1. Diverse Ansprache im Titel ist Minimum
Wer eine Stelle ausschreibt, darf potenzielle Arbeitskräfte per Gesetz nicht aufgrund des Geschlechts benachteiligen. Viele Unternehmen lösen diese Pflicht zur Gleichbehandlung mit der schlichten Angabe „m/w/d“ im Titel ihrer Stellenanzeigen. Aus psycholinguistischer Sicht ist das zu kurz gegriffen. Eine Erhebung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt, dass zwar nur zwei Prozent der Stellenausschreibungen eindeutig gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstoßen, aber über 20 Prozent der Anzeigen enthalten ein Diskriminierungsrisiko.
2. Auf die Wortwahl kommt es an
Wer sich auf eine Stelle bewirbt, hängt auch damit zusammen, welche Geschlechterstereotype in der Ausschreibung transportiert werden. Im Rahmen einer Studie der TU München klassifizierten Teilnehmende die in Stellenanzeigen verwendeten Adjektive. Während sie beispielsweise Wörter wie analytisch und durchsetzungsfähig als „männlich“ einordneten, hielten sie engagiert und zuverlässig eher für „weiblich“. Auch Job-Bezeichnungen wie Senior Manager führen dazu, dass Frauen oftmals vor einer Bewerbung zurückschrecken. Sie bevorzugen Wörter wie Teamfähigkeit oder Kommunikationsfähigkeit.
3. Männer haben geringere Bewerbungshemmschwelle
Auf Anzeigen, die zu viele männlich konnotierte Wörter enthalten, bewerben sich signifikant weniger Frauen. Gleichzeitig neigen sie dazu, jede Anforderung in einer Stellenanzeige als unerlässlich einzustufen. Sie trauen sich weniger zu (Downgrading). Männer tendieren dazu, fehlende, aber geforderte Fähigkeiten zu überlesen und sich selbst zu überschätzen.
4. Sprache wirkt unterbewusst
Vor allem in Stellenanzeigen für Führungspositionen werden vermehrt männliche Wörter verwendet, weshalb sich viele qualifizierte Frauen gar nicht erst bewerben. Dabei können sie nur selten angeben, warum sie es nicht tun. Denn Sprachverarbeitung läuft im Unterbewusstsein ab. Damit begünstigt das Wording in Stellenanzeigen, dass bestehende Strukturen erhalten bleiben. Bei gegenderten Stellenanzeigen ist es wahrscheinlicher, dass Frauen oder andere Gruppen, die bisher zu wenig repräsentiert waren, eingestellt werden.
5. Gendergerechtes Recruiting lohnt sich
Auch die Karriere-Website, gezeigte Role Models und Success Stories sind Teil eines gendergerechten Recruiting-Prozesses. Außerdem sollte reflektiert werden, in welchen Medien wie rekrutiert wird. Instagram ist beispielsweise ein Kanal, der stärker von Frauen genutzt wird.Und wer Frauen anspricht, deckt automatisch weitere Diversity-Dimensionen ab: Frauen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher sexueller Orientierung, Frauen mit Behinderung. Ein Diversity-Faktor zieht andere nach sich. Wer sich beispielsweise für non-binäres Gendern, also der Nutzung des Gendersterns oder anderer Zeichen, entscheidet, sagt damit: Wir schließen niemanden aus. Die Organisation wird dann als fairer und innovativer eingeschätzt.
6. Gendergerechte Sprache als Hebel zu mehr Diversity
Mit 16.000 Wörtern pro Tag, die wir sprechen, ist gendergerechte Sprache ein effizienter Weg, uns selbst zu erinnern, dass wir noch nicht in einer gleichberechtigten Welt leben. Im Vergleich zu vielen anderen Change-Prozessen ist sie zudem fast kostenneutral: Es entstehen keine laufenden Kosten für Beratungen, sie kostet primär persönlichen Aufwand der Sprachproduzierenden; und dieser ist von ihnen gewollt! Es geht dabei nicht um das individuelle Betroffensein à la „Ich fühle mich doch mitgemeint“, sondern um einen strukturellen Wandel unserer Arbeitswelt, der in unserer Sprache beginnt.
7. Sich nicht zu positionieren, ist keine Option!
Auch 2021 hat sich der Rat für deutsche Rechtschreibung noch nicht zu einer Gender-Norm bekannt. Unternehmen sind im Gegensatz zu Schulen und Behörden aber nicht verpflichtet, die offizielle Rechtschreibung einzuhalten. Vorreiterinnen sind Otto, Zalando oder Audi, die bereits eine eigene Gender-Guideline eingeführt haben. Gendergerechte Sprache ist eine Form des Sprachwandels – dieser hat schon immer Angst und Kritik erzeugt. Häufig haben die Gruppen, die über richtige und falsche Sprache urteilen, kaum Erfahrung mit Diskriminierung oder sprachlichen Wechselwirkungen. Es braucht eine weniger emotionalisierte Debatte und mehr Awareness für positive ökonomische Auswirkungen gendergerechter Sprache.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Status. Das Heft können Sie hier bestellen.