Frau von Petersdorff, Sie haben im September 2022 den HR Start-up Award gewonnen. Was bedeutet Ihnen der Preis?
Lara von Petersdorff: Wir sind sehr stolz. Der Award zeigt, wie wichtig das Thema mentale Gesundheit und Gesundheitsförderung für Unternehmen geworden ist. Er gibt uns zudem Rückenwind, das Thema in noch mehr Organisationen zu bringen und auch unseren Innovationsgrad gegenüber traditionellen und reaktiven Employee-Assistance-Programmen und Seelsorgehotlines aufzuzeigen. In dem Dschungel an Lösungen auf dem Gesundheitsmarkt ist die Auszeichnung für uns auch ein wichtiges
Qualitätssiegel.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Plattform zur Unterstützung der mentalen Gesundheit von Mitarbeitenden ins Leben zu rufen?
Ich habe Evermood vor vier Jahren zusammen mit meinem Kommilitonen Marvin Homburg gegründet. Durch einen persönlichen Konflikt am Arbeitsplatz und die damit verbundene Erfahrung kam uns die Idee einer Plattform, wo sich Mitarbeitende rund um die Uhr anonym informieren und mitteilen können, ganz egal ob es sich um Konflikte im Team, Stress, Burnout, Frust, Depression, Sucht oder Fehlverhalten wie Mobbing und Belästigung handelt.
Warum braucht es dafür eine digitale Plattform? Es gibt doch auch die Möglichkeit, ein Employee-Assistance-Programm einzuführen.
Ich glaube, die meisten würden zustimmen, dass man über psychische Belastung nicht spricht wie über einen gebrochenen Fuß. Dabei reicht es oft nicht aus, einfach eine Ansprechperson hinzusetzen und den Mitarbeitenden zu sagen, dass sie dort anrufen können. Employee-Assistance-Programme erreichen meiner Erfahrung nach im Schnitt nur rund zwei bis drei Prozent der Belegschaft. Unsere Plattform hingegen nutzen rund 20 Prozent der Belegschaft jeden Monat. Das liegt vor allem daran, dass unser Angebot sehr viel niedrigschwelliger ist. Wir bieten als Ersthilfe zum Beispiel virtuelle Austauschformate und Kurzvideos. Informationen zu verschiedenen Themen, von Stressreduktion bis hin zu Beratung bei depressiven Phasen, sind jederzeit anonym abrufbar. Und bei psychischer Belastung ist es vor allem wichtig, dass Menschen für die Belastungen sensibilisiert werden, damit ihnen rechtzeitig geholfen werden kann.
Warum?
Laut der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung leiden mittlerweile mehr als ein Viertel aller Erwachsenen in Deutschland mindestens einmal im Leben an einer psychischen Erkrankung. Am häufigsten sind Depressionen und Angststörungen. Eine Krankschreibung aus psychischen Gründen dauert laut dem Psychreport der DAK-Gesundheit durchschnittlich 40 Tage, das kostet das Unternehmen locker zehn- bis fünfzehntausend Euro. Doch psychische Erkrankungen sind heilbar, vor allem wenn die Person rechtzeitig Unterstützung erhält. Deshalb lohnt es sich für Arbeitgeber, sich gut um die eigenen Mitarbeitenden zu kümmern. Es erhöht zudem das Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen, wenn Krisen gemeinsam durchgestanden werden.
Über den HR Start-up Award
Der HR Start-up Award zeichnet Unternehmen aus, die nicht älter als fünf Jahre sind und hilfreiche Tools und Services für das Personalmanagement und Mitarbeitende anbieten. Der Bundesverband der Personalmanager*innen (BPM), die hkp///group, die Quadriga Hochschule und das Magazin Human Resources Manager sind Initiatoren des Preises. Die diesjährige Bewerbungsphase endet am 2. April. Alle Infos zum Award finden und das Bewerbungsprotal finden Sie hier.
Wie genau hilft Ihre Plattform in solchen Fällen?
Nehmen wir das Beispiel Burnout. Wenn eine Person merkt, dass sie stark beansprucht ist und sich erschöpft fühlt, kann sie sich erst einmal an das Thema herantasten, indem sie mit Einschätzungsübungen feststellt, wie hoch die Belastung bereits ist. Dann kann sie sich in kurzen Videobeiträgen über das Thema informieren. Wir haben zum Beispiel ein Format, in dem ein Topmanager erzählt, wie es bei ihm zum Burnout gekommen ist. Die Erfahrungen anderer zu reflektieren, hilft manchmal schon, um das eigene Verhalten oder die Einstellung so zu ändern, dass man weniger belastet ist – noch bevor man in den kritischen Bereich gelangt. Wenn das nicht reicht, gibt es die Möglichkeit, schnell und unkompliziert eine Eins-zu-eins-Beratung vermittelt zu bekommen. Diese kann eine sinnvolle Überbrückung der Wartezeit auf einen Therapieplatz sein oder die belastete Person auch bei der schwierigen Aufgabe unterstützen, überhaupt eine Psychotherapeutin oder einen Psychotherapeuten zu finden. Die Suche danach überfordert viele, vor allem, wenn es ihnen ohnehin schon nicht gut geht.
Und was kann vorbeugend getan werden?
Dafür eignen sich Veranstaltungen und Workshops, die überhaupt erst ein Bewusstsein für die eigene psychische Gesundheit schaffen. Führungskräfte können sich auf unserer Plattform darüber informieren, wie man ein Gespräch führt, wenn ein Teammitglied psychisch belastet ist oder ein Suchtproblem hat, oder wie man Streit im Team schlichten kann.
Was sollten Führungskräfte beachten, wenn sie merken, dass ein Teammitglied psychisch belastet ist?
Zunächst einmal ist es wichtig, die notwendige Distanz zu wahren und trotzdem Anteilnahme zu zeigen. Das Thema sollte nicht zwischen Tür und Angel, sondern in einem Termin mit genügend Zeit angesprochen werden. Am besten ist es, wenn die Führungskraft möglichst neutral beschreibt, welches Verhalten ihr bei dem Teammitglied aufgefallen ist. Sie sollte dabei nicht werten, etwa in Bezug auf das sinkende Leistungsniveau der betreffenden Person. Stattdessen ist es sinnvoll, erst einmal auf zurückhaltende Art und Weise Fragen zu stellen, also zum Beispiel: Wie nimmst du das wahr? Wie erklärst du dir die Veränderungen? Was kann ich tun, um dich zu unterstützen? Wie können wir dein Stresslevel reduzieren? Anschließend kann die Führungskraft das Teammitglied auf die Angebote im Unternehmen hinweisen, wie zum Beispiel Kurse zur Stressreduktion oder persönliche Beratungsgespräche. Der nächste Schritt ist, eine Perspektive aufzuzeigen, also was in der Arbeitsorganisation und im Arbeitsalltag konkret verändert werden kann, damit es dem Teammitglied besser geht.
Gesundheitsdaten über Mitarbeitende sind äußerst sensibel.
Wie stellt Ihre Plattform sicher, dass diese Daten sowohl nach innen als auch nach außen vertraulich bleiben?
Mitarbeitende können sich in Online-Events anonym bewegen, ohne den Namen oder die E-Mail-Adresse angeben zu müssen. Alle Auswertungen der Nutzungszahlen sind anonymisiert und niemals auf ein Individuum zurückzuführen. Beratungsgespräche können im anonymen Chat geführt werden oder persönlich unter Schweigepflicht.
Ist die mentale Belastung von Beschäftigten in den letzten Jahren gestiegen?
Im ersten Jahr der Pandemie sind laut einer Studie der WHO die Fälle von Angststörungen und Depressionen um ungefähr fünfundzwanzig Prozent gestiegen. Zudem sind durch Remote Work Termine oft enger getaktet, wodurch die Belastung steigt. Nichtsdestotrotz war das Thema Mental Health auch schon vor Corona einige Jahre auf dem Vormarsch. Durch die Pandemie haben Arbeitgeber jetzt einen externen Schuldigen für die Belastung gefunden und trauen sich eher, das Thema aktiv anzugehen – vorher haben sie möglicherweise befürchtet, dass sie dadurch Schwächen in der eigenen Arbeitsorganisation zugeben. Das Engagement von Unternehmen im Bereich der mentalen Gesundheit ist in den letzten Jahren definitiv gestiegen und steigt immer weiter. Ich kenne kaum noch ein Unternehmen, das die hohe Bedeutung des Themas leugnet.
Welche Unternehmen benutzen Ihre Plattform?
Unsere Kundinnen und Kunden, darunter beispielsweise die Axa Versicherung, Merck, Hornbach oder die Schweizer Post, kommen aus der Verwaltung und den verschiedensten Branchen. Dazu gehören auch Produktionsunternehmen, was mir ein Herzensthema ist, weil in dieser Branche das Thema psychische Gesundheit teilweise noch stärker stigmatisiert ist.
Wie sorgen Sie in Ihrem Unternehmen für eine gesunde Arbeitskultur?
Wir nutzen unsere eigene Plattform, samt Videos, Events und Beratung, bieten aber auch vergünstigte Sportangebote und einen ergonomischen Arbeitsplatz. Zudem führen wir regelmäßige Befragungen zu Gesundheitsthemen durch. Zum Beispiel messen wir unser Stresslevel, unser Miteinander im Team, schauen, ob es Konflikte gibt und wie wir sie lösen können, prüfen, ob wir genug Pausen machen. Wenn sich ein Aspekt in einen ungesunden Bereich bewegt, ergreifen wir gezielte Maßnahmen.
Welche Form der Unterstützung hätten Sie sich in Ihrem bisherigen Berufsleben gewünscht?
Vor allem in meinen Jobs im Beratungsumfeld hätte ich zu bestimmten Themen einfach mehr Informationen gebraucht. Zum Beispiel, wie ich eine Überlastung gegenüber einer Führungskraft ansprechen kann, wie ich Nein sage, wenn es mal zu viel wird. Oder wie ich mit Rückschlägen umgehe. Zudem habe ich ein hohes Burnout-Risiko, weil ich hohe Ansprüche an mich selbst habe. Ich hätte gerne früher gewusst, was meine Stressoren sind, wie ich sie vermeide und wie ich mit Nervosität und innerer Anspannung umgehen kann. Oder wie ich bewusst Dinge, die mir Kraft geben, in meinen Alltag einbauen kann.
Über die Gesprächspartnerin
Lara von Petersdorff ist die Geschäftsführerin und Gründerin von Evermood. Vor drei Jahren gründete sie das Start-up zusammen mit ihrem Kommilitonen Marvin Homburg aus dem Psychologischen Institut der Universität Münster heraus. Heute unterstützt sie Konzerne, mittelständische Unternehmen, Verwaltungen und Start-ups bei der Umsetzung von Personalentwicklungs- und Gesundheitsmaßnahmen. Inzwischen beschäftigt Evermood mehr als 20 Mitarbeitende. Das Unternehmen gewann im September 2022 auf dem Personalmanagementkongress den HR Start-up Award. Das Magazin Human Resources Manager ist Mitinitiator des Preises.
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