Digitale Tools können menschlichen Kontakt vorbereiten, aber nicht ersetzen. Erfahren Sie mehr aus einer Studie von „Persoblogger“ Stefan Scheller.
Wenn es wichtig wird, dann zählt auch für „Digital Natives“ der menschliche Kontakt mehr als jedes digitale Tool. Im Recruiting beispielsweise. Das ist eines der Ergebnisse der Studie „Digital Candidate Journey 2019/2020“. Herausgeber ist „Persoblogger“ Stefan Scheller, einer den bekanntesten deutschen HR-Blogger, in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl Marketing & Konsumentenverhalten der Universität Bayreuth sowie der Strategieberatung The Ringsight.
1.Studierende trennen Berufliches und Privates auch online
Die „Digital Natives“ gehören zu den am stärksten gesuchten Zielgruppen im Recruiting. Insbesondere der Bedarf an akademischen Nachwuchskräften ist hoch. Gerade in Zeiten der digitalen Transformation sollen Studierende dabei ihren vermeintlich natürlichen Zugang zu neuen Technologien für Unternehmen nutzbar machen.
Wege zur Ansprache dieser Zielgruppe gibt es viele. Auf den ersten Blick bietet sich der Weg über digitale Kanäle an. Allerdings gibt es nach Aussage der Studienteilnehmer gravierende Unterschiede: Studierende trennen Berufliches und Privates auch online.
Sind Studierende auf den Businessplattformen XING oder LinkedIn aktiv, wollen dort auch 92 Prozent der LinkedIn- und 84 Prozent der XING-Nutzer unter den Befragten von Unternehmen auf Jobs angesprochen werden. Auf Facebook aktive Studierende befürworten eine Ansprache dort nur zu knapp 30 Prozent, auf Instagram sind es etwas über 24 Prozent. Eine Ansprache durch Personaler über SnapChat hingegen bevorzugen nicht einmal 2 Prozent.
2. Chatbots, virtuelle Jobmessen und Videointerviews sind nur mäßig beliebt
Oftmals wird in den Medien der Eindruck vermittelt, Digital Natives wollten ausschließlich über moderne Kommunikationsmittel adressiert werden. Auch Berater empfehlen gerne, die eigene Arbeitgebermarke mit dem Einsatz digitaler Kommunikationsmedien wie Chatbots oder Apps für Videointerviews mit innovativen Attributen aufzuladen.
Die Ergebnisse der Studie zeigen hingegen große Skepsis der Studierenden. So schneidet der Einsatz eines Chatbots in der Recruiting-Kommunikation auf einer Skala von 1 (=gefällt mir überhaupt nicht) bis 7 (=gefällt mir besonders) mit 2,43 weit abgeschlagen ab. Kommt eine menschliche Komponente in der Kommunikation hinzu, wie beim Chat mit Personalern (3,73) oder beim Live Video-Interview via Skype, so erhöhen sich die Werte auf der gleichen Skala bereits deutlich auf immerhin 4,30.
3. Vertrauen und Sympathie sind für die Herausgabe von Kontaktdaten essentiell
In einer zunehmend digitalen Welt mit oftmals lediglich virtuellen Begegnungen zu Beginn der Candidate Journey spielt Vertrauen eine herausragende Rolle. Dies gilt einerseits mit Blick auf den Datenschutz, was die Herausgabe von Kontaktdaten über digitale Formulare betrifft. Aber selbst die Motivation, überhaupt Daten an potentielle Arbeitgeber weiterzugeben, lässt sich vor allem über den Faktor menschliche Sympathie beeinflussen. So nennt ein Drittel der Befragten als Top-Grund für die Datenüberlassung Sympathie für die Unternehmensvertreter, mit denen sie im Kontakt sind. Dies entspricht auf der genannten Skala von 1 bis 7 einem Zustimmungswert von 5,13.
Der Einsatz von Werbegeschenken hingegen, beispielsweise auf studentischen Karrieremessen, erreicht nur einen Wert von 2,54 auf der siebenstufigen Beliebtheitsskala. Das Veranstalten von Gewinnspielen kommt zwar auf einen Wert von 2,93, liegt aber dennoch weit hinter dem Faktor menschlicher Sympathie.
4. Meinung von Freunden und auf Arbeitgeberbewertungsplattformen für Arbeitgeberwahl relevant
Auch an einer weiteren Stelle der Candidate Journey zeigt sich der Einfluss menschlicher Interaktion. Geht es um die Auswahl konkreter Arbeitgeber, legen 58,55 Prozent der Studierenden Wert auf den Ruf des Unternehmens bei Freunden. Rund zwei Drittel holen die Meinung ihrer Freunde bei der Entscheidung sogar aktiv ein.
Darüber hinaus informieren sich 44 Prozent der Studierenden bei der Jobsuche auf Arbeitgeberbewertungsplattformen wie kununu und glassdoor. Unternehmen tun somit gut daran, diese Plattformen für eine Kommunikation mit potentiellen Bewerbern aktiv zu nutzen. Insbesondere sehr persönliche und konkrete Stellungnahmen zu eingehenden Bewertungen bieten große Chancen, um als offener und auch kritikfähiger Arbeitgeber wahrgenommen zu werden.
5. Digitale Kommunikation ist nur Anbahnung einer Kommunikation von Mensch zu Mensch
Die möglicherweise wichtigste Erkenntnis der Digital Candidate Journey Studie auf der Meta-Ebene betrifft die grundlegende Bedeutung des Menschen im Recruiting. Auch oder gerade in Zeiten zunehmender Virtualisierung bleibt der menschliche Kontakt zwischen Unternehmensvertretern und Interessenten sowie angehenden Bewerbern immens wichtig für erfolgreiche Personalgewinnung.
Letztlich dienen die modernen Möglichkeiten digitaler Kommunikation lediglich der Anbahnung einer klassischen Kommunikation von Mensch zu Mensch. Mit Blick auf die Kernfrage der Studie, wie digital Studierende tatsächlich von Unternehmen angesprochen werden wollen, lautet die Antwort: Digital ja, aber mit Bedacht und möglichst individuell mit viel menschlichen Komponenten.
Oder, wie Prof. C. C. Germelmann, Schirmherr der Studie, es formuliert: „Erfolgreiche Arbeitgeber verstehen, dass Studierende zwar offen für digitale Tools im Recruiting sind – aber nur, wenn es dadurch schneller und gezielter zu echten persönlichen Kontakten kommt. Diese Kontakte zahlen dann auf die Employer Brand ein, wenn das Mindset aller am Recruiting beteiligter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter klar marken- und kundenorientiert ist. Hier lohnen sich Investitionen!“
Über die Studie
Im Herbst 2018 startete die erste Stufe der Studie mit einer HR-Experten-Befragung. Schriftliche Interviews mit Personalern aus Unternehmen sowie Recruiting-Kennern der Szene legten die Grundlage für das Design der finalen Studie. Im Zeitraum von Dezember 2018 bis März 2019 erfolgte die Online-Befragung als zweite Stufe. In der Online-Befragung wurden durch sorgfältige Streuung der Fragebögen und die systematische Gewichtung der Ergebnisse ein repräsentatives Bild der Zielgruppe „studentische Talente“ gewonnen. Die komplette 55-seitige Aufbereitung der Studienergebnisse steht hier zum kostenfreien Download bereit.