Der jährlich erscheinende Gallup Engagement Index Deutschland (GEID) zeigt es eindrucksvoll: Fast jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland hat innerlich gekündigt (16 Prozent), die große Mehrheit macht Dienst nach Vorschrift (69 Prozent). Damit das nicht so ist, kommt Führungskräften eine entscheidende Rolle zu. Sie prägen mit ihrem Führungsverhalten in erheblichem Maße das Arbeitsumfeld und haben damit einen großen Einfluss darauf, wie sich ihre Mitarbeiter verhalten. Das Herausfordernde: In puncto Führungsqualität klaffen laut GEID Fremd- und Selbstbild gelebter Führung erheblich auseinander.
Nahezu alle befragten Führungskräfte in Deutschland (97 Prozent) halten sich für eine guten Chef. Doch mit der Realität hat das nicht viel zu tun. Sieben von zehn Arbeitnehmern (69 Prozent) geben an, dass sie im Lauf ihres Arbeitslebens mindestens einmal einen schlechten Vorgesetzten hatten. Dabei steht in der Regel keine Führungskraft morgens auf und möchte schlecht führen. Sieben Empfehlungen, was man/frau dagegen tun kann und was eine gute Führungskraft ausmacht.
1. Sehen Sie den Menschen im Mitarbeiter und behandeln ihn auf Augenhöhe
Es ist wichtig Mitarbeiter als Partner und nicht als Untergebene zu behandeln. Das ist nicht neu, wird aber vielfach immer noch ignoriert. Mitarbeiter wünschen sich von ihrem Chef als Mensch wahrgenommen und behandelt zu werden und nicht als Stückwerk, dass dafür da ist, Sachen abzuarbeiten. Das gelingt, indem man nicht nur die Arbeitskraft sieht, sondern die emotionalen Bedürfnisse seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennt: Was motiviert oder demotiviert sie? Wie geht es der Familie? Welche privaten Interessen hat er oder sie? Wann hat er oder sie Geburtstag? Und wie möchte die Person bei der Arbeit genannt werden? Kaum zu glauben, aber wahr: Ein Viertel der Arbeitnehmer (25 Prozent) gaben im GEID zu Protokoll, von ihrer Führungskraft im Arbeitsalltag nicht mit dem bevorzugten (Spitz-) Namen angeredet zu werden.
2. Die Stärken der Mitarbeiter erkennen und fördern
Nur jeder fünfte Arbeitnehmer (18 Prozent) erklärt, dass er in den vergangenen drei Monaten mit seiner Führungskraft ein Gespräch über seine Stärken und positiven Eigenschaften geführt hat. Doch die Möglichkeit, am Arbeitsplatz das zu tun, was man richtig gut kann, ist von insgesamt 19 abgefragten Aspekten der relevanteste Faktor für eine hohe emotionale Bindung. Führungskräfte sollten daher lieber die Stärken stärken als auf den Schwächen herumreiten.
Die Befragten des GEID geben aber an, dass im Arbeitsalltag vor allem Schwächen im Fokus stehen und kaum das Positive thematisiert wird. Der Aussage „Mein Vorgesetzter/Meine Vorgesetzte legt den Schwerpunkt auf meine Stärken und positiven Eigenschaften“ stimmt nur jeder dritte Arbeitnehmer (35 Prozent) uneingeschränkt zu. Der Zustimmungswert bleibt dabei im Vergleich zu vorangegangenen Erhebungen auf unverändert niedrigem Niveau. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich der größte Teil der Beschäftigten (65 Prozent), wenn er eine Liste mit persönlichen Stärken und Schwächen erhält, zuerst mit seinen Schwächen beschäftigt.
Von Mitarbeitern, die erklären, dass sich ihre Führungskraft auf ihre Stärken und positiven Eigenschaften konzentriert, geben 58 Prozent an, dass sie ohne Wenn und Aber jeden Tag die Möglichkeit haben, das zu tun, was sie am besten können. Von denjenigen, die der Auffassung sind, dass sich ihre Führungskraft nicht besonders mit ihren Stärken und positiven Eigenschaften auseinandersetzt, haben jedoch nur 17 Prozent den Eindruck, dass sie uneingeschränkt jeden Tag die Gelegenheit dazu haben, das zu tun, was sie am besten können.
3. Als Coach fungieren und dem Team Freiheiten lassen
Stichwort Coaching: Ein guter Coach gibt zwar Hilfestellung vom Beifahrersitz und agiert im Notfall als Airbag, greift aber nicht von der Seite ins Lenkrad. Wer das tut, riskiert, den Wagen vor die Wand zu fahren. Genau das ist die Gefahr von Mikromanagement im Unternehmen. Chefs, die zwar Aufgaben delegieren, sich dort aber weiterhin einmischen, zeigen ihren Mitarbeitern (vielleicht ungewollt), dass sie ihnen nicht vertrauen und demotivieren sie so. Wie es anders laufen kann? Gemeinsam KPIs bestimmen – und dann zusehen, wie die Mitarbeiter das Fahrzeug ans Ziel bringen. Der Leistungskontrolleur sollte im Betrieb eine Person von gestern oder vorgestern sein. Schlimm nur, dass nur vier von zehn Befragten uneingeschränkt der Auffassung sind, dass sie die Umsetzung ihrer Leistungsziele bei der Arbeit selbst verantworten (41 Prozent). Und weniger als die Hälfte der Beschäftigten sagt, dass sie es uneingeschränkt verstehen, wie ihre Arbeitsziele mit den allgemeinen Unternehmenszielen zusammenhängen (44 Prozent).
4. Ein positives Arbeitsklima schaffen
Unternehmen arbeiten zu häufig an der Verbesserung der Hygienefaktoren: am Gehalt, der Anzahl der Urlaubstage oder weiterer finanzieller Zuschüsse sowie Benefits. Klar ist, diese Aspekte haben ihre Berechtigung und müssen geregelt sein, allerdings führen sie nicht zu einer hohen emotionalen Bindung ans Unternehmen, sondern sind die Faktoren mit der geringsten Relevanz. Wichtiger für die emotionale Bindung sind die Möglichkeiten, das zu tun, was man richtig gut kann. Dieser Aspekt stellt sich als fünfmal wichtiger heraus als die Entlohnung. Großen Einfluss auf die emotionale Bindung haben auch die Faktoren Führungsqualität, eine „herausfordernde und abwechslungsreiche Tätigkeit“, die Beziehung zu den Kollegen oder die Sinnhaftigkeit der Arbeit – allesamt Aspekte, die maßgeblich im Einflussbereich der Führungskraft liegen.
5. Kontinuierliche Gespräche: mit Mitarbeitern im Dialog sein
Ein wichtiger Hebel, um emotionale Bindung am Arbeitsplatz zu erhöhen, ist der kontinuierliche Dialog zwischen Führungskraft und Mitarbeitern. Unter den Mitarbeitern, deren Vorgesetzter
in den vergangenen zwölf Monaten ein Gespräch über die Arbeitsleistung führte, liegt der Anteil der emotional hoch gebundenen Mitarbeiter bei 21 Prozent. Fand im vergangenen Jahr kein Gespräch statt, betrug der Anteil der emotional hoch gebundenen Mitarbeiter nur neun Prozent. Je häufiger Mitarbeitergespräche stattfinden, desto höher ist auch die emotionale Bindung. 41 Prozent der Arbeitnehmer, die angeben, dass ihr Vorgesetzter in den vergangenen zwölf Monaten mindestens fünf Mal mit ihnen im Austausch stand, weisen eine hohe emotionale Bindung auf. Unter denjenigen, die nur ein Gespräch geführt haben, liegt der Wert hingegen nur bei elf Prozent.
6. Mitarbeitergespräche: zukunftsorientiert und mit Klarheit führen
Die Anzahl der Gespräche zu erhöhen, reicht jedoch bei Weitem nicht aus. Auch bei der Qualität des Dialogs gibt es Verbesserungsbedarf. Nur jeder dritte Beschäftigte (31 Prozent) empfindet die Rückmeldung seines Vorgesetzten als relevant für seine Arbeit. Gerade einmal 38 Prozent sind der Auffassung, dass das Feedback ihnen helfe, die Leistung zu verbessern. Das ist ein Armutszeugnis: Denn genau das sollte das Resultat eines Mitarbeitergesprächs sein: es soll die individuellen Leistungspotenziale der Mitarbeiter freisetzen und zur Entwicklung des Einzelnen beitragen. Die Gespräche sollen immer wieder die Erwartungen, Erfolge und Hürden in den Mittelpunkt stellen – und den Blick in die Zukunft und auf das Potenzial des Mitarbeiters richten. Die Daten legen daher nahe, dass Führungskräfte besser befähigt werden müssen, wie sie Leistungsgespräche führen.
7. Weiterbildungsimpulse anstoßen
Der Arbeitsmarkt befindet sich in einem fulminanten Wandel. Es ist nicht klar, was sich alles verändert, aber dass sich durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz die Arbeitswelt verändert, bezweifelt kein Experte. Als Konsequenz ist Weiterbildung und lebenslanges berufliches Lernen unabdingbar. Führungskräfte haben dabei eine riesige Chance, Mitarbeiter emotional ans Unternehmen zu binden, wenn sie Weiterbildungsimpulse selbst anregen. Befragte, die angeben, dass Unternehmen sie unterstützen, Fähigkeiten und Fertigkeiten auszubauen, um digitale Technologien effektiv zu nutzen, sind fast dreimal so hoch emotional gebunden, als Mitarbeiter, die der Aussage nicht zustimmen (28 Prozent vs. 12 Prozent).
8. Das Try-and-Error-Prinzip beweist sich im Misserfolg
Das Try-and-Error-Prinzip gehört in der aktuellen Arbeitsmarktdebatte fest zum Erfolgsmodell moderner Unternehmen. Viele traditionelle Unternehmen haben es als Modell für sich entdeckt. Der Lackmus-Test, ob Try-and-Error als Prinzip des Unternehmens auch gelebt wird, stellt sich erst heraus, wenn Fehler wirklich passieren. Dann wird auch bei Kollegen genau hingeschaut, wie Führungskräfte auf Fehler reagieren. Nur wenn sich Führungskräfte in Krisenzeiten an das halten, was sie vorher gesagt haben, hat dies positive Auswirkungen auf Glaubwürdigkeit und emotionale Bindung. Die Fehlerkultur in Deutschland ist allerdings deutlich verbesserungswürdig. Der Aussage „Mein Unternehmen schafft ein Arbeitsumfeld, in dem sich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ausprobieren, scheitern und aus Fehlern lernen können“, stimmt lediglich jeder vierte Beschäftigte (24 Prozent) ohne Vorbehalt zu. Befragte, die angeben, dass bei ihnen eine derartige Fehlerkultur gelebt wird, sind sechsmal so hoch emotional gebunden, als Beschäftigte, die obiger Aussage nicht zustimmen (33 Prozent vs. 5 Prozent).
Harte Fakten: Emotionale Mitarbeiterbindung zahlt sich in barer Münze aus
Emotional hoch gebundene Mitarbeiter sind in vielerlei Hinsicht wichtig fürs Unternehmen: Die Langzeitergebnisse des Gallup Engagement Index belegen eindrucksvoll, dass sich eine hohe emotionale Bindung positiv auf den Unternehmenserfolg auswirkt. Die Fehlzeiten und Mitarbeiterfluktuation sind geringer. Stattdessen erhöht sich das Qualitätsbewusstsein und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Mitarbeiter als Markenbotschafter Produkte bewerben und ihr Unternehmen im Bekanntenkreis als Arbeitgeber empfehlen (Gallup Engagement Index 2019).
In diesem Kontext müssen sich Führungskräfte bewusst sein, dass sie durch ihr Verhalten einen erheblichen Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben. Denn emotionale Bindung wird im unmittelbaren Arbeitsumfeld erzeugt und der direkte Vorgesetzte ist dabei in allen Organisationsformen die wichtigste Person.
Über Gallup und den Engagement Index Deutschland
Seit dem Jahr 2001 erstellt Gallup jährlich, anhand von zwölf Fragen zum Arbeitsplatz und -umfeld, den sogenannten Q12, den Engagement Index für Deutschland. Die Studie gibt Auskunft darüber, wie hoch der Grad der emotionalen Bindung von Mitarbeitern und damit das Engagement und die Motivation bei der Arbeit ist. Für die Untersuchung werden jährlich insgesamt 1.000 zufällig ausgewählte Arbeitnehmer*innen ab 18 Jahren telefonisch interviewt (CATI, Dual-Frame: Festnetz- und Mobilfunkstichprobe). Die Ergebnisse des Gallup Engagement Index sind repräsentativ für die Arbeitnehmerschaft in Deutschland.