewusste Einladung sein. Wenn Mitarbeitende wissen, dass ihrem Wort und ihren Sorgen Gehör geschenkt wird, fühlen sie sich wohler. Gleichzeitig können wir es uns nicht leisten, diese Stimmen nicht anzuhören.

Wie meinen Sie das?

Das ist alles ungenutztes Potenzial. Am Ende geht es ebenfalls um wirtschaftliche Belange: Es geht um Geld, Rentabilität, Ideen und Kreativität. All das verschenken wir, wenn wir unseren Mitarbeitenden nicht zuhören. Besonders in Transformations- und Veränderungsprozessen ist Art of Hosting daher sinnvoll und unterstützt.

Inwiefern?

In Zeiten des Umbruchs stehen viele Entscheidungen und Veränderungen an. Mitarbeitende sollten daran direkt partizipieren. Das bringt zwei wesentliche Vorteile: Auf der einen Seite machen die verschiedenen Perspektiven der Mitarbeitenden die Entscheidung reicher, auf der anderen Seite werden sie eine Entscheidung besser mittragen. Sind Menschen an einer Entscheidungsfindung beteiligt, müssen Führungskräfte weniger Überzeugungskraft für Veränderungen aufwenden, denn die Mitarbeitenden wollen dann selbst, dass die Ideen umgesetzt werden. Meist können nicht alle Ideen im Prozess berücksichtigt werden. Am Ende gilt es aber vielmehr, dass Mitarbeitende am Entscheidungstisch saßen, als dass schlussendlich ihre persönlichen Ideen umgesetzt wurden. So werden nachhaltige Entscheidungen getroffen oder Konflikte gelöst.

Welche Auswirkungen hat dies noch auf die Zusammenarbeit im Team?

Offene und tiefgehende Gespräche fördern die Beziehungen im Team und stärken somit auch das Vertrauen. Durch die aktive Beteiligung der Mitarbeitenden lässt sich die gesamte kollektive Intelligenz nutzen. Viele Führungskräfte in meinen Coachings fühlen sich zudem erleichtert, wenn ihnen bewusst wird, dass auf ihren Schultern nicht die alleinige Last der Entscheidungsfindung ruht. Diese Form der Führung benötigt aber auch Mut vonseiten der Führungskräfte und viel Transparenz. Wenn Mitarbeitenden gesagt wird, dass ihre Stimmen angehört und eingebracht werden sollen, muss dieses Versprechen auch eingehalten werden. Oder die Grenzen müssen klar kommuniziert werden.

Wie lässt sich dieser Ansatz konkret in die Tat umsetzen?

„Art of Hosting“ ist ein partizipativer Ansatz. Die Führungskraft schafft dabei den offenen Raum, sie ermutigt. Auch bei auftretenden Konflikten kommt „Art of Hosting“ eine tragende Rolle zu und verfolgt dabei einen sehr positiven und zukunftsgerichteten Ansatz: Es wird gemeinsam nach Lösungen gesucht, wie Mitarbeitende miteinander ihre Beziehungen und ihre Arbeitsweisen nach ihren Bedürfnissen anpassen können. In der hybriden Arbeitswelt sitzt man sich oft nicht mehr persönlich gegenüber.

Funktioniert dieser Ansatz auch remote?

Die Methoden von „Art of Hosting“ lassen sich sowohl im persönlichen Gespräch als auch remote durchführen. Sie sind also auch für eine virtuelle Zusammenarbeit geeignet. Meiner Erfahrung nach funktioniert dabei eine hybride Kombination mit Online Meetings und Vor-Ort-Gespräch am besten. Hat man sich zumindest einmal wirklich gesehen und erlebt, lässt sich auch online die Verbindung aufbauen, die notwendig ist.

Was war für Sie bei Art of Hosting bisher die größte Erkenntnis?

Dass es sich ständig verändert, so wie auch kein Gespräch gleich ist. Und dass es unglaubliche Möglichkeiten bietet, wenn wir uns darauf einlassen.

Über die Gesprächspartnerin:

Ilse M. Pogatschnigg ist Unternehmensberaterin und als Gesprächs- und Prozesshost tätig. Die promovierte Juristin und frühere Journalistin bietet Beratung und Coaching für Gruppen- und Change-Prozesse sowie Führungskräfte-Coaching im Einzelsetting an. Sie ist Autorin von The Art of Hosting. Wie gute Gespräche Führung und Zusammenarbeit verbessern (Vahlen, 2021).

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Miteinander. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Charleen Rethmeyer

Charleen Rethmeyer

Charleen Rethmeyer ist Redakteurin beim Magazin Human Resources Manager. Dort absolvierte sie zuvor ebenfalls ihr Volontariat. Die Berlinerin hat einen Bachelorabschluss in Deutsche Literatur sowie Kunst- und Bildgeschichte und arbeitete mehrere Jahre freiberuflich für mehrere Berliner Verlage. Sie schreibt mit Vorliebe Features und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Zukunft der Arbeitswelt.

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