Jörg Buckmann, Moderator beim Recruiting Day 2019, über kreatives Recruiting und neue HR-Technologien.
Jörg, welche Rolle spielt heutzutage strategisches Recruiting?
Es wird für Unternehmen heute zunehmend schwierig, geeignete Leute zu finden. Durch die demographische Entwicklung und die Digitalisierung wird sich die Lage in den nächsten Jahren vermutlich noch weiter zuspitzen. Strategisches Recruiting bedeutet, als Unternehmen langfristig zu planen und sich von diesen Entwicklungen nicht überrollen zu lassen.
Um passende Mitarbeiter zu finden, müssen Recruiter heute auch mal ein bisschen Kreativität an den Tag legen…
Stimmt! Die Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn zum Beispiel, die auch beim Recruiting Day am 7. Mai dabei sein wird, hat ein wunderbares Projekt entwickelt. Bei der BLS gibt es einen so genannten Vorteils-Matcher: Man kann als Bewerber festlegen, was einem wichtig ist und das System spuckt einem dann automatisch die passenden Benefits aus, die das Unternehmen anbietet. Für die ganz Neugierigen wird dann auch noch der Kontakt zu einem derzeitigen Mitarbeiter hergestellt, dem die gleichen Vorteile wichtig sind. Den kann man als Bewerber dann löchern, ob das eigentlich stimmt, was die HRler und Führungskräfte einem so erzählen. Ich finde diesen Mix aus digitalem und analogem Nutzen sensationell gut gelungen.
Überhaupt gibt es unglaublich viele tolle Ansätze. Die meisten Recruiter wollen mit großer Freude und Kreativität etwas bewegen und probieren Unterschiedliches aus. Kürzlich habe ich gehört, dass die Stadtwerke Düsseldorf Rekrutierungsgespräche im Tretboot anbieten – eine großartige Idee!
Aber es gibt auch Fälle, in denen Unternehmen gar nicht unbedingt besondere Kreativität an den Tag legen müssen, um Bewerber anzusprechen. Es reicht manchmal auch schlicht, sich an den derzeitigen Markt anzupassen. Ein schönes Beispiel ist da die Deutsche Bahn, die das Anschreiben für Azubis abgeschafft hat – mit der Folge, dass sich jetzt viel mehr junge Leute bewerben. Das ist meines Erachtens der vollkommen richtige Weg gewesen: Solange ein besonders guter Schreibstil keine Kernkompetenz für die ausgeschriebene Stelle ist, sind Anschreiben nicht sonderlich aussagekräftig. Unternehmen müssen ihre Bewerbungsprozesse heute an die Bedürfnisse der Bewerber anpassen und mittlerweile übliche Verfahren kritisch überdenken.
Bei der derzeit schwierigen Lage am Arbeitsmarkt lohnt sich auch der Blick nach innen. Was sollten Unternehmen beim Thema Inhouse-Recruiting beachten?
Mir kommt hier das Stichwort Nachfolgeplanung in den Sinn. Man muss heute als Unternehmen konsequent auch intern auf Talente setzen, diese frühzeitig entdecken und fördern. Der Wunsch, das kontinuierlich zu verbessern, hat mich in meiner eigenen Vergangenheit als Personaler über 10 Jahre lang begleitet (und ganz ehrlich: ich hab es nie so richtig hingekriegt). Das geflügelte Wort im Personalmarketing heißt nicht umsonst: innen beginnen. Ein ganz wichtiger Punkt ist hier übrigens auch die Mitarbeiterbindung. Bevor man seine ganze Wucht und Power nach außen rausschießt, sollte man als Unternehmen immer erst einmal schauen, wie man die eigenen Mitarbeiter zufrieden stellt. Da gilt es, ganz aktiv das Gespräch zu suchen.
Die Zukunft der HR scheint derzeit etwas ungewiss. Manche mutmaßen schon, die zukünftige Bewerberauswahl liefe in Zukunft allein über Chatbots, Roboter und KI ab. Der Mensch Personaler spielt in diesem Szenario eine zu vernachlässigende Rolle. Wie ist Deine Einschätzung dazu?
Ich muss ehrlich zugeben, ich halte davon zumindest zurzeit noch ziemlich wenig und schaue etwas skeptisch auf alle Heilsbringer, die man uns unter dem Stichwort KI vorsetzt. Es wird vorgegaukelt, dass einem per Knopfdruck die Arbeit erleichtert oder gar abgenommen wird.
Erst gestern habe ich einen Chatbot auf der Karrierewebsite einer großen Schweizer Firma ausprobiert – wenn das die Chatbots sind, von denen alle schwärmen, dann gute Nacht. Wahrscheinlich kann einem da der Schnupperlehrling mehr Fragen zum Unternehmen beantworten. Die Technologie ist bei weitem noch nicht so weit, wie man uns gern erzählt. Und wenn man mal ehrlich ist, am Ende möchte der Mensch immer noch am liebsten mit einem Menschen sprechen.
Apropos Technik: Ich muss manchmal schmunzeln, was Unternehmen für wahnsinnige Systeme beispielsweise für das jährliche Mitarbeitergespräch entwickelt haben – wahre administrative Monster, die für alles von der fairen Lohnentwicklung über die Erstellung von Arbeitszeugnissen bis hin zur Personalentwicklung herhalten müssen. Da werden dann aufwendig die Gespräche erfasst und alles genau kategorisiert. Und dann hofft man, dass am Ende bitte auch gleich noch die richtigen Talente ausgespuckt werden. Das ist aber schwierig, weil der Fokus dann nur noch beim Abarbeiten systemischer Vorgaben liegt und nicht mehr auf dem Gespräch mit den Mitarbeitern.
Wir müssen auch wieder normal werden – wieder menschlich werden und auf Augenhöhe kommunizieren. Es hat sich in vielen Unternehmen eine künstliche Kompliziertheit entwickelt, die gilt es wieder zu reduzieren.
Im Jahr 2015 wechselte Personalmarketingexperte Jörg Buckmann (49) die Seiten. Der langjährige Personalchef der Verkehrsbetriebe Zürich verschrieb sich ganz seiner Passion für die Personalwerbung. Heute berät er Unternehmen und Institutionen im DACH-Raum, die sich auf dem Arbeitsmarkt mehr Gehör verschaffen wollen – unter anderem mit pragmatischen Bewerbungsverfahren. Zudem ist er als Speaker, Moderator und Buchautor tätig. Sein neuestes Buch: „Personalmarketing mit gesundem Menschenverstand“
Jörg Buckmann ist Moderator und Impulsgeber auf der 1. Tagung Recruiting Day am 7. Mai in Berlin. Mehr Informationen zur Veranstaltung erhalten Sie hier.