Dem Gastgewerbe fehlt Personal. Ein Drittel der Beschäftigten sieht laut NGG keine Zukunft in der Branche. Was läuft schief, Frau Warden?
Sandra Warden: Diese Umfrageergebnisse scheinen mir nicht repräsentativ. Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit sagen etwas anderes. Wir haben in der Coronazeit aufgrund der Lockdowns bis zu 15 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten verloren. Mittlerweile liegen wir nur noch knapp vier Prozent unter 2019. Auch die Ausbildungszahlen steigen wieder deutlich. Offenbar ist die Branche für Beschäftigte durchaus attraktiv.
Viel Stress, wenig Lohn: Die Arbeitsbedingungen stehen schon lange in der Kritik. Ist da nichts dran?
Das Gastgewerbe ist kein Nine-to-five-Job. Wir arbeiten dann, wenn Gäste uns brauchen, also auch abends und am Wochenende. Viele Beschäftigte schätzen die atypischen Arbeitszeiten und den Freiraum am Tag. Richtig ist auch, dass wir keine Löhne haben wie in manchen Industriebranchen. Man muss aber sehen, dass wir vielen Geringqualifizierten Chancen bieten. Das senkt den Gehaltsdurchschnitt. Wie so oft im Leben: Es gibt zwei Seiten der Medaille. Am Ende kommt es auf den Betrieb an, auf das Arbeitsklima und die Wertschätzung.
Ihre Mitglieder müssen sich nicht an Tarifverträgen orientieren. Was tun Sie, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern?
Wir haben Landesverbände mit zwingender Tarifbindung und andere, in denen eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung möglich ist. Letztlich ist das für die individuellen Arbeitsbedingungen nicht entscheidend. Es kommt darauf an, wie der einzelne Betrieb Personalarbeit, Organisation und Kommunikation umsetzt. Als Verband sensibilisieren und ermöglichen wir, von positiven Beispielen zu lernen. Unsere Kernaufgabe als Bundesverband ist die politische Interessenvertretung.
Was muss aus Ihrer Sicht Politik tun, um den Personalmangel zu stoppen?
Wir brauchen leichtere Zugänge zum Arbeitsmarkt, zum Beispiel durch Zuwanderung aus Drittstaaten, und eine Stärkung der dualen Ausbildung. Zudem fordern wir mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit und eine Anpassung des Arbeitszeitgesetzes.
Dazu gehört der Zwölfstundentag. Manifestiert das nicht, was die Branche zerstört?
Nein, ganz und gar nicht. Wir fordern keinen Zwölfstundentag für alle und immer, sondern die Möglichkeit für Unternehmen und Mitarbeitenden, die vereinbarten Arbeitsstunden flexibler zu verteilen. Es ist in der heutigen Zeit nicht mehr sinnvoll und oft nicht im Sinne der Beschäftigten, dass man die Höchstgrenze starr am einzelnen Tag bemisst. Es ist fairer, wenn man sich an der Woche orientiert, um zum Beispiel eine Viertagewoche und Veranstaltungen leichter zu ermöglichen.
Viertagewoche und Homeoffice haben im Gastgewerbe Grenzen. Was bedeuten die Debatten um solche Formen von New Work für Sie?
Auch wir setzen neue Arbeitszeitmodelle um. Aber Deutschland muss aufpassen, dass es nicht zu einer Zweiteilung der Arbeitswelt in Schreibtischjobs und andere kommt. Im Gastgewerbe sind wir darauf angewiesen, dass sich Menschen live und analog um Gäste kümmern. Auch darum brauchen wir mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit: um zu garantieren, dass wir als Branche unsere Stärken ausspielen und Innovationen bei der Arbeitsgestaltung leben dürfen.
Über die Gesprächspartnerin
Sandra Warden ist die Geschäftsführerin Arbeitsmark vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA).
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