„Optimismus macht flexibel“

PMK 2023

Frau Bentele, es schmücken Sie eine Vielzahl von beeindruckenden Titeln. Wie stellen Sie sich am liebsten vor?

Verena Bentele: Das ist abhängig von Situation und Kontext. Repräsentiere ich den Sozialverband VdK, dann bin ich die Verbandspräsidentin und Landesvorsitzende des VdK Bayern. Im Privaten, zum Beispiel bei Seminaren und Veranstaltungen, bin ich dann schon eher die ehemalige Leistungssportlerin, zwölffache Paralympics-Siegerin und Personaltrainerin. Und manchmal bin ich auch einfach nur die Verena. Dabei ist es mir wichtig zu erwähnen, dass ich diese Ämter und Titel zwar alle erfülle, deren Reihenfolge aber keinerlei Gewichtung hat.

All diese Funktionen sind sehr unterschiedlich. Gibt es da auch Parallelen?

Viele meiner bisherigen Karriereschritte sind kaum miteinander vergleichbar, sie profitieren aber in jedem Fall voneinander. Gerade aus dem Training als Profisportlerin nehme ich täglich viel für meine Coachings und politische Arbeit mit. Auch die Disziplin, um all meine Aufgaben zu stemmen, wäre ohne das konsequente Training und die große Ausdauer für die sportlichen Leistungen wohl kaum derartig ausgeprägt. Der Profisport hat mich ebenfalls gelehrt, wie wichtig es ist, ein klares und erreichbares Ziel vor Augen zu haben. Als Sportlerin habe ich gelernt, dass die Menschen im direkten Umfeld von den eigenen Zielen wissen müssen, um diese dann auch zu ihren eigenen zu machen, damit sie gemeinsam verfolgt werden können.

Wie wichtig ist Vertrauen in Ihrer täglichen Arbeit?

Im Gegensatz zu den meisten Menschen, egal ob sie sehen oder nicht, nehme ich das Vertrauen, das gegeben als auch genommen wird, sehr bewusst wahr. Das Vertrauen in andere stärkt mich und befähigt mich dazu, Grenzen zu überwinden und neue Erfahrungen zu sammeln. Wir können mehr, als wir uns zutrauen. Um diese Potentiale zu erfahren, sind Mut und Vertrauen entscheidend. Um beispielsweise sportliche Ziele zu erreichen, muss ich meinen Begleitläufern vertrauen können, da diese mich durch klare Anweisungen durch die Spur führen und mir so den Weg zum Ziel ermöglichen. Andere Menschen haben oft die Vorstellung, dass ich vertrauen muss, weil mir nichts anderes übrig bleibt als blinde Sportlerin, die von anderen abhängig ist. Ich würde das anders sehen: Wir alle sind von anderen Menschen abhängig. Bei mir ist der Zeitpunkt der Abhängigkeit im Wettkampf klar definiert. Das ermöglicht mir aber auch genau für diesen Moment, die beste Unterstützung zu erhalten. Vertrauen heißt deshalb für alle Menschen, dass sie den Mut haben sollten, die richtige Unterstützung zu geben oder anzunehmen. So ersparen wir uns alle viel Zeit und Energie dafür, andere zu kontrollieren und uns abzusichern.

Sportlich schenken Sie vor allen Ihren Begleitläufern Vertrauen. Wenn Sie auf den Skiern stehen, auf dem Fahrrad sitzen oder in den Laufschuhen stecken, sind die Begleitläufer mit Ihnen über ein Kopfhörersystem oder physisch mit einem Strick oder Tandem verbunden, um so Ihre Sicherheit zu garantieren. Gibt es dazu im Arbeitsalltag ein Äquivalent?

Ich bin absolut davon überzeugt, dass ein Begleitläufer in jeder Lebenssituation hilfreich und wichtig ist. In meiner persönlichen Arbeit sind all die Menschen, die mich in meinem Wirken begleiten, auch zeitgleich Begleitläufer. Damit meine ich mein direktes Team, aber auch die Geschäftsführung, das Präsidium und meine Referentinnen. Denn sie alle unterstützen mich, indem sie beispielsweise Inhalte vorbereiten oder mich auf Veranstaltungen begleiten. Genauso fungiere ich aber auch ich als Begleitläuferin – sei es für meine 2,2 Millionen VdK-Mitglieder weil ich für ihre Interessen eintrete, oder auch für die Menschen, denen ich beim Coaching einen neuen Zugang zum Thema Vertrauen vermittle. Ich erlebe oft, dass Menschen nach Rückschlägen und Niederlagen Vertrauen eher als Risiko, denn als Chance begreifen. Hier kann ich als Begleitläuferin für positive Veränderung sorgen durch Übungen und das Teilen von Erfahrungen. Wer in der Lage ist, zu vertrauen und Aufgaben abzugeben, kann sich auf das konzentrieren, worin er oder sie richtig gut ist.

Vertrauen abzugeben kann aber immer auch zum Risiko werden. Wie gehen Sie mit Risiken um?

Mit Extremsport-Events wie einer Kilimandscharo-Besteigung oder dem Trondheim-Oslo-Radmarathon über 540 Kilometer habe ich mir immer wieder bewusst Risiken gesucht. Aber auch im Arbeitsalltag gehe ich natürlich kleinere und größere Risiken ein. So auch die Aufstellung zur Wiederwahl als VdK-Präsidentin. Nach fünf Jahren zu erfahren, wie die eigene Arbeit gesehen wird, ist ein spannender Moment. Meine Einstellung zum Risiko ist wohl eher eine Sportliche. Immer, wenn wir etwas erreichen wollen, ist das Scheitern eine Möglichkeit. Jedoch ist das Scheitern nicht das Ende aller Möglichkeiten. Diese Haltung hilft mir für ein Stück mehr Gelassenheit.

Wann fühlen Sie sich aufgrund Ihrer Behinderung am unflexibelsten?

Immer dann, wenn ich merke, dass ich nicht alleine klarkomme. So zum Beispiel bei Veranstaltungen, bei denen ich mit einer bestimmten Person sprechen möchte, meine Begleitung aber gar nicht weiß, wie diese Person aussieht. Da wären meine eigenen Augen schon praktisch. Dass es gerade auf Veranstaltungen immer die anderen sind, die auf mich zukommen müssen, widerspricht eigentlich auch meiner Persönlichkeit. Am liebsten würde ich mich selbst ins Getümmel stürzen, doch die Blindheit macht es natürlich schwieriger, auf andere zuzugehen und Situationen aus der Ferne einzuschätzen. Es kommt zwar äußerst selten vor, aber manchmal würde ich auch gerne einfach aufstehen und mich einer Situation entziehen. Aufgrund der Blindheit ist das organisatorisch komplizierter in einer für mich unbekannten Umgebung. Mitunter am unflexibelsten ist aber eigentlich, nicht einfach auf das Fahrrad steigen zu können, um zum Beispiel zur Arbeit zu kommen.

Das ist besonders bedauernswert, wenn das Wetter stimmt.

Ich hätte lieber manchmal zerzauste Haare vom Radeln als eine volle Bahn am Morgen. Doch es gehört auch zur Flexibilität dazu, sich damit zu arrangieren und dem nicht nachzuweinen. Würde ich einmal anfangen, meine Hürden als etwas zu begreifen, das mich aufhält, würde ich aus dem Quengeln nicht mehr herauskommen. Sich nur auf das zu konzentrieren, was man nicht kann, macht durchweg unglücklich, daher setze ich voll auf gesunden Optimismus. Und Optimismus macht flexibel!

Vieles in unserem täglichen Umfeld ist jedoch auf Menschen ohne Behinderung ausgelegt. Haben Sie Empfehlungen für die Umgestaltung von Büroräumen, sodass diese auch ohne Probleme von sehbehinderten Menschen genutzt werden können?

Recht einfach umsetzbar ist beispielsweise das Umstellen von Tischen und anderen Möbeln, sodass ich ohne Probleme und ohne die Gefahr gegen etwas zu stoßen durch den Raum gehen kann. Da empfiehlt sich eine Leitlinie oder ein breiter Gang, der die Räumlichkeiten klar einteilt. Etwas schräg zu stellen, macht die Orientierung schwieriger. Relevant wäre auch ein ruhiges Arbeitsumfeld. Ist der Lautstärkepegel zu hoch, kann ich mich nur schlecht am Schall der Wände orientieren und an wirkliche Konzentration ist da kaum zu denken.

Eine derartige Umgestaltung könnte zu mehr Teilhabe von seheingeschränkten Mitarbeitenden führen. Haben Sie weitere Anforderungen, die Sie an eine integrative Personalführung stellen?

Es benötigt auf jeden Fall eine stärkere potenzialgestützte Führung. Wir müssen nach dem Ausschau halten, was Menschen besonders gut können und wozu sie in der Lage sind. Dies ist aber leider weiterhin nicht allzu verbreitet. Alle Menschen, bei denen etwas anders ist, leiden darunter, wenn Vorurteile eher wahrgenommen werden als Möglichkeiten. Auch ich persönlich muss dies als Führungskraft kontinuierlich hinterfragen. Denn das Leistungsvermögen aus einer Person herauszukitzeln, erfordert auch, dass man sie mit vermeintlichen Schwächen konfrontiert und dazu anleitet, neue und bisher unbekannte Höhen zu erklimmen.

Verena Bentele ist Keynote-Speakerin beim diesjährigen Personalmanagementkongress am 22. und 23. Juni 2023 in Berlin. Alle Infos zum Programm finden Sie hier.

Neben ihrem Job erfüllen Sie außerdem noch ein Ehrenamt als Vizepräsidentin des Deutschen Olympischen Sportbundes. Wie flexibel muss man sein, um Beruf und Ehrenamt miteinander zu vereinbaren?

Erstmal finde ich es klasse, dass so viele Menschen in Deutschland ein Ehrenamt ausüben. Von mir und vielen anderen weiß ich, dass das Ehrenamt uns allen viel gibt an Erfahrungen und Möglichkeiten, etwas zu gestalten. Um neben dem Beruf ein Ehrenamt zu bestreiten, braucht es auf jeden Fall zeitliche und thematische Kapazitäten. Man muss sich auf unterschiedliche Anforderungen und Gegebenheiten einstellen können, die ständig auch parallel laufen. Und es braucht die intrinsische Überzeugung. Denn ich nehme mein Ehrenamt nicht als Zusatzbelastung wahr, sondern als sinnstiftende Bereicherung. Natürlich bedeutet dies auch, dass ich viel Zeit und Energie auf etwas verwende, dass sich nicht im klassischen monetären Sinn auszahlt, mich dafür aber emotional umso mehr erfüllt. Aber zu jedem Engagement muss auch die Fähigkeit und Flexibilität gehören, mal Nein sagen zu können. Auch ich musste das erst lernen.

© Silvia Béres
© Silvia Béres

Verena Bentele ist zwölffache Paralympics-Siegerin im Biathlon und Langlauf. Nach dem Ende ihrer Profisportkarriere im Jahr 2011 arbeitet sie nun als Keynote-Speakerin und Coachin für Personalentwicklung. Seit 2018 ist sie Präsidentin des Sozialverbandes der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands (VdK) und vertritt seit 2021 den Deutschen Olympischen Sportbund ehrenamtlich als Vizepräsidentin.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Flexibilität. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Jasmin Nimmrich, Volontärin Human Resources Manager

Jasmin Nimmrich

Volontärin
Quadriga Media GmbH
Jasmin Nimmrich war Volontärin beim Magazin Human Resources Manager. Zuvor hat sie einen Bachelor in Politik und Wirtschaft an der Universität Potsdam abgeschlossen.

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