Ganze 129 Minuten lang geht es um die Machenschaften und den Machtmissbrauch eines Mannes, dessen physischer Erscheinung im Film höchsten 40 Sekunden eingeräumt werden. Ein Sinnbild dafür, dass die verborgenen Übergriffe Harvey Weinsteins bereits jahrelang in der Filmbranche bekannt waren, die Macht des Filmmoguls die meisten jedoch zum Schweigen brachte.
Um die Macht über das Wort der Opfer zurückzuerlangen, bissen sich die Journalistinnen Megan Twohey (gespielt von Carrey Mulligan) und Jodi Kantor (Zoe Kazan) an der Aufarbeitung der zahlreichen sexuellen Vergehen Harvey Weinsteins fest. She Said ist dabei ein Film der Opfer, der dem Täter nicht noch mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden lässt und in seiner schonungslosen Abhandlung den Machtmissbrauch unanfechtbar macht. Dabei ist kein bisschen nackte Haut, keinerlei sexuelle Handlung zu sehen. Es reichen die Berichte und Beschreibungen der Opfer, um dem Publikum einen kalten Schauer über den Rücken zu jagen.
Und man fiebert mit. Man hofft inständig, dass Twoheys oder Kantors Handy klingelt, weil ein weiteres Opfer die Vorwürfe samt Klarnamen publik machen will. Im Affekt lässt sich jedoch leicht vergessen, dass es sich bei diesem Wettrennen nicht um das Erreichen einer klar abgesteckten Ziellinie handelt, sondern dass Existenzen, die bereits einmal zerstört wurden, ein zweites Mal auf dem Spiel stehen und es um nichts Geringeres geht als um Wahrheit und Gerechtigkeit.
Die Inszenierung dieses großen Kampfes sowie die kleinen individuellen Konflikte, die sich im Widerspruch von Karriere und Privatleben ergeben, gelingt der deutschen Regisseurin Maria Schrader auf einfühlsame und gar minimalistische Art und Weise. Der Film verdeutlicht die teils prekären Arbeitsumstände der Opfer und dokumentiert das Heranwachsen jener jungen Frauen, die sich mit dem Geschehenen mehr oder weniger gut arrangiert haben. Schrader benötigt dafür auch keinerlei übertriebene Dramatisierung à la Weinstein-Hollywood.
Der Film endet mit der Veröffentlichung der Recherche am 5. Oktober 2017 in der New York Times. Diese stieß eine weltweite Protestbewegung an und brachte Harvey Weinstein hinter Gitter, wo er immer noch eine Haftstrafe von insgesamt 23 Jahren verbüßt. She Said hinterlässt einen Nachgeschmack, der dazu anregt, besonders im Arbeitskontext Aufmerksamkeit walten zu lassen. Denn es braucht nicht immer einen millionenschweren Filmproduzenten und aufstrebende Regieassistentinnen, um geschlossene Türe nicht zu hinterfragen und das Verborgene dahinter durch eine Wand des Schweigens einfach verschwinden zu lassen.
Das Drama She Said kam am 8. Dezember 2022 in die deutschen Kinos. Maria Schrader, die schon für Unorthodox mit dem Emmy ausgezeichnet wurde, führte Regie. Die Filmarbeiten fanden unter anderem in den Büroräumen der New York Times statt, die aufgrund der Homeoffice-Regelungen der Coronapandemie leer gefegt waren.
Weitere Beiträge zum Thema:
- Was gilt bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?
- Richtiger Umgang mit Beschwerden über sexuelle Belästigung
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Sichtbarkeit. Das Heft können Sie hier bestellen.