Der viel diskutierte Mangel an Arbeitskräften ist aktueller denn je. Erst im Januar veröffentlichten nahezu sämtlichen Branchenverbände – vom Bitkom über das deutsche Handwerk bis hin zur Deutschen Industrie- und Handelskammer oder dem Beamtenbund – Statements, die den Engpass an Mitarbeitenden als das drängende Problem darstellen, das es ist. Keine Frage: 2022 wird das Jahr der Mitarbeitersuche für Arbeitgeber. Und es wird gleichzeitig das Jahr der Jobsuche für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Denn zu Beginn des Jahres veröffentlichte das Trendence-Institut eine Umfrage zu den Vorsätzen der Deutschen für das vor uns liegende Jahr. Das Ergebnis: Die Deutschen schmieden in erster Linie berufliche Pläne. Viele von ihnen setzen dabei einen Jobwechsel auf ihre persönliche Agenda.
Kein Wunder, denn es sind die Kandidatinnen und Bewerber, die von ihrem gestiegenen Marktwert profitieren. Die Selektionslogik im Recruiting-Prozess ist längst auf ihre Seite gewechselt. Sie suchen sich den Arbeitgeber aus und nicht mehr umgekehrt.
Vor diesem Hintergrund hat Joblift eine Studie umgesetzt, die sich mit den Erwartungen an den Bewerbungsprozess gefragter Arbeitskräfte auseinandersetzt. Mehr als 1.000 Teilnehmende verrieten dabei welche Bewerbungsanforderungen aus ihrer Sicht verzichtbar sind, welche ihnen besonders große Schwierigkeiten bereiten und welche in diesem Zuge die dringend von den Unternehmen erwarteten Bewerbungen verhindern. Die Ergebnisse, vor allem hinsichtlich des Bewerbungsschreibens, lassen sich in zukunftsfähige Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber übertragen, die gefragte Talente gewinnen und eben nicht verlieren möchten.
Mehr Bewerbungen durch den Verzicht auf ein Anschreiben
Gemäß der Joblift-Studie fällt es insgesamt 37 Prozent aller Befragten schwer, ein Bewerbungsschreiben zu erstellen. Vor allem junge Jobsuchende haben ihre Schwierigkeiten damit – mehr 54 Prozent von ihnen gibt dies in unserer Studie an. Auch berufserfahrenen Arbeitskräften geht es nicht anders. 43 Prozent der 30-39-jährigen finden das Anschreiben schwierig und auch bei den 40-49-jährigen liegt der Anteil mit 39 Prozent noch im überdurchschnittlichen Bereich.
Die Folge: Besonders hoch in der Bewerbergunst stehen Arbeitgeber, die bei der Talentsuche auf das so unbeliebte Anschreiben verzichten. Ein solches Zugeständnis birgt dann sogar Chancen auf mehr Bewerbungen. Denn rund ein Drittel unserer Studienteilnehmenden (32 Prozent) würden sich eigenen Angaben zufolge öfter bewerben, wenn der Verzicht auf das Bewerbungsschreiben die Regel wäre – bei jungen Befragten liegt dieser Anteil gar bei 52 Prozent.
Wer Jobinteressierte zwingt, ihren USP herausstellen, muss das auch als Arbeitgeber selbst tun
Interessant: Arbeitgeber, die in ihren Bewerbungsrichtlinien weiter auf einem Anschreiben bestehen, plagen Bewerberinnen und Kandidaten in erster Linie mit inhaltlichen Problemen, weniger mit formalen. Denn den allermeisten fällt es schon einmal schwer sich selbst prägnant in Szene zu setzen. 86 Prozent der Befragten wissen zudem nicht recht, ihren USP gegenüber der Konkurrenz herauszustellen. Dazu kommt: Gut drei Viertel der Studienteilnehmenden tun sich schwer damit, den eigenen Wert zu benennen. Sie offenbaren Schwierigkeiten, die eigenen Gehaltsvorstellungen zu beziffern. Weitere Stolpersteine: den konkreten fachlichen Nutzen zu umschreiben sowie eine Begründung dafür zu formulieren, warum man sich ausgerechnet bei diesem Arbeitgeber bewirbt.
Nun mögen erfahrene Arbeitgeber zwar einwerfen, dass genau diese inhaltlichen Anforderungen eben die gebotene Herausforderung für Personen darstellt, die ja aufgrund ihrer Unterlagen einen neuen Arbeitgeber für sich einnehmen möchten. Genau das ist aber die falsche Herangehensweise. In einem Bewerbermarkt, in denen die Zahl der suchenden Arbeitgeber größer ist als die der qualifizierten Talente, sind es eher die Arbeitgeber, die sich unverwechselbar darstellen müssen, den Wert der potenziellen Mitarbeitenden aus ihrer Sicht beziffern und den Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Arbeitgebern herausstellen sollten. Ein Blick in die aktuelle Selbstdarstellung von Unternehmen, etwa in Stellenanzeigen oder auf Karrierewebsites, zeigt leider: Viele Arbeitgeber scheitern derzeit an diesem Anspruch, den sie aber in Bewerbungen ganz selbstverständlich einfordern.
Blaupausen auf beiden Seiten führen zu einem absurden Bewerbungsprozess
Um das so ungeliebte Anschreiben fertig zu stellen, nehmen sich die Jobinteressierte nur mäßig viel Zeit. Ungefähr ein Drittel der von Joblift befragten Personen wenden weniger als eine halbe Stunde für ihr erstes Anschreiben auf. Weitere 35 Prozent investieren 30 bis 60 Minuten und ein Fünftel etwas mehr als eine Stunde. Danach beherrscht das „Copy-and-Paste“-Verfahren den Bewerbungsprozess. Denn mehr als jede fünfte Person in der Studie nutzt gar das exakt gleiche Anschreiben und tauscht nur noch die Adresse sowie die jeweilige Kontaktperson aus. Ein Viertel recycelt mehr als die Hälfte des ersten Anschreibens und weitere 14 Prozent greifen auf etwa die Hälfte des Inhalts zurück. Die Folge: Arbeitgeber, die dem Anschreiben zu viel Gewicht in der Personalauswahl einräumen, tun dies auf Basis von austauschbaren Dokumenten, die so auch an den arbeitgeberseitigen Wettbewerb versandt werden. Diese Vorgehensweise wirft ein schräges Licht auf den Bewerbungsprozess insgesamt. Denn wie die HR-Unternehmensberatung Employer Telling längst in ihrer Studienreihe „Club der Gleichen“ nachgewiesen hat, arbeiten auf der anderen Seite der Medaille auch Arbeitgeber in ihren Formulierungen zum Beispiel in Stellenanzeigen nach dem Prinzip des „Copy-and-Paste“. Nur Arbeitgeber, die diese Austauschbarkeit durchbrechen finden zu den Mitarbeitern, die das auch tun. Denn wie sollen Menschen und Unternehmen in einem Prozess zusammenfinden, in dem beide Parteien immer nur die immer gleichen Dokumente, Texte du Argumente in die Waagschale werfen?
Fazit: Stellenanzeigen werden zu Bewerbungen
Ein Verzicht auf das Anschreiben erkennt nicht nur die herausgehobene Marktposition der Kandidatinnen und Bewerber an, Arbeitgeber können dadurch auch deutlich mehr Bewerbungen einsammeln, weil so die Hürden für hochqualifizierte Talente abgebaut werden. Um das bestmögliche Match zu erzielen, sollten Arbeitgeber stattdessen ihre Recruiting-Instrumente als eigene Bewerbungen in Richtung Kandidat:innen verstehen. Hier sollte nicht nur der USP als Arbeitgeber punktgenau herausgearbeitet sein, sondern auch durch die Umschreibung einer Aufgabe auch die Voraussetzungen für das perfekte Match gegeben sein.
Über die Studie
Für die repräsentative Studie befragte das Marktforschungsunternehmen Respondi bundesweit 1.058 Bewerber und Bewerberinnen im Auftrag des Stellenportales Joblift. 51 Prozent der Teilnehmenden waren männlich, 49 Prozent weiblich. 81 Prozent von ihnen arbeiteten zum Zeitpunkt der Online-Befragung in Vollzeit, 19 Prozent in Teilzeit. Der Befragungszeitraum lag im November 2021.