Über 1,20 Meter zieht sich das Bild des alten Kriegsschiffs im Kunstmuseum, vor dem sich die beiden Männer zum ersten Mal sehen. James Bond betrachtet das Gemälde, als sich jemand neben ihn setzt. „Ich bin Ihr neuer Waffenmeister”, sagt er. Das bedeutet, er ist verantwortlich für die Spezialausrüstung beim britischen Geheimdienst MI6. „Das muss ein Scherz sein“, sagt Bond. Q ist vielleicht dreißig Jahre alt, Bond deutlich älter. „Nun, ich wage zu behaupten, dass ich im Schlafanzug vor meiner ersten Tasse Earl Grey auf meinem Laptop mehr Schaden anrichten kann als Sie in einem Jahr Einsatz“, sagt er. „Wozu brauchen Sie mich dann?“, fragt Bond. Hin und wieder müsse eben jemand den Abzug betätigen, erwidert Q.
Bond ist Agent 007, ein fiktiver Charakter mit der Lizenz zum Töten. Seit sieben Jahrzehnten prägt er das Image eines Berufs, der in Wahrheit ganz anders aussieht. Nur weiß man darüber nicht viel. Denn Geheimdienste wie der Secret Intelligence Service MI6 in Großbritannien arbeiten weitestgehend im Verborgenen. Das ändert sich. Denn auch sie kämpfen mit dem Fachkräftemangel und setzen auf mehr Transparenz, um Personal zu rekrutieren.
In Deutschland gibt es drei Behörden, die landläufig zum Geheimdienst zählen: der für das Ausland zuständige Bundesnachrichtendienst, das für das Inland zuständige Bundesamt für Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst zum Schutz der Bundeswehr. Sie nennen sich Nachrichtendienst, nicht Geheimdienst, da sie Informationen beschaffen und auswerten und keine Exekutivgewalt haben, also weder etwas beschlagnahmen noch jemanden verhaften oder, wie Bond, schießen dürfen. Die Informationen können frei verfügbar sein oder durch „nachrichtendienstliche Mittel“ beschafft werden. Das ist die Spionage.
Geheimverstecke und fliegende Autos
Leute beschatten, durch die Welt reisen und unter Pseudonym leben: Das ähnelt dem Leben von James Bond. Der Bundesnachrichtendienst spielt mit der Analogie, schickt auf Social Media „Liebesgrüße aus Berlin-Mitte“ und nennt seinen Fachgebietsleiter Werkstätten auf der eigenen Karriereseite „den deutschen Q“. Der entwickelt zwar keine explodierenden Kugelschreiber oder fliegende Autos, aber Gegenstände, in denen sich Informationen übermitteln lassen, die niemand finden soll, wie Geheimfächer in Absätzen von Schuhen. In der deutschen Beamtensprache heißt das „Verbringungsmittel“ und klingt etwas weniger aufregend als bei Bond.
Matthias Kienle aus der Personalgewinnung sagt: „Die Arbeit für den Bundesnachrichtendienst hat viele spannende Aspekte, die wir in den Vordergrund stellen wollen. Doch der Vergleich mit James Bond ist ein zweischneidiges Schwert.“ 99 Prozent der Tätigkeiten hätten nichts mit dem Image des fiktiven Agenten zu tun. Und: „Wir suchen keine Selbstdarsteller, die sich in den Vordergrund spielen, sondern Menschen, die diskret sind und gut mit Geheimnissen umgehen können.“
Nachrichtendienste sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Eine falsche Identität bringt nichts, wenn ermittelnde Personen im Internet stehen und auf der Straße erkannt werden können. Ein Geheimfach ist nicht geheim, wenn die Pläne öffentlich einsehbar sind. Das kann es spannend machen. Es behindert aber auch die Kommunikation. Häufig gestellte Fragen zum Jobeinstieg schließt der Bundesnachrichtendienst darum immer mit dem Hinweis, dass man nicht über die eigene Bewerbung sprechen dürfe. „Gerade weil es so unüblich ist, müssen wir, sooft es geht, darüber informieren. Es ist ein Schutz für die Bewerbenden“, sagt Kienle.
Transparenz und neue Arbeitgebermarken
Der Bundesnachrichtendienst informiert die Bundesregierung, nicht die Öffentlichkeit. Das unterscheidet ihn vom Bundesamt für Verfassungsschutz, das jährlich einen Bericht publiziert, und stellt ihn vor besondere Herausforderungen: „Wir haben gemerkt, wie wichtig es ist, transparent zu sein, um Personal zu gewinnen“, sagt Kienle. „Der Bedarf an Fachkräften ist groß. Wir stehen in Konkurrenz zu Unternehmen und zu Behörden. Darum müssen wir deutlich machen, was es auszeichnet, bei uns zu arbeiten, und wie vielfältig die Tätigkeiten hier sind.“
Der Bundesnachrichtendienst sucht sich Wege, um transparenter zu sein: Die Eröffnung des Standorts im Herzen Berlins vor drei Jahren war ein wichtiger Schritt, 2023 soll das Besucherzentrum öffnen. Seit 2018 ist er auf Youtube aktiv, seit 2021 auf Instagram. Es ist ein reines Arbeitgeberprofil, mit Einblicken in die Büros und Kantine sowie Informationen über Stellenprofile, Geschichten und Bewerbungsfragen. Aktuell entwickelt er eine eigene Arbeitgebermarke, mit der er im nächsten Jahr noch stärker sein Alleinstellungsmerkmal betonen möchte. Wie das genau aussehen wird, ist offen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat diesen Schritt schon hinter sich. Seit 2021 wirbt es mit dem Slogan „Im Auftrag der Demokratie!“, der den Vorgänger „Im Verborgenen Gutes tun“ abgelöst hat. Das erinnert wieder an Bond, der „im Auftrag Ihrer Majestät“ ermittelt, soll aber für mehr Transparenz stehen, sagt Hannah Marienfeld, Leiterin Personalmarketing beim Bundesamt für Verfassungsschutz: „Wir können stolz auf das sein, was wir tun. Wir arbeiten für die Demokratie. Das wollen wir zeigen und damit dem Vorurteil entgegenwirken, dass wir in Hinterzimmern agieren.“
Zur „Transparenzoffensive im Rahmen des Möglichen“ gehört es, Personen zu zeigen, die beim Inlandsnachrichtendienst arbeiten. Das macht das Bundesamt für Verfassungsschutz (wie auch der Bundesnachrichtendienst) aus Sicherheitsgründen nicht mit echten Namen und Bildern, aber mit Personen, die stellvertretend für die Mitarbeitenden stehen, sagt Marienfeld. Die Bandbreite der Porträts soll die Diversität im Bundesamt abbilden.
Mit einem Mix aus Online-, Print- und Außenwerbung sowie der Präsenz bei Messen und Veranstaltungen will sich das Amt als Arbeitgeber ins Gespräch bringen und Leute auf die eigene Karriereseite lotsen. Anders als Wirtschaftsunternehmen können Behörden nicht einfach Personal abwerben oder über Headhunting rekrutieren. Bewerbungsprozesse müssen für alle offenstehen. Immerhin: Der Bundesnachrichtendienst nutzt seit diesem Jahr die Möglichkeit des Active Sourcing und spricht Fachkräfte über Xing auf passende Ausschreibungen an.
Vakanzen gibt es in allen Bereichen. Der Spiegel hatte 2018 über offene Stellen bei den Nachrichtendiensten berichtet. Die haben den Bericht zwar als Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag zurückgewiesen, verstärken aber mit ihren Bemühungen die Personalgewinnung. „Der demografische Wandel stellt uns wie alle anderen Arbeitgeber auch vor eine besondere Herausforderung “, sagt Marienfeld. Sie adressieren junge Menschen genauso wie lebenserfahrene. Es gibt eine eigene Ausbildung und ein duales Studium. Auf der Website steht das Beispiel einer Quereinsteigerin, die Flugbegleiterin war und heute als Observantin arbeitet.
Seit 2018 teilen sich das Bundesamt und der Bundesnachrichtendienst eine gemeinsame Schulungseinrichtung: das Zentrum für Nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung. Dort wollen sie sich nicht nur eigene Talente heranziehen, sondern auch Kompetenzen vermitteln, die man für einen Einsatz braucht. Wer Agentin oder Agent beziehungsweise „Verfassungsschützer:in“ werden will, muss grundsätzlich eins mitbringen: die deutsche Staatsbürgerschaft. Danach kommt es auf fachliche Qualifikationen an, die für eine Stelle verlangt werden. Immer häufiger gehört digitale Kompetenz dazu, weil sich Informationen in den virtuellen Raum verlagern und damit die Informationsbeschaffung. Ausschreibungen wie „Digitale Expert:innen für die Informationsgewinnung im Internet im Phänomenbereich Islamismus und islamistischer Terrorismus“ zeigen, wie breit die Dienste aufgestellt sind und dass wirklich alle Fachrichtungen gesucht werden.
Neben der formalen Prüfung gibt es auch einen Eignungstest. Und da geht es bei den Secret Intelligence Services auch um Intelligenz. Der Auslandsgeheimdienst der USA veröffentlicht Intelligenztests, um zu zeigen, dass bei ihm nur die schlausten Menschen des Landes arbeiten. Der Nachrichtendienst der Schweiz schreibt in seiner Broschüre von „Schnelldenker:innen“, die er sucht. Und auch die Nachrichtendienste in Deutschland setzen besondere kognitive Fähigkeiten voraus, auch wenn sie das nicht so in den Vordergrund stellen.
„Die Intelligenzdiagnostik ist ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Auswahlprozesses“, sagt Hannah Marienfeld. Es gebe ein schriftliches und mündliches Auswahlverfahren, bei dem das Amt neben den kognitiven Fähigkeiten auch die sozialen Kompetenzen prüfe. Die kognitive Leistungsfähigkeit habe sich im Erwachsenenalter längst ausgebildet und sei nur noch bedingt formbar: „Das verdeutlicht, warum für uns die Intelligenzmessung ein essenzieller Bestandteil ist. Aber erst das Zusammenspiel mit sozialer Kompetenz macht einen guten Mitarbeiter oder eine gute Mitarbeiterin aus.“
Mit Menschen in Kontakt treten, Vertrauen aufbauen, in neue Kulturkreise wechseln, sich auf kritische Situationen einstellen und wichtige von unwichtigen Informationen trennen: Das verlangt Denkfähigkeit, Sensibilität und Stärke. Nur hat die nichts mit dem machohaften Auftreten eines James Bond zu tun. In dem Moment, in dem Geheimdienste sich öffnen und ihre Arbeit darstellen, wird das deutlicher. Filme helfen, sich für den Nachrichtendienst zu interessieren, sagt Kienle. Es wäre wünschenswert, wenn dadurch nicht ein falsches Bild entsteht. Darum bietet der Bundesnachrichtendienst auf Nachfrage sogar einen Service an, der immer stärker nachgefragt werde: eine Drehbuchberatung für Filmmachende für mehr Realität.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Intelligenz. Das Heft können Sie hier bestellen.