HR agil und beidhändig aufstellen

Personalmanagement

Dave Ulrichs Säulenmodell allein scheint nicht mehr das richtige Instrument zu sein, um HR in die Lage zu versetzen, eine zukunftsfähige Personalarbeit zu entwickeln. Es enthält keine Agilitäts- und Dynamisierungsdimension. Ein Vorschlag.

Die langwierige Debatte um die richtige organisatorisch-strukturelle Aufstellung der Personalfunktion hat bislang wenig an der Dominanz der Säulen-Aufstellung nach Dave Ulrich geändert: Die meisten Personalbereiche sind unterteilt in eine interne Kundenfunktion als Business Partner, in eine zentrale Services-Produktionseinheit für den administrativ-operativen Teil und in eine zentrale Experteneinheit für Konzepte und Prozessdesigns rund um den Mitarbeiter-Lebenszyklus.

Parallel zur bekannten Organisationsdiskussion entwickeln sich aktuell drei neue exogene Herausforderung für die HR-Funktion, auf die sie eine Antwort finden muss:

  1. Agilität: Wie sollte die HR-Funktion den allseits spürbaren fundamentalen Wandel der Gesamtorganisation in Richtung agil und digital unterstützen?
  2. Digitalisierung: Was muss die HR-Funktion in eigenen Prozessen, Technologien und Kompetenzen tun, um ihre Rolle wirksam und glaubwürdig wahrnehmen zu können?
  3. Ambidextrie: Kann die HR-Funktion die Organisationsteile des Bestandsgeschäfts und der stabilen Zentralfunktionen (etwa Finanzen/Controlling, Revision) genauso beraten und betreuen wie das Innovationsgeschäft und die wandlungsverantwortlichen Zentralfunktionen (IT, Kommunikation, Marketing)?

Erst auf Basis dieser zentralen Herausforderungen lässt sich die Frage stellen, ob Dave Ulrichs Organisationsansatz die passende Grundlage für zukunftsfähige Personalarbeit ist, die interne Kundenanforderungen voll erfüllt. Meine Antwort auf diese Frage ist deshalb „nein“, weil Ulrichs Ansatz keine Agilitäts- und Dynamisierungsdimension enthält. Denn aus meiner Sicht muss ein zukunftsfähiges modernes HR-Organisationsdesign die Ulrich-Säulen eher als grobe und zweckgebundene Jobrollen-Differenzierung nutzen und sie zwingend mit einer Ambidextrie-Perspektive nach Run & Change, oder – besser – Kerngeschäft und Innovationsgeschäft verbinden. Warum ist diese neue Perspektive so wichtig und was bedeutet Ambidextrie für HR?

Chance und Herausforderung Ambidextrie

Der Einfluss der Digitalisierung auf die Gesamtunternehmung ist durchgängig präsent und wird als immens eingeschätzt. Abhängig von Branche und Unternehmensgröße gehen Organisationen derzeit ihre eigene digitale Transformation mehr oder minder intensiv an. Die größte Herausforderung liegt dabei in der Multiplikation von häufig geschaffenen Inseln der Veränderung und Innovation in die Gesamtunternehmung. Als Framework bietet sich das Konzept der Ambidextrie an, der Beidhändigkeit von Exploitation und Exploration.

Das Ambidextriekonzept kann auf den Ebenen von Individuum, Team und eben Organisation angewendet werden. Unternehmen bilden aktuell mit wachsender Geschwindigkeit explizit und implizit die Explorationsperspektive aus – mit neuen Geschäftsfeldern, mit Innovationseinheiten und mit veränderungstreibenden Funktionen. Die HR-Funktion wird zunehmend an einer Übertragung ihres aktuellen Beratungs- und Betreuungsmodells in diesen Innovationseinheiten scheitern – ein Indikator ist etwa, dass das Business selbst die neue Jobrolle People Coach neben dem HR Business Partner etabliert!

Ambitextre HR: Übertragung auf die Personalfunktion

Aus diesem digitalen Dilemma bietet eine weiterentwickelte Aufstellung den Ausweg und macht HR zum Vorreiter. Um Ambidextrie-Aspekte in die eigene Organisation zu integrieren, sollte sich die HR-Funktion mit folgenden drei Themenfeldern beschäftigen:

  1. „Kerngeschäft“ in HR: Welche Bereiche, Prozesse oder Jobgruppen dienen mehrheitlich der Sicherstellung des laufenden Geschäfts oder gehören klar zu den grundlegenden HR Operations?
  2. Partner des Innovationsgeschäfts: Welche Jobrollen beraten und betreuen in welcher Weise die Innovationsbereiche?
  3. Change-Treiber HR: Welche weiteren HR-Produkte und -Prozesse sind für die unternehmerischen Veränderungs- und Innovationsprozesse entscheidend?

Unabhängig vom Führungsmodell kann auf diese Weise ein ambidextrer Organisationsrahmen auf die HR-Funktion gelegt werden, der unterschiedliche Performance-Ziele beinhaltet – während die bestandsorientierten Prozesse beziehungsweise Einheiten prinzipiell auf Effizienzsteigerung und digitale Automatisierung ausgerichtet werden, agieren die Veränderungs- und Innovationsprozesse beziehungsweise -einheiten mit agilem Set-up, mit diversen Kompetenzprofilen und hoher Technologie-Orientierung.

In diesem Modell verzichten wir bewusst auf einen klaren „Säulenzuschnitt“, da auch die Transmission „zwischen beiden Welten“ mit Blick auf Lernprozesse und Risikomanagement gefördert werden muss. Somit dient die ambidextre HR-Organisation als Vorbild für die Unternehmensorganisation und geht mit einer modernen Aufstellung voran.

Das Diamond Model verknüpft den Säulen-Ansatz mit Ambidextrie

Unser Vorschlag für das HR-Operationsmodell liegt in der Kombination der bewährten Rollensegmentierung nach Dave Ulrich mit den Ambidextriedimensionen, woraus sich formal eine 6-Felder-Organisation ergibt. Grade die Schärfung einer operativen HR-Partnerrolle mit People-Faktoren-Fokus und einer strategischen Partnerrolle mit ausschließlichem Business-Fokus nimmt der jahrelangen Diskussion um die Machbarkeit des klassischen HR Business Partners die Schärfe.

Wenn zu diesem zweidimensionalen Organisationsprinzip eine Botschaft zur Zielverteilung der Menschen in der gesamten HR-Funktion kommt, entsteht unser Diamond Model: Es besteht personell aus einer konzentrierten Basis in einer Shared Service Center und HR-IT-Organisation, aus einer breiten Competence-Center-Ausrichtung und einer unternehmensspezifischen Gestaltung der operativen und strategischen Beratungsrollen (siehe Abbildung).

HR Diamond Model; die Darstellung umfasst den aktuellen Stand der Ressourcenverteilung in HR resultierend aus Ergebnissen der HR-Strategie- und Organisationsstudie 2017 und das Zielbild, Abb. Kienbaum

Wenn diese erste Organisationsebene unternehmensspezifisch ausgestaltet wird, lassen sich normalerweise die wesentlichen HR-Einheiten zuordnen. Dies geschieht auf Grundlage von Geschäftsfeldern, Regionen, Business-Erfolgsfaktoren und IT-Infrastrukturen über zugehörige Jobrollen und Betreuungs-Ratios.

So entsteht ein Zielbild von HR-Prozessen und -Produkten, das gleichzeitig eine Gewichtung nach erfolgskritischen, bereitzustellenden und ersetzbaren Prozessen und Produkten beinhaltet. Das sensibilisiert für die notwendigen Prozessverantwortungen in diesen Organisationseinheiten und Jobrollen und öffnet zudem die Tür für Steuerungskennzahlen und für die kundenzentrierte Weiterentwicklung von Innovation.

Der klare aktuelle Fokus von personellen Ressourcen auf die Bestandsorganisation und klassische Operations-/Kernprozesse muss in naher Zukunft einer eigenen Transformations- und Innovationsfunktion mit ebensolchem Kundenfokus weichen, um der HR-Funktion weiterhin oder neuerdings das Kernmandat als Treiber der unternehmerischen People-Themen zu sichern.

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Walter Jochmann, Foto: Kienbaum

Walter Jochmann

Geschäftsführer, HR Transformation & Organization
Kienbaum
Dr. Walter Jochmann ist Geschäftsführer bei Kienbaum und leitet das Kienbaum Institut @ ISM für Leadership und Transformation. Jochmann betreut Großunternehmen bei der strategischen Neuausrichtung von Personalbereichen, im Changemanagement und in der Beurteilung von Top-Führungskräften. Er hat zahlreiche Publikationen zu Themen aus Personalmanagement und Changemanagement veröffentlicht.

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