Fehler bei Massenentlassungen vermeiden

Kündigung

In der sich abzeichnenden Rezession werden viele Unternehmen Entscheidungen zu Umstrukturierungen treffen müssen, die auch Personalmaßnahmen erfordern – bis hin zum Abbau von Belegschaften. Ab einer bestimmten Betriebsgröße ist der Arbeitgeber verpflichtet, dies gemäß Kündigungsschutzgesetz der Bundesagentur für Arbeit anzuzeigen und zuvor den Betriebsrat ordnungsgemäß zu beteiligen. Wollen Arbeitgeber zum Beispiel in einem Betrieb mit einer Größe von 21 bis 59 Mitarbeitenden innerhalb von 30 Kalendertagen mehr als fünf Beschäftigte entlassen, ist ein solches Verfahren nach § 17 Kündigungsschutzgesetz ordnungsgemäß durchzuführen. Fehler führen zur Nichtigkeit der Kündigungen. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 8. November 2022 (6 AZR 16/22), die – einmal mehr – zu Kündigungen im Unternehmen Air Berlin ergangen ist, erinnert daran, dass das Verfahren sehr fehleranfällig ist und mit größtmöglicher Konzentration durchgeführt werden muss.

Der Fall

Air Berlin hatte wegen der Betriebseinstellungen ab 2017 zahlreiche Kündigungen ausgesprochen. Das Bundesarbeitsgericht erklärte sie aber Anfang 2020 wegen formeller Fehler im Massenentlassungsverfahren für unwirksam. Air Berlin wiederholte die Kündigungen und sprach somit einer Flugbegleiterin vom Standort Düsseldorf am 27. August 2020 eine erneute betriebsbedingte Kündigung aus, wogegen sie Kündigungsschutzklage erhob. Der Rechtsstreit wurde vom Arbeitsgericht Düsseldorf an die Berliner Arbeitsgerichtsbarkeit verwiesen. Die Klägerin rügte erneut insbesondere formelle Fehler bei der Beteiligung der Mitarbeitervertretung und bei der Anzeige an die Agentur für Arbeit. So habe zum Beispiel die Beklagte darin nicht den Zeitraum benannt, innerhalb dessen die Entlassungen vorgenommen werden sollten.

Die Entscheidung

Die Klägerin unterlag vor dem Arbeitsgericht und vor dem Landesarbeitsgericht. Auch das Bundesarbeitsgericht wies ihre Revision zurück und entschied, dass die Kündigung diesmal wirksam war. Derzeit liegen nur die Pressemitteilungen des Bundesarbeitsgerichts vor. Die materiellrechtlichen Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung aus betriebsbedingten Gründen sahen die Gerichte wegen der Stilllegung des Flugbetriebes als gegeben an, was nicht überraschte. Es sei diesmal aber auch das Verfahren zur Massenentlassung fehlerfrei durchgeführt worden. Insbesondere reichte es aus, dass zu dem Zeitraum, innerhalb dessen Entlassungen stattfinden sollten, nur der Zeitpunkt des Beginns („ab Ende des Monats Mai 2020“) genannt wurde, da eine Reihe von Verfahrensschritten wie beispielsweise der Abschluss des Konsultationsverfahrens und der regulären Betriebsratsanhörung sowie in Einzelfällen die Einholung von Zustimmungen der Fachbehörden (etwa Schwerbehindertenfälle) noch nicht abgeschlossen sein konnten. Ausreichend war, dass die Arbeitgeberin die Mitarbeitervertretung auch in ihrem Einleitungsschreiben hierauf zutreffend hingewiesen hatte.

Checkliste

Der Arbeitgeber muss sowohl die Beteiligung der Mitarbeitervertretung als auch das Verfahren zur Erstattung der Massenentlassungsanzeige korrekt durchführen. Der aktuellen Bundesarbeitsgerichts-Entscheidung lag das Urteil des Berufungsgerichts, Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, vom 9. Dezember 2021 (5 Sa 981/21) zugrunde.

Im Folgenden werden noch einmal kritische Punkte und wesentliche Verfahrensschritte aufgezeigt.

  • Der Begriff „Entlassung“ in § 17 Kündigungsschutzgesetz meint die Kündigungserklärung, nicht erst die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses – also nicht den Kündigungstermin. Auch die Änderungskündigung und der Abschluss von Aufhebungsverträgen und Eigenkündigungen, wenn sie unter dem Eindruck einer als sicher dargestellten Kündigungsabsicht des Arbeitgebers zustande kommen, gehören laut BAG-Urteil vom 28. Juni 2018 (6 AZR 780/10) dazu. Wichtig ist auch zu wissen, dass im Falle eines Sonderkündigungsschutzes, zum Beispiel wegen einer Elternzeit, schon der Zeitpunkt des Antrages auf Zustimmung zur Kündigung bei der zuständigen Fachbehörde als „Entlassung“ gilt und nicht die Kündigungserklärung, entschied das Bundesarbeitsgericht am 26. Januar 2017 (6 AZR 442/16).
  • Die Anzeige muss der Agentur für Arbeit zugegangen sein, bevor die Kündigung zugeht. Das Datum des Eingangs der Anzeige bei der Agentur für Arbeit muss nachgewiesen werden können. Dies ist sicherzustellen.
  • Die Entscheidung zur Kündigung darf laut Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Juni 2019 (6 AZR 459/18) aber durchaus schon getroffen und die Kündigungserklärung unterzeichnet worden sein, bevor die Anzeige an die Agentur für Arbeit erstattet ist. Die Kündigung ist in ihrer Wirksamkeit nicht von der Zustimmung oder einer sonstigen Äußerung der Agentur für Arbeit abhängig.
  • Wichtig ist bei mehreren Standorten, die zuständige und damit richtige Agentur für Arbeit zu adressieren. Air Berlin hatte in der ersten Kündigung zunächst aufgrund falscher Einschätzung des Betriebsbegriffs eine Anzeige bei der Agentur für Arbeit in Berlin gestellt. Ein schwerwiegender Fehler, denn alle Kündigungen waren nichtig, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem Betrieb in Düsseldorf zuzuordnen waren und daher dort die Anzeige hätte eingereicht werden müssen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.02.2020 – 6 AZR 146/19). Es muss somit bei mehreren Standorten sorgfältig geprüft werden. Hierzu gehört die Überlegung, ob eine Sammelanzeige bei der für den Hauptsitz des Arbeitgebers zuständigen Agentur für Arbeit in Betracht kommt. Sie wäre grundsätzlich nach den fachlichen Weisungen der Agentur für Arbeit, Ziffer 17.43 , erlaubt. Eine abschließende gesicherte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts besteht dazu aber noch nicht. Der sicherste Weg ist es daher, vorsorglich bei allen in Betracht kommenden Agenturen für Arbeit die Anzeige zu erstatten. Vorsicht: Die örtliche Zuständigkeit eines Betriebsrates ist kein zuverlässiger Indikator für die zuständige Arbeitsagentur.
  • Das von der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung gestellte Formular ist vollständig und fehlerfrei ausgefüllt abzugeben. Irreführende oder widersprüchliche Angaben in der Anzeige sind zu vermeiden. Ein erläuterndes Anschreiben und eine Übersicht der geordneten und vollständigen Anlagen zum Formular sind zu empfehlen.
  • Bis auf Weiteres sollte der Anzeige an die Agentur für Arbeit auch eine Kopie der schriftlichen Unterrichtung des Betriebsrates über die geplante Betriebsänderung (Einleitungsschreiben) beigefügt werden – mit den Mindestangaben zu Gründen für die Entlassungen, der Zahl und den Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmenden, der Zahl und Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmenden, dem Zeitraum, innerhalb dessen die Entlassungen vorgenommen werden sollen, und mit den vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer gemäß § 17 Absatz 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz.
  • Das Bundesarbeitsgericht hat die Frage, ob die Übersendung einer Kopie des Einleitungsschreibens ein Wirksamkeitserfordernis für die Massenentlassungsanzeige ist, im Januar 2022 dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Bis zu einer Entscheidung sollte vorsorglich davon ausgegangen werden, dass die Kopie beizufügen ist.
  • Nach § 17 Absatz 3 Kündigungsschutzgesetz sollen in der Anzeige Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer gemacht werden. Das Landesarbeitsgericht Hessen hatte aus dem Fehlen dieser Soll-Angaben die Fehlerhaftigkeit der Anzeige hergeleitet und damit die Unwirksamkeit der Kündigungen – Urteil vom 25. Juni 2021. Das Bundesarbeitsgericht hat dazu jedoch am 19. Mai 2022 (2 AZR 467/21) entschieden, dass die Soll-Angaben gerade kein Wirksamkeitserfordernis sein sollen.
  • Der Anzeige ist außerdem eine Kopie der abschließenden Stellungnahme des Betriebsrates beizufügen. Wurde eine solche nicht abgegeben, muss der Arbeitgeber mit geeigneten Unterlagen glaubhaft machen, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige unterrichtet hat, und den Stand der darauf erfolgten Beratung darlegen.
  • Nicht selten tritt das Konsultationsverfahren zu bereits laufenden Verhandlungen über einen Interessenausgleich und den Sozialplan hinzu. Kann ein Interessenausgleich mit Namensliste gefunden werden, ersetzt dies dann die Stellungnahme des Betriebsrates.
  • Es empfiehlt sich, die Durchführung der Konsultation, aber auch der weiterhin individuell für jeden Arbeitnehmer unverzichtbaren Anhörung nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz, in einem Interessenausgleich als erfolgt zu erwähnen. Dies ist bei einer kooperativen Haltung des Betriebsrats zumeist möglich. Mit der Stellungnahme sollte der Betriebsrat erklären, dass er seinen Beratungsanspruch als erfüllt ansieht. Er soll sich zu den Entlassungen klar äußern und zudem deutlich machen, dass seine Stellungnahme abschließend ist. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können dann Fehler oder Unterlassen bei der Konsultation so gut wie nicht mehr geltend machen.

Fazit

Arbeitgeber sollten angesichts der Komplexität und der Zeitnöte, in die man im Rahmen einer Umstrukturierung geraten kann, rechtzeitig den korrekten Ablauf für die Vornahme der Kündigungen bedenken und vorbereitet sein, sollte es zum Ernstfall kommen. Eine gute Organisation der Abläufe und ein Zeitmanagement sind wichtig, um fatale Fehler und damit auch Kostenfolgen zu vermeiden.

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Helge Röstermundt, Rechtsanwalt bei Heussen

Helge Röstermundt

Helge Röstermundt ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei HEUSSEN Rechtsanwaltsgesellschaft mbH am Standort Berlin.

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