Tausende Familienunternehmen finden keinen passenden Nachfolger. Wir haben Jörg Ritter, Professor an der Quadriga-Hochschule gefragt, woran das liegt und was Unternehmen tun können.
Jörg, du bist Experte auf dem Gebiet der Nachfolgeplanung bei Familienunternehmen. Laut einer Umfrage der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) steht bis 2023 bei mehr als 500.000 Familienunternehmen ein Generationenwechsel an. Bislang hat aber nicht einmal jeder zweite Senior-Unternehmer in Deutschland einen passenden Nachfolger gefunden. Wie kommt es, dass die Zahlen so dramatisch hoch sind?
Jörg Ritter: Die Umfrage-Ergebnisse sehe ich differenziert. Zu den 500.000 Familienunternehmen zählen in der Regel nämlich auch Kleinstunternehmen, bei denen sich Nachfolgeregelungen, wenn nicht innerhalb der Familie, durch andere Möglichkeiten teilweise sehr spontan und pragmatisch ergeben. Tatsächlich kritisch wird es in Deutschland in den kommenden Jahren für etwa 2.000 Unternehmen. Das sind die, deren Umsätze wirklich signifikant sind und die das Potenzial haben, sich zu internationalisieren. Darunter sind viele ostdeutsche Firmen, die einem Fremdmanagement gegenüber immer noch skeptisch und misstrauisch eingestellt sind. Ostdeutsche Mittelständler haben bislang auch eher gezögert, Aufsichtsrats- oder Beiratsgremien einzurichten.
Ist es denn heute schwieriger als früher, passende Nachfolger zu finden?
Der Einfluss einer gewachsenen Zahl von Faktoren auf die Entwicklung von Familienunternehmen ist insbesondere in den letzten 10 Jahren zunehmend komplexer und weniger planbar geworden. Deshalb können sich erfolgreiche Patriarchen allein immer weniger an der Spitze von Unternehmen durchsetzen. Die Unternehmen brauchen deshalb in ihren Management- und Governancegremien eine diversifizierte, auf die Strategie des Unternehmens fokussierte Erfahrungs- und Kompetenzstruktur.
Viele aus der jüngeren Generation treffen aber bewusst die Entscheidung, dass sie sich in diesen Management- oder Gremienfunktionen nicht engagieren wollen. Es gibt heute nicht mehr den Automatismus, dass die jüngere Generation (NextGen) in die Fußstapfen der Eltern oder auch Großeltern tritt oder treten muss. Gerade entstehen viele neue institutionalisierte Formen wie Family Equity, Family Office oder Wealth Funds Organisationen. Mit dem Erbe kann man also auch etwas anderes anfangen.
Aber es ist doch auch das gute Recht der jüngeren Generation, wenn sie die Unternehmen nicht übernehmen und mit dem ererbten Geld etwas anderes anfangen wollen…
Natürlich. Aber man kann kritisch einwenden, dass es bislang immer eines der Alleinstellungsmerkmale des deutschen Mittelstands war, dass inhaber- und familiengeführte Unternehmen insgesamt sozialer und nachhaltiger agieren als zum Beispiel Konzerne, deren Wachstum zum überwiegenden Teil nicht mehr in Deutschland stattfindet. Diese Familienunternehmen, auch Hidden Champions genannt, sind eben nicht nur auf Rendite aus.
Wenn die neuen Formen, wie Family Equity, sich bei anderen Unternehmen beteiligen, die bisher nicht durch die Unternehmerfamilie aufgebaut und entwickelt worden sind, geht aber die emotionale Bindung und Identität zum Teil verloren. Der Erfolg und das Image werden dann nur noch nach rein betriebswirtschaftlichen Kriterien gemessen. Insofern appelliere ich, dass Familiengesellschafter ihre Identität und auch Verantwortung an ihren Unternehmen in unterschiedlichen Rollen wahrnehmen. Man kann auch qualifizierten Non-Family-Managern die Management-Verantwortung überlassen und die Mitglieder der Unternehmerfamilie nehmen ihre Interessen als Aufsichtsrats- oder Beiratsmitglied wahr.
Senior-Unternehmer können also alternativ auch sogenannte Non-Family-Manager hinzuziehen. Müssen sie nicht befürchten, dass die unternehmerischen Werte verloren gehen, sobald sie den Betrieb an Nicht-Familienmitglieder übergeben?
Nein, es gibt verschiedene Möglichkeiten, das zu verhindern. Die Anteilseigner und Gesellschafter können zum Beispiel eine Stiftung gründen, die die Verantwortung für die weitere Entwicklung des Unternehmens hat. Das ist einerseits ein sehr gutes Modell, um unterschiedliche Familieninteressen zu bündeln und das nachhaltige Wirken einer Unternehmerfamilie zu dokumentieren. Andererseits macht man das Unternehmen damit vom Kapitalmarkt unabhängig: Bei einer Stiftung ist klar fixiert, was die früheren oder lebenden Gesellschafter wollen, für welche Werte sie stehen und für welche nicht. Man kann deshalb auch relativ problemlos ein Non-Family-Management einsetzen.
+++Jörg Ritter hält bei derTagung Smart HRMam 12. Dezember in Berlin einen Vortrag zum Thema „Die Digitale Transformation und ihre Konsequenzen für HR-Leader“.+++
Bei einigen Unternehmen ist trotz der derzeitigen Entwicklungen klar, dass jemand aus der Familie das Ruder übernimmt. Der Trigema-Gründer Wolfgang Grupp erzieht seine Kinder im Grunde schon ihr ganzes Leben lang dazu, einmal das Unternehmen zu führen. Grupp würde auch nie einen externen Manager anheuern, wie er vor Kurzem gegenüber der Wirtschaftswoche erklärt hat. Ein Sonderfall?
Zunächst einmal: Ich schätze Wolfgang Grupp in seinem unternehmerischen Wirken und seiner Gradlinigkeit sehr. Aber es ist aus meiner Sicht schwierig, wenn Familienunternehmer Non-Family-Manager kategorisch ausschließen. Es kann immer sein, dass den Kindern etwas passiert oder dass sie den Betrieb am Ende doch nicht übernehmen können oder wollen. Außerdem kann es für die Entwicklung der NextGen auch von großem Vorteil sein, wenn sie das Unternehmen mit einem erfahrenen Non-Family-Manager an der Seite gemeinsam in die Zukunft führt. Es gibt viele Beispiele, bei denen Non-Family-Manager erfolgreich als Brückenbauer ein Familienunternehmen geführt haben, weil die NextGen noch nicht so weit war, die Verantwortung sofort zu übernehmen.
Viele Unternehmer schieben das Thema Nachfolgeplanung bis zuletzt auf. Immerhin würde das bedeuten, ans Aufhören zu denken…
Das ist verständlich, sie haben jahrzehntelang ihr ganzes Herzblut in das eigene Unternehmen investiert. Da fällt es schwer, loszulassen.
Aber es gibt auch positive Beispiele.
Ja, gibt es. Der Familienunternehmer Jürgen Heraeus ist für mich eines der positivsten Beispiele für eine strukturierte Nachfolgereglung. Er hat mit 65 konsequent den Vorsitz der Geschäftsführung an einen Non-Family-Manager abgegeben, da zu diesem Zeitpunkt niemand aus der Familie in der Lage oder bereit dazu war, das Unternehmen zu führen. Heraeus hat dann schrittweise seinen Schwiegersohn aufgebaut, der das Unternehmen heute seit mehr als 6 Jahren erfolgreich führt. Jürgen Heraeus selbst gibt seine unternehmerischen Erfahrungen seitdem im Aufsichtsrat des eigenen Unternehmens und vielen anderen Gremien weiter.
Was rätst Du Unternehmen, die aktuell vor einem Generationenwechsel stehen?
Sie können zum Beispiel die bislang wenig bekannten Nachfolgebörsen nutzen, die in den letzten Jahren von größeren Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen eingerichtet worden sind. Es gibt eine zunehmende Zahl von sehr erfahrenen Managern, die großes Interesse an der Beteiligung oder gar Übernahme von mittelständischen Unternehmen haben, oftmals aber nicht wissen, wer gerade Nachfolger sucht.
Insgesamt merkt man aber, dass Unternehmer heute viel besser als vor 10 oder 20 Jahren wissen, wie und bei wem sie Rat suchen müssen, um einen strukturierten Nachfolgeprozess einzuleiten. Es ist wichtig, immer wieder Optionen und Szenarien mit den Familiengesellschaftern durchzusprechen und zu jedem Zeitpunkt einen Notfallplan zu haben. Das größte Problem ist der Verlust einer großen Unternehmerpersönlichkeit, ohne eine von allen akzeptierte Reglung, wie es nach einem solchen Ereignis weitergehen sollte. Leider gibt es auch heute noch viele solche Beispiele, nicht nur von kleineren, sondern auch größeren international aufgestellten Unternehmen.
Zur Person: Prof. Dr. Jörg K. Ritter ist Professor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personal- und Organisationsentwicklung an der Quadriga Hochschule Berlin und hat dort den MBA Leadership & Human Resources aufgebaut. Er hat zahlreiche Beiträge zu den Themen Transformation von HR und Bedeutung von Familienunternehmen verfasst, u.a. im Harvard Business Review und im Harvard Business Manager. Seit 1994 ist er als Berater und Partner im Berliner Büro der Personal- und Unternehmensberatung Egon Zehnder tätig.