Wie viele Unternehmen steht die Deutsche Telekom vor einer großen Transformation. Neue Technologien sowie eine neue Führungs- und Unternehmenskultur werden Einzug halten in den Konzern. Ein Gespräch mit Personalvorstand Christian Illek über die enorme Herausforderung.
Als die Telekom im Sommer 25 Thesen zur digitalen Arbeitswelt auf Basis einer Expertenbefragung veröffentlichte, war klar: Darüber wollen wir mit Christian Illek reden. Es gibt nicht viele Personaler, die das Thema Arbeiten 4.0 offensiv angehen. Der Telekomvorstand ist einer von ihnen. Man merkt beim Interview schnell: Der Mann hat Drive. Er wirkt entschlossen und weiß, wovon er redet.
Herr Illek, Sie sind seit knapp einem Jahr wieder bei der Telekom. Davor waren Sie Vorsitzender der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland. Was modernes Arbeiten angeht, gilt Microsoft als Vorreiter. Hätten Sie nicht dort bleiben müssen, wenn Ihnen das Thema Arbeiten 4.0 am Herzen liegt?
Beide Unternehmen – sowohl Microsoft als auch die Telekom – stehen mit Blick auf die Digitalisierung vor einer großen transformatorischen Aufgabe. Und die ist nicht nur technologisch zu betrachten. Sondern es ist auch eine Aufgabe auf der personellen Ebene, die wir meistern müssen. Und wenn man bedenkt, dass die Deutsche Telekom 230.000 Mitarbeiter hat, ist klar, welche Dimensionen diese Herausforderung hat. Genau das hat mich gereizt. Ich bin gerne zurückgekommen, auch weil ich die Leute hier bei der Telekom wirklich mag.
Ihre Aufgabe bei der Telekom wird jedoch wesentlich schwieriger als sie es bei Microsoft gewesen wäre.
Nun gut, bei Microsoft hatte ich die Verantwortung für eine Ländergesellschaft. Bei der Telekom ist es eine weltweite Verantwortung und der Konzern ist auch um einiges größer. Was das Thema Dynamik angeht, geht der Wandel bei uns daher etwas langsamer. Wenn Sie allerdings ein Unternehmen wie die Telekom in Bewegung setzen, dann hat das auch eine entsprechende Wirkung.
Wo sehen Sie bei der Telekom hinsichtlich der Transformation den größten Handlungsbedarf?
Ich würde die bevorstehenden Aufgaben vor allem in drei Bereiche einteilen. Erstens müssen wir uns Gedanken machen, wie wir mit Hilfe von Technologie bestehende Arbeitsabläufe deutlich effizienter machen. Ein Beispiel: Wir setzen im technischen Kundenservice heute schon – dort wo keine individuelle Beratung gewünscht und notwendig ist – sogenannte Frontend-Assistenten ein. Die erstellen zum Beispiel automatisierte Antworten und entlasten die Mitarbeiter von eintönigen Routineaufgaben. Damit nehmen wir den Produktionsfaktor Mensch in diesem Bereich aus der Wertschöpfung heraus. Zweitens sagen wir: In der Telekommunikation und in den angrenzenden Bereichen findet so viel Innovation statt, dass wir uns ein Stück vom Kuchen sichern wollen. Deshalb müssen wir uns ebenfalls mit den Chancen der Digitalisierung auseinandersetzen.
Und der dritte Punkt ist die Art, wie wir arbeiten. Die wird nämlich grundlegend anders: Wir werden uns von geschlossenen in offene Systeme bewegen; wir werden mehr in Netzwerken agieren; wir werden partizipativer arbeiten. Das alles bedeutet, dass sich sowohl das Arbeitsumfeld für jeden Mitarbeiter als auch das Führungsverständnis ändern werden. Das Thema wird also sehr viele Menschen im Unternehmen betreffen.
Was passiert mit den Menschen, die durch Roboter im technischen Kundenservice ersetzt werden?
Es gibt seit etlichen Jahren einen kontinuierlichen Umbau in der Industrie. Ich erinnere nur mal an die Fertigungsautomatisierung in der Automobilindustrie oder die Einführung der EDV in die Querschnittsfunktionen. Auch damals sind Berufsfelder beziehungsweise Tätigkeiten verloren gegangen und gleichzeitig neue entstanden. Das wird sich nicht ändern. Wir können uns diesem Thema nicht entziehen, denn natürlich sind wir bezüglich unserer Kernprozesse immer wieder gefordert, effizienter zu werden. Technologie hilft uns dabei. Gleichzeitig ermöglicht uns – das will ich nochmals betonen – die Digitalisierung eine große Gestaltungschance. An einer Stelle fallen zwar Tätigkeiten im Konzern weg, an anderer Stelle entstehen dafür wiederum neue Bedarfe. Es ist ein dynamischer Wandel im Unternehmen, der nicht neu ist. Er wird durch die Digitalisierung lediglich beschleunigt.
Vermutlich sind jedoch die Jobs, die neu entstehen, anspruchsvoller als die, die wegfallen. Zudem erreichen Internetunternehmen, die gar keine eigenen Produkte anbieten, sondern ihre Geschäfte über Plattformen machen, ihre hohe Marktkapitalisierung mit wesentlich weniger Mitarbeitern als traditionelle Unternehmen.
Das ist so. Es gibt Studien aus den USA, die deutlich zeigen, dass die Produktivitätsgewinne nicht „eins zu eins“ mit positiven Beschäftigungsentwicklungen einhergehen. Diese Entkopplung kann man seit den 2000er Jahren beobachten. Ob sich dieser Trend langfristig fortschreiben lässt, muss man noch sehen. Aber wir müssen uns damit auseinandersetzen. Ein eklatantes Beispiel der Entkopplung der Beschäftigung von der Wertschöpfung in der Netzwerkökonomie war beispielsweise der Kauf von WhatsApp für 19 Milliarden Dollar durch Facebook. WhatsApp hatte nicht mal hundert Mitarbeiter.
Wird sich die Telekom zukünftig noch mehr zu gesellschaftlichen Themen äußern?
Wir tun das bereits. Wenn man den Einfluss der Digitalisierung auf Wertschöpfungsketten und Geschäftsfelder thematisiert, dann muss auch eine gesellschaftliche Debatte geführt werden. Und wir als Unternehmen sind gefragt, uns daran zu beteiligen: Was heißt denn Digitalisierung nach vorne? Wie bei jedem technischen Fortschritt gilt: Nicht alles, was denkbar ist, muss gemacht werden. Auf der anderen Seite sollten wir in Deutschland aber noch mehr ausprobieren und uns auf Innovationen einlassen. Das Letzte, was wir in Bezug auf die Digitalisierung hierzulande gebrauchen können, ist ein permanenter Angstzustand, der uns lähmt.
Die Deutsche Telekom hat 2015 zusammen mit der Universität St.Gallen eine Studie zur Arbeitswelt von morgen veröffentlicht, die für einiges Aufsehen gesorgt hat. Herausgekommen sind 25 Thesen zu Arbeiten 4.0. Das war ein Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte. Es ist unter anderem von der Führung auf Distanz und vom Wandel von der Präsenz- zur Ergebniskultur die Rede, der nötig wird. Wie weit ist man da bei der Telekom?
Virtuelle Führung gilt nicht für alle Bereiche gleichermaßen. Aber sie nimmt zu, zum Beispiel weil Mitarbeiter zuhause arbeiten, von unterwegs, oder generell die Zusammenarbeit über Collaboration-Tools zunimmt. Dort, wo über Netzwerke geführt wird, hat man als Führungskraft natürlich nicht mehr den täglichen Zugriff auf die Mitarbeiter. Die Führungskraft muss lernen mit einem Stück Kontrollverlust umzugehen – aber ohne die Kontrolle ganz zu verlieren. Auf der anderen Seite müssen Mitarbeiter lernen, Verantwortung zu übernehmen und die Freiheitsgrade, die sie bekommen auch wahrnehmen und sich weitgehend selbst organisieren. Das ist anders als die klassische 8-bis-17-Uhr-Welt, in der man in einem Büro unter permanenter Beobachtung der Führungskraft steht. Dieses neue Miteinander müssen alle gemeinschaftlich lernen. Da sind wir dabei.
Ist bei Ihnen HR ein Treiber dieser Entwicklung?
Ja, wir sind ein ganz massiver Treiber. Ein Beispiel ist die Etablierung einer weltweiten virtuellen Collaboration-Plattform. Die ist uns besonders wichtig. Ich bin ein großer Befürworter der virtuellen Zusammenarbeit, die ich aus der Microsoft-Zeit kenne. Wir sind diesbezüglich natürlich auch abhängig von den Entwicklungszyklen unserer IT.
Entwickeln Sie was Eigenes?
Nein, wir kaufen das ein, da gibt es genug Standard-Software am Markt. Es geht auch nicht um das Tool, sondern um die Arbeitskultur und die Abläufe.
Wir haben im Übrigen auch schon ein internes soziales Netzwerk, das mehr als 100.000 aktive Nutzer hat. Und wir nutzen Videokonferenzen oder Tools wie WebEx. Wir haben jedoch noch keine standardisierte, weltweite Plattform im Konzern im Einsatz. Das muss aber das Ziel sein, wenn man das Potenzial aller Mitarbeiter gleichermaßen nutzen will.
Wenn HR ein Treiber des Wandels sein soll, schauen Sie sich dann auch bestehende Prozesse und Instrumente an, ob sie noch zeitgemäß sind? Gibt es konkrete Änderungspläne?
Zum einen haben wir unter anderem eine neue Einheit gegründet, die „Digital and Innovation“ heißt. Die hat nichts anderes zum Ziel, als sich Gedanken zu machen, wie man HR-Prozesse digitalisieren kann. Das ist vor allem eine Scouting-Aufgabe: Was gibt es da draußen in der Welt für digitale Tools, die uns zum Beispiel beim Thema Recruiting oder der Payroll-Administration helfen könnten? Zum anderen haben wir uns insbesondere bei der Performance-Bewertung davon gelöst, alle Mitarbeiter nur nach harten KPIs zu führen. Mittlerweile schauen wir auf zwei Ebenen: die What-Ebene, die in der Regel auf KPI zielt, und die How-Ebene, bei der es darum geht, wie die Leitlinien unseres Unternehmens gelebt werden. Wir haben drei Themen, die uns bei Führungskräften ganz besonders wichtig sind: Innovation, Zusammenarbeit und wie Führungskräfte ihre Mitarbeiter befähigen und fördern. Performance auf diesen Gebieten ist natürlich nicht so leicht zu messen, aber uns ist klar geworden, dass es schwerer wird, eine Aussage über die Zukunft zu treffen, weil sich das Umfeld immer stärker und schneller ändert.
Die Arbeitswelt, die in den 25 Thesen geschildert wird, kommt mir etwas kühl vor. Es ist kaum die Rede vom Arbeitgeber, der sich um seine Mitarbeiter kümmert, der zumindest die Besten versucht zu umwerben. In den Thesen heißt es beispielsweise: „Nicht mehr die Organisationszugehörigkeit, sondern nur noch die fachliche Expertise leitet Loyalitäten“. Auch das Thema Kultur spielt keine Rolle. Wird sie unwichtiger?
Es ist keine Schwarz-Weiß-Aussage, sondern es geht um eine Gewichtsverschiebung. Aber in der Tat glauben wir daran, dass in einer digitalisierten Ökonomie die lebenslange Zugehörigkeit zu einem Unternehmen für einen Teil der Mitarbeiter nicht mehr so relevant sein wird. Sondern sie werden ihre Arbeit und Fähigkeiten global anbieten. Die digitale Technik hat den Faktor Arbeit mobil gemacht und zunehmend globalisiert. Dieser Trend wird sich verstärken.
Spielen Unternehmenswerte in dieser Welt keine Rolle mehr?
Unternehmenswerte spielen immer eine Rolle. Und sie sind – unabhängig von der technologischen Umgebung – nicht zu hinterfragen. Unsere Werte wie zum Beispiel Integrität oder Wertschätzung sind zeitlos. Was sich allerdings ändern muss, ist die Kultur. Ich denke nicht, dass eine Kultur statisch ist. Sie sollte sich in einem Unternehmen entsprechend entwickeln und wird natürlich auch durch das externe Umfeld beeinflusst. Das gilt ebenfalls für die Telekom.
Ihr Unternehmen ist sehr groß und es gibt unglaublich viele unterschiedliche Jobprofile. Sie haben ja auch nicht nur Wissensarbeiter, sondern ebenfalls sogenannte Blue-Collar-Mitarbeiter. Ist die Verschiedenheit der Jobs vielleicht die größte Herausforderung in Bezug auf den Wandel?
Ja. Deshalb gibt es für die Telekom auch keine einfache Lösung. Wir können nicht einen einzigen Ansatz über alle Berufsgruppen ausbreiten, weil wir – wie Sie sagen – vielfältige Beschäftigungsbereiche haben. Die Digitalisierung wird im Übrigen auch in ganz erheblichem Maße die sogenannten White-Collar-Mitarbeiter betreffen. Viele Arbeiten, die früher von Menschen gemacht wurden, können heute Algorithmen ausführen, zum Beispiel Gerichtsurteile auslesen oder Börsennachrichten erstellen. Die Digitalisierung ist ein heterogenes und komplexes Feld. Wir müssen uns bei der Telekom in Bezug auf jedes einzelne Jobprofil mit den Implikationen auseinandersetzen, denn sie sind für jedes Berufsfeld anders. Deshalb bin ich der Meinung, dass man das Thema nicht top-down treiben sollte. In der Zentrale sehen Sie einfach nicht in der Breite die Details eines Geschäftes. Es gilt, ein Umfeld zu schaffen, in dem Digitalisierung so positiv aufgenommen wird, dass die einzelnen Einheiten von sich aus zum Beispiel sagen: „Diese Technik wollen wir gerne auch bei uns einsetzen.“ Oder: „Das macht für uns keinen Sinn, aber diese technologische Möglichkeit würde uns voranbringen.“ Es geht darum, zu verstehen und dann zu entscheiden.
Spüren Sie Unsicherheit bei den Mitarbeitern, was den Wandel angeht?
Jede Form von signifikantem Wandel führt zu Unsicherheit im Unternehmen. Deshalb ist es so wichtig, ihn kommunikativ zu begleiten und aufzuklären.
Sie haben von HR als Treiber gesprochen. Sollten die Personaler dann nicht schon jetzt vorne dabei sein in Sachen Digitalisierung?
Ich glaube, dass heute niemand vollumfänglich die Implikationen der Digitalisierung versteht. Das gilt natürlich ebenfalls für HR. Eine wichtige Voraussetzung, um den Wandel ein Stückweit treiben zu können, ist, das Geschäft des Business Partners zu verstehen. Erst dann kann ich entsprechende Hilfestellungen geben. Auch die vorhin erwähnten Plattformen sind wichtig, damit Netzwerke entstehen, in denen ein Informationsaustausch in der Breite stattfindet und nicht nur in einem elitären Zirkel. Dort, wo wir es können, sollten wir natürlich selbst Vorreiter sein. Aber das Ganze ist ein Lernprozess, bei dem niemand das finale Zielbild kennt.
In einer These heißt es, dass nicht formale Qualifikationen, sondern ausschließlich technisches Können über die Employability entscheidet. Heißt das, junge Menschen können sich den Masterabschluss und Soft Skills sparen?
Es ist eine provokante These. Man soll sich an ihr reiben. Sicher ist: Lebenslanges Lernen wird uns heute und in der Zukunft begleiten. Mit einer formalen Qualifikation ist es nicht getan. Zudem muss die Digitalisierung, um sie zu meistern, verstanden werden. Wir haben jedoch noch kein ausreichendes Digitalisierungsverständnis. Das ist ein Grund, warum ich mich zum Beispiel dafür stark mache, dass Informatik Pflichtfach in der Schule wird. Informatik ist von der Bedeutung heute vergleichbar mit Englisch. Soft Skills wie Team- und Kommunikationsfähigkeit fallen damit allerdings nicht unter den Tisch.
Und was mir noch wichtig ist: Wir müssen – auch bei der Telekom – Kreativität noch mehr fördern, damit die Leute lernen, die Klaviatur der technischen Möglichkeiten zu spielen und sie zum Beispiel in Produkte und Services zu übersetzen. Neben technischem Rüstzeug brauchen unsere Mitarbeiter ein freies Denken, damit das Innovationspotenzial wirklich genutzt werden kann.
Studie „Arbeit 4.0“
Im Sommer 2015 veröffentlichte die Deutsche Telekom zusammen mit der Universität St.Gallen eine Studie sowie 25 Thesen zu „Arbeit 4.0“. Für das Projekt wurden weltweit Experten zu den Megatrends digitaler Arbeit befragt. Eine der Thesen lautet, dass die Bindung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich auflöst. „Flexible Arbeits- und Kooperationsformen führen dazu, dass Arbeitnehmer ständig mit einem Bein im Arbeitsmarkt stehen. Systematische Personalentwicklung wird so erschwert. Gleichzeitig steigen Erwartungen und Ansprüche der Mitarbeiter an unmittelbar nutzbare Qualifizierungen.“ Eine weitere These ist überschrieben mit „Matching per Mausklick“. Die Experten nehmen an, dass zukünftig die passgenaue Vergabe von Aufträgen an digitale Arbeitskräfte erleichtert wird, weil diese in Form „individueller Datenpakete“ quantifiziert werden können – ihre Kompetenzen, Erfahrungen und Kapazitäten. „Personalauswahl wird weniger intuitiv, aber auch weniger an kultureller Passung orientiert.“