Entwicklung einer Kultur der Achtsamkeit für Gesundheit

Personalmanagement

Unternehmen, die in die Gesundheit ihrer Mitarbeiter investieren, investieren in ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihren längerfristigen Erfolg. Mitarbeiter, die sich wohlfühlen und Vertrauen in ihre Führung haben, leisten bessere Arbeit und sind aufgeschlossen für Veränderungen. Sie entwickeln eine starke Unternehmensbindung und ihre Unternehmen werden als attraktive Arbeitgeber geschätzt. Gesundheit und die persönliche, lebensphasengeprägte Life Balance der Mitarbeiter und die damit verbundenen Faktoren, wie Motivation, Leistungs- und Innovationsfähigkeit, beginnen beim Wohlfühlen.

Ob, aus welchen Gründen und wie stark sich das Topmanagement für die Gesundheit der Mitarbeiter interessiert und einsetzt, ist entscheidend für den nachhaltigen Erfolg eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Das Verhalten des Topmanagements wiederum wird maßgeblich von Zielen und Kernwerten seines Unternehmens geprägt, den Erwartungen der Aufsichtsgremien und von dem Stellenwert der Mitarbeiter. Wer sein Handeln allein am kurzfristigen, finanziellen Erfolg ausrichtet, wird Mitarbeiter nur als bloße Kostenfaktoren wahrnehmen. Unter diesen Bedingungen wird die Präsentation auch hochbelastbarer Zahlen über den Zusammenhang von Arbeit, Organisation, Gesundheit und Betriebsergebnis wenig Überzeugungskraft entfalten, ja vermutlich nicht einmal Interesse finden. Gute Zahlen sind immer nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung guter Gesundheitspolitik.

Das Betriebliche Gesundheitsmanagement ist die treibende Kraft in Richtung einer Kultur der Achtsamkeit für Gesundheit sowie zur Bindung und Potenzialentwicklung der Mitarbeiter. Zentrale Ansatzpunkte sind:

  • eine sinnhafte Tätigkeit,
  • ein vertrauensvolles Beziehungsklima,
  • mitarbeiterorientierte Vorgesetzte,
  • ein Vorrat gemeinsamer Überzeugungen, Werte und Verhaltensregeln (Badura & Walter, 2014).

Interventionsverfahren, die nur auf die Vermeidung oder Beseitigung von Risiken oder Belastungen abzielen, reichen nicht mehr aus.

Eine risikoarme oder belastungsfreie Organisation – falls es das überhaupt geben kann – ist nicht automatisch eine gesunde, sondern womöglich eine die intrinsische Motivation wenig ansprechende Organisation. Sie bietet keine herausfordernde Betätigung und gibt wenig Anlass zur Entwicklung von Bindungen an Ziele, Menschen und Werte.

Begeisterungsfähige und empathische Führungskräfte fördern und mobilisieren die intrinsische Motivation und dadurch Gesundheit und Unternehmenserfolg.

Wie sich die spezifische Kultur einer Organisation entschlüsseln lässt:

  1. Auf welche Ziele konzentriert sich die oberste Führung?
  2. Welche Informationen steuern ihre Aufmerksamkeit?
  3. Was sind die zentralen Kriterien der Ressourcenzuweisung?
  4. Welche Kennzahlen gelten als besonders wichtig und werden häufig diskutiert, welche werden ignoriert oder finden wenig Beachtung?
  5. Wie geht die Führung mit Krisen und Konflikten um, mit Verbesserungsvorschlägen und Innovationen?
  6. Nach welchen Kriterien wird belohnt, sanktioniert und befördert?
  7. Welchen Stellenwert haben Mitarbeiterbeteiligung und Betriebs- beziehungsweise Personalräte, haben Qualifikation und Gesundheit?
  8. Gibt es regelmäßige Mitarbeiterbefragungen? Wenn ja, welche Themen werden abgefragt, wie hoch ist die Beteiligung, wie wird mit den Ergebnissen umgegangen? Ergeben sich daraus Konsequenzen für die Personal- und Organisationsentwicklung?
  9. Gibt es zum Thema Gesundheit einen Vorstandsbeauftragten, eine Betriebsvereinbarung und einen Steuerkreis? Welches Gewicht haben diese?

Praktisch realisiert wird Betriebliches Gesundheitsmanagement durch sorgfältige Planung, Durchführung und Evaluation einzelner Projekte. W. Edwards Deming gilt als einer der Begründer des modernen Qualitätsmanagements (Deming, 1986). Der nach ihm benannte Deming-Cycle beinhaltet die folgenden vier Stadien der Projektarbeit: Am Beginn steht die datengestützte Ist-Analyse von Arbeit, Organisation und Gesundheit, insbesondere mit Hilfe von Fehlzeitenstatistiken und Befragungsdaten zur verlässlichen Organisationsdiagnose. Darauf folgen die Einschätzung des Handlungsbedarfs, die Prioritätensetzung und Festlegung von Zielen für Maßnahmen und deren Planung. Als nächstes folgt die konkrete Durchführung einzelner Projekte sowie schließlich die Evaluation ihrer Ergebnisse mit Hilfe vorab definierter Indikatoren (vgl. Abb. 1).


Grafik: Bernhard Badura

Berichtswesen

Dokumentationspflichten und regelmäßige Rückmeldungen sind für die Führung komplexer Organisationen zwingend, können aber auch von den Mitarbeitern als überflüssige Zumutung und Ursache vermeidbarer Belastungen erlebt werden. Der dadurch entstehende Arbeits- und Energieaufwand ist bei flachen Hierarchien, dezentraler Steuerung und bei hohem wechselseitigen Vertrauen zwischen Führung und Mitarbeitern deutlich geringer. Auch im Betrieblichen Gesundheitsmanagement sind Daten und Berichtspflichten, insbesondere was den Gesundheitszustand der Beschäftigten betrifft, von grundlegender Bedeutung.

Jedes Unternehmen ist ein Fall für sich. Welche Teile und Prozesse in besonderem Maße zum Unternehmenserfolg beisteuern, muss im Einzelfall bestimmt werden. Generalisierbares Wissen dazu liegt aus der Betriebswirtschaftslehre vor, die sich allerdings mit der Beurteilung materieller („harter“) Faktoren wie Technik und Finanzen sehr viel leichter tut, als mit der Beurteilung immaterieller („weicher“) Faktoren wie Human- und Sozialkapital. Eben diese immateriellen Faktoren – dazu gehören auch Klarheit der Ziele und Sinnhaftigkeit der Aufgabenstellungen –, haben mit dem Strukturwandel der Wirtschaft erheblich an Bedeutung gewonnen, für die Gesundheit wie für das Betriebsergebnis.

„Nicht alles, was zählt, kann gezählt werden. Nicht alles, was gezählt werden kann, zählt“ (Einstein). Die Betonung der Bedeutung verlässlicher Daten sollte nicht dazu führen, dass ihre Sammlung, Aufbereitung und Präsentation zum Selbstzweck wird. Organisationen dienen dazu, durch kompetente, gesunde und engagierte Mitarbeiter Kunden und Eigentümer zufriedenzustellen, um dadurch das eigene, längerfristige Überleben zu gewährleisten. Dazu dient auch die Beschäftigung mit Daten im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Sie dient dazu, den Gesundheitszustand festzustellen und Handlungsbedarf zu identifizieren.

Wenn sich ein Unternehmen auf den Weg in Richtung Kultur der Achtsamkeit für Gesundheit begibt, dann sollten die Erwartungen und Ziele ihrer Machtpromotoren und Gesundheitsexperten vom Topmanagement und Betriebsrat auf ihre Vereinbarkeiten und Unvereinbarkeiten geprüft, und es sollten fördernde und hemmende Interessen im Auge behalten werden. Letztlich sind es die Erfolge betrieblicher Gesundheitsarbeit selbst, die maßgeblich darüber mitentscheiden, ob der Kulturwandel in Richtung Achtsamkeit für Gesundheit gelingt, ohne den das Ziel einer gesunden Organisation eine unerreichbare Vision bleibt. Erfolge müssen, dem heute verbreiteten Managementverständnis folgend, quantifizierbar sein.

Sammlung, Aufbereitung und Präsentation von Daten ist eine wesentliche Aufgabe jedweden Betrieblichen Gesundheitsmanagements und dies aus zweierlei Gründen:

  • zur Bedarfsanalyse, für die Projektplanung und für die Evaluation der durchgeführten Projekte, also gleichsam „nach innen“, zur Ermöglichung valider betrieblicher Diagnostik und des systematischen Lernens darüber, ob man das Richtige richtig tut;
  • zur Außenlegitimation gegenüber den Führungskräften und Arbeitnehmern, also zur Begründung dafür, dass die Investitionen in das Betriebliche Gesundheitsmanagement auch wirklich zur Realisierung von Zielen und Kernwerten eines Unternehmen beitragen, die Gesundheit fördern und auch den unternehmerischen Erfolg.

Gesundheitsexperten sind in der Bringschuld. Sie müssen Beschäftigten und Topmanagern vermitteln, welche Beiträge sie für die Mitarbeiter und das Betriebsergebnis leisten.

Im gesetzlich geregelten Arbeits- und Gesundheitsschutz geht es darum, Auflagen und Regeln zu erfüllen. Im Betrieblichen Gesundheitsmanagement geht es darüber hinaus darum, den eigenen Beitrag zur Personal- und Organisationsentwicklung und zur Erreichung von Unternehmenszielen zu belegen. Dafür erforderlich ist zum einen ein evidenzbasiertes Unternehmensmodell, das die unterstellten Wirkungsketten beschreibt und zum anderen die betriebsspezifische Identifikation und Quantifizierung der Wirkungsketten (siehe dazu Badura & Ehresmann 2016 sowie Badura 2016).

Wir vertreten die Auffassung, dass die Förderung des Sozialkapitals (Führung, Beziehungsklima, Kultur) einen direkten Effekt auf das Betriebsergebnis ausübt: zum Beispiel durch Sinnstiftung, vertrauensvolle Zusammenarbeit und ungehinderten Wissenstransfer. Und dass die Förderung von Sozialkapital einen indirekten Effekt ausübt, durch erleichtertes Lernen und gestärktes Wohlbefinden. Zum Beleg dieser Zusammenhänge müssen die folgenden Daten miteinander verbunden werden:

  • Daten aus der Betriebswirtschaft zur Erfassung von Produktivität und Qualität, idealerweise auf Abteilungsebene;
  • Daten aus der Personalwirtschaft und Arbeitsmedizin über Absentismus, Präsentismus, Verbesserungsvorschläge;
  • Daten aus Befragungen, Projekten, Fokusgruppen über Wohlbefinden, Gesundheit und die Unternehmensbewertung durch die Mitarbeiter.

Wesentlich für die fundierte Bewertung einzelner Teams, Abteilungen und Teilunternehmen ist der Vergleich von Treibern, Früh- und Spätindikatoren: der Vergleich mit sich selbst durch Zeitreihen, oder der Vergleich mit Hilfe standardisierter Kennziffern zwischen Unternehmensteilen, ganzen Unternehmen und Volkswirtschaften.

Fortschritte in Richtung einer Kultur der Achtsamkeit für Gesundheit können festgemacht werden beispielsweise am zunehmenden Interesse des Managements, an zunehmenden Teilnehmerzahlen bei betrieblichen Sportveranstaltungen, in Fitness-Centern oder bei Vorsorgeuntersuchungen. Von wirklich nachhaltigem Wandel wird aber nur dann gesprochen werden dürfen, wenn Fortschritte in Richtung einer Kultur der Achtsamkeit für Gesundheit auch an Veränderungen gesundheitsrelevanter Strukturen und Prozesse eines Unternehmens erkennbar werden, zum Beispiel an der Verabschiedung einer Betriebsvereinbarung, an der Einrichtung eines Steuerkreises und der Bereitstellung eines Gesundheitsbudgets, an der Qualifizierung der Experten sowie an der Einrichtung und kontinuierlichen Verbesserung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Aufgabe des Gesundheitsmanagements ist es, regelmäßig bedarfsgerechte Projekte zu planen, durchzuführen und zu evaluieren und sich dabei an wissenschaftlich fundierten Qualitätsmaßstäben zu orientieren.

Befähigung zu Gesundheit und Selbstorganisation

Wer als Gesundheitsexperte andere von der Wichtigkeit und Richtigkeit des eigenen Handelns überzeugen will, muss zunächst einmal selbst davon überzeugt sein. Das alleine reicht allerdings nicht aus. Sie oder er muss dafür auch ausreichend fachlich qualifiziert sein. Ein Betriebliches Gesundheitsmanagement aufzubauen bedeutet, eine Innovation durchzusetzen und den Kulturwandel einer Organisation anzustoßen. Es sollten Daten und Fakten zusammengestellt werden, die die Organisation bisher zum Thema Gesundheit anzubieten hat, auch um Lücken im Berichtswesen aufzudecken und eventuell auch den Bedarf für eine Mitarbeiterbefragung zu begründen. Ein Betriebliches Gesundheitsmanagement aufzubauen, bedeutet zudem wohldefinierte Projekte zu Schwerpunktthemen durchzuführen und ein Netzwerk sozialer Beziehungen zu knüpfen: zu anderen Fachpromotoren/Experten, aber auch in Richtung Unternehmensführung und Mitarbeitervertretung. Ein Betriebliches Gesundheitsmanagement aufzubauen bedeutet schließlich, neue Strukturen zu festigen, dauerhafte Akzeptanz für die eigene Aufgabenstellung zu finden und den Deming-Zyklus aus Diagnose, Planung, Projektdurchführung und Evaluation zu starten.

Mitarbeiter sind Experten für ihre Arbeit und ihre Gesundheit. Führungsmängel führen oft dazu, dass diese Quelle an Energie und Expertise nicht ausgeschöpft wird. Die Ursachen dafür liegen keineswegs nur in der Person oder im Führungsstil von Führungskräften, sondern oft auch darin, dass für Mitarbeiterorientierung keine Zeit mehr bleibt, weil andere Aufgaben Vorrang haben. Um aus desinteressierten oder innerlich gekündigten Mitarbeitern interessierte und engagierte Mitarbeiter zu machen, sollten sie verstärkt in die Beurteilung ihrer Führungskräfte einbezogen werden.

Welche Führungsfähigkeiten sollten aus Sicht der Mitarbeiter Vorrang haben, und wie viel Zeit sollten ihre Führungskräfte darauf verwenden? Anregungen dazu sollten nicht nur aus der „Hierarchie“ oder von externen Beratern oder Coaches kommen, sondern auch von den eigenen Mitarbeitern.

Zusätzlich sollten auch Vorschläge dazu entwickelt werden, welche Entscheidungen gänzlich in die Hände der Mitarbeiter gelegt werden und wie sie bei der Auswahl ihrer eigenen Führungskräfte beteiligt werden könnten (Abb. 2).

Auch das betriebliche Vorschlagswesen hängt stark davon ab, wie sehr sich Mitarbeiter mit ihrer Organisation und ihrer Arbeit identifizieren. Es sollte verstärkt in die Organisations- und Personalentwicklung einbezogen werden. Die Mitarbeiterbefragung ist das in Sachen Gesundheit verlässlichste Instrument zur Mitarbeiterbeteiligung.


Grafik: Bernhard Badura

Mit zunehmender Größe einer Organisation besteht das Risiko sinkender Bindung und intrinsischer Motivation. Deshalb müssen große Organisationen besondere Anstrengungen unternehmen zur Stärkung von Gemeinsinn und Wir-Gefühl und dadurch zum Erhalt bzw. Förderung intrinsischer Motivation und Organisationsbindung.

Weiterführende Literatur:

  • Badura, B. & Ehresmann, C. (2016). Unternehmenskultur, Mitarbeiterbindung und Gesundheit. In B. Badura, A. Ducki, H. Schröder, J. Klose & M. Meyer (Hrsg.), Fehlzeiten-Report 2016. Unternehmenskultur und Gesundheit – Rahmenbedingungen, Einflüsse, Potenziale. Heidelberg: Springer Verlag, im Druck.
  • Badura, B. (Hrsg.) (2016). Arbeit und Gesundheit im 21. Jahrhundert – auf die Mitarbeiterbindung kommt es an! Wiesbaden: Springer Fachmedien, im Druck.

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Bernhard Badura

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