Die althergebrachten Arbeitszeitmodelle werden immer stärker auf den Prüfstand gestellt. Eine Idee lautet: weniger, aber fokussierter arbeiten. Dann reichen vielleicht auch irgendwann vier Stunden in der Woche.
Die klassischen Arbeitszeitmodelle bröckeln: Microsoft und IBM setzen auf Vertrauensarbeitszeit, Unternehmer Richard Branson lässt seinen Mitarbeitern jetzt sogar freie Hand bei der Entscheidung nach Urlaub. Sie dürfen sich jederzeit so viel nehmen, wie sie wollen oder ihrer Ansicht nach benötigen. Ich glaube: Richard Branson ist auf dem richtigen Weg, aber das Modell ist noch nicht konsequent zu Ende gedacht. Wir müssen lernen, weniger, aber dafür fokussierter zu arbeiten. Nur so bleiben wir dauerhaft leistungsstark, kreativ und ausgeglichen. Leichter gesagt als getan, oder?
Dabei haben uns doch schon die großen Denker und Dichter wie Asimov, Einstein, Freud und Goethe gezeigt, wie es auch laufen kann: Sie schrieben bzw. arbeiteten teils gerade mal drei Stunden am Tag oder nahmen sich bewusst Auszeiten von mehreren Monaten im Jahr. Wir aber sind gefangen im Hamsterrad der Leistungsgesellschaft.
Die Crux: Unser Arbeitsalltag ist standardisiert und ritualisiert. Doch mit dem eingefahrenen Arbeitsrhythmus der Vergangenheit werden wir die Zukunft nicht bewältigen können. Die Digitalisierung und die damit verbundenen neuen Kommunikationsformen und Geschäftsmodelle zwingen uns zum Umdenken, um nicht einen kollektiven Burnout zu erleiden.
In der Praxis ist es doch so: Telefonterror, E-Mail-Flut und Meeting-Wahn beherrschen den Alltag. Studien zeigen, dass Besprechungen und E-Mails die meiste Zeit im Arbeitsalltag fressen. Laut einer Untersuchung des Software-Anbieters Officetime.net landen Meetings auf Platz fünf der größten Arbeitszeit-Killer, ganz oben steht jedoch die E-Mail-Flut. Ein Drittel der für die Studie befragten Probanden bearbeitet demnach jeden Tag ein bis zwei Stunden die elektronische Post, und 22 Prozent sogar mehr als zwei Stunden. Doch diese Arbeit ist mitunter nicht nur unproduktiv, sondern sogar schädlich. Wollen wir so weitermachen?
Experiment unter Beratern
Ein Experiment der Professorin Lesley A. Perlow und der Forschungsprojektmanagerin Jessica L. Porter von der Harvard Business School in Boston zeigt: Kluges Zeitmanagement führt zu mehr Zufriedenheit und einer gesteigerten Produktivität im Job. Die Probanden des Experiments, Consultants, wurden dafür im Zeitraum von 2006-2009 wie folgt auf die Probe gestellt: In zwei Experimenten bekamen sie jeweils einen Tag in der Woche bzw. einen Abend in der Woche frei. In dieser Zeit durften sie keine Mails checken oder berufliche Telefonate führen.
Im ersten Versuch bekam ein 4-Mann-Team, das Vollzeit auf ein Kundenprojekt gearbeitet hatte, Unterstützung durch einen weiteren Consultant. Dafür sollte jedes Teammitglied nur 80 Prozent der üblichen Arbeit verrichten. Jeder der 5 Beteiligten hatte deshalb jeweils einen Tag pro Arbeitswoche komplett frei. Im zweiten Experiment wurde hingegen kein weiterer eingestellt – die Consultants mussten sich lediglich darauf einstellen, dass sie einen Abend pro Woche komplett arbeitsfrei hatten. Bei beiden Experimenten standen die freien Tage jedes Mitarbeiters zu Beginn des Experiments schon fest – kurzfristiges Tauschen untereinander war dennoch erlaubt. Die neuen Richtlinien galten sowohl für Zeiten, in denen viel Arbeit anfiel als auch für weniger arbeitsintensive Zeiten.
Die Ergebnisse der Studie überzeugen: Die Qualität der Kundenprojekte litt nicht. Anfangs hatten die Probanden in beiden Experimenten Angst, durch die Fehlzeiten ihre Karriere aufs Spiel zu setzen. Aber das Gegenteil trat ein: Sie waren ausgeglichener und hatten dadurch das Gefühl, den Kunden bessere Ergebnisse liefern zu können. Festgelegte Termine für offene Diskussionen führten zu einer enormen Verbesserung der Kommunikation unter den Teammitgliedern. Sie trauten sich sogar, auch Dinge anzusprechen, mit denen sie sich unwohl fühlten. Kurzum: Im Unternehmen erfolgte ein tiefgreifender Wandel. Nach dem Experiment legte das Unternehmen nämlich viel mehr Gewicht auf die Arbeitsprozesse.
4-Stunden-Woche als Idee
Doch es geht noch radikaler: Die Initiative „Dynamite Circle“ beispielsweise basiert auf der Grundidee des Buches „The 4-Hour Workweek“ von Timothy Ferris. Ferris ist überzeugt: Mit nur vier Stunden Arbeit pro Woche lässt sich möglichst viel Geld verdienen. Und zwar im Idealfall genau das Geld, für das andere 40 Stunden oder mehr schuften müssen. „Dynamite Circle“-Gründer Dan Andrews packte vor Jahren schon seine Sachen und wanderte nach Asien aus, um von dort aus sein Geschäftsmodell – mobile Bars – aufzubauen. Statt sich mit einem Büro an einem festen Standort niederzulassen, reiste er durch ganz Asien, um sich ein Netzwerk aufzubauen und neue Mitarbeiter zu rekrutieren. Die Motivation für die Mitglieder der Initiative ist der Glaube an die Eigendynamik des Business: Das Kerngeschäft wird dabei mehr und mehr flankiert von Zusatzprojekten wie Podcast-Abos für zusätzlichen Umsatz. Schon macht in der Tech-Branche der Begriff des „passiven Einkommens“ die Runde. Man schafft nun digitale Aspekte wie Blogs, E-Books, stellt Fotos in Online-Datenbanken ein oder versucht sich als Video-Blogger. Im Gegenzug verdient man an den Vermarktungserlösen.
Selbstbestimmt Urlaub nehmen, Arbeitszeit verkürzen, nebenbei Geld verdienen – mag sein, dass wir mit solchen Modellen noch ganz am Anfang stehen. Doch ich glaube: Der Trend ist unumkehrbar. In Zukunft werden wir besser und zugleich weniger arbeiten.